KÖLN (BLK) – Zwei Herren in schwarzem Anzug, die in zwei schwarzen Ledersesseln ein Buch diskutieren – man muss wohl wissen, dass Lit.Cologne-Zeit ist, um zu verstehen, wie ein solches Programm das Kölner „Theater am Tanzbrunnen“ bis auf den letzten Platz füllen kann. Und dass der jüngere der beiden Herren Daniel Kehlmann heißt, seit seinem Überraschungserfolg „Die Vermessung der Welt“ (2005) als vielversprechendster deutschsprachiger Nachwuchs-Autor gehandelt. Zur Eröffnung des zehntägigen Literaturfests am Donnerstag hat er sein neues Buch „Ruhm“ mitgebracht, ein episodenhaftes Geflecht aus neun Lebensgeschichten.
„Die Karten hab' ich schon zwischen Weihnachten und Neujahr gekauft“, erzählt eine Besucherin im Gewühl vor der Garderobe ihrer Begleitung. „Jetzt sind längst alle weg.“ Tatsächlich – 90 Prozent der Tickets für die insgesamt 158 Lit.Cologne-Veranstaltungen sind bereits vor dem Auftakt verkauft. Das erfolgsverwöhnte Festival scheint auch in der neunten Auflage den Geschmack aller Altersgruppen zu treffen. Eine Mutter schiebt sogar den Kinderwagen durchs Foyer.
Ein Phänomen, denkt sich der Auswärtige – immerhin stellt der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch, der an diesem Abend die Moderatorenrolle innehat, Thesen in den Raum wie: „Die Konstruktion der Wirklichkeit ist eins mit der Wirklichkeit der Konstruktion.“ Persönliches über den Bestseller-Autor Kehlmann erfährt man wenig in der Gesprächsrunde zwischen den beiden Lesungsblöcken: Er arbeitet mal vormittags, mal nachmittags, „wie es sich findet“, und der Großvater schrieb zwei schnell vergessene expressionistische Romane im Stil Heinrich Manns. Stattdessen Theoretisch-Anspruchsvolles über das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit, die Bedeutung der Technik in der Literaturgeschichte, den kreativen Schaffensprozess.
Es ist der unprätentiöse Charme des jungen Kehlmann, der das Zwiegespräch auf der Bühne fürs Publikum rettet – ihm scheint sein eigener „Ruhm“ so gar nicht zu Kopf gestiegen zu sein.
Wo Hörisch die Allmacht des Schriftstellers über das Schicksal seiner Figuren auf eine abgehobene theologische Theodizee-Frage rückbezieht, sagt Kehlmann einfach: „Natürlich hätte ich Maria Rubinstein am Ende ein Notfallteam des Deutschen Außenamtes schicken können – aber es macht die Geschichte schlechter. Mir tat Maria auch Leid beim Schreiben.“ Und während Hörisch den jungen Autor beharrlich in eine Linie mit Goethe und Thomas Mann zu stellen versucht, bekennt Kehlmann freimütig kleine Recherche-Fehler: „Wäre ich über Nacht geblieben, hätte ich festgestellt, dass die Sonne in Rio nicht im Meer versinkt, sondern auf der anderen Seite.“
Und dann natürlich die Lesung selbst. Mit Kehlmann'scher Sprachbrillanz, die keines effekthascherischen Vortrags bedarf, nimmt der Autor seine Zuhörer mit in die Welt der Fantasie. Es grenzt an ein Wunder: Auch wenn die Passagen über den lebensmüden brasilianischen Esoterik-Guru und Hobbyschützen Miguel Auristos Blancos („Wenn er wirklich abdrückte, würde er Epoche machen.“) an den Amoklauf von Winnenden denken lassen, rückt die Realität nach kurzem Zur-Ruhe-Kommen für einen Abend in weite Ferne. Zwei Stunden lang ist alles vergessen, und das Gelächter über die skurrile Lebensbeichte des Internet-Bloggers „mollwitt“ („Wollte schon lang hier posten, allein woher der Kontent? Dann aber letztes Wochenende, und gleich voller Container.“) kommt spontan.
Als der Applaus abebbt, steht selbst der Autor einen kleinen Moment lang ein wenig orientierungslos im Rampenlicht. Dann beugt er sich hinunter zum Literaturprofessor: „Reden wir denn jetzt noch weiter?“ Der winkt ab - und der erste Abend der Lit.Cologne ist vorüber. (dpa/mon)