Von Sandra Beyer
„Prostitution ist ganz wichtig in unserer Gesellschaft. Es gibt viele Männer, die sich in ihrer Beziehung so unzufrieden fühlen, die unbedingt da raus müssen“, beschreibt Annamaria (36) die Bedeutung ihres Hobbies. Sie ist eine der neunzehn Frauen, die in Felix Ihlefeldts Buch „Abenteuer Hure: Prostitution als heimliches Hobby – Frauen erzählen über Lust, Selbstbestimmung und Geld“ befragte. Sie beschreiben mit eigenen Worten ihren Weg und ihre Gründe für diese, nach der Auffassung des Autors ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung. Der Sozialtherapeut Ihlefeldt arbeitet zu den Themen Sexualität und Partnerschaft hauptberuflich in seiner Praxis und privat als Autor, und so nimmt es nicht Wunder, dass er das Thema des „ältesten Gewerbes der Welt“ mit den Beobachtungen zu Paarbeziehungen und den Schwierigkeiten zwischen den Geschlechtern verbindet. Diejenigen, die sein „Wenn man mehr als einen liebt: Frauen und Männer erzählen von ihrer Art, Partnerschaft freier zu leben“ kennen (ebenfalls bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen), fühlen sich möglicherweise wie ich schnell an seine dortige Argumentation für das freiere und ehrlichere Ausleben der eigenen sexuellen Sehnsüchte erinnert. „Viele vergewaltigen sich, indem sie ein Modell zu leben versuchen, das ihnen nicht entspricht, nur weil sie so erzogen wurden oder weil sie meinen, es sich nicht anders leisten zu können“, schreibt er im aktuellen Buch über „Hobbyhuren“. Die Ausführung entspricht dabei nicht dem formulierten Anspruch des Autors: Das Buch ist eine Sammlung interessanter und unterschiedlicher Erfahrungsberichte von Frauen, die „das älteste Gewerbe der Welt“ als Hobby ansehen, funktioniert jedoch nicht als politisches Manifest für mehr Toleranz und Ehrlichkeit. Das gesellschaftliche Thema Prostitution ist zu komplex, um es auf den Aufruf zu mehr sexueller Offenheit zu reduzieren.
Im Vorwort sowie einem eigenen, „Hürden“ betitelten Kapitel berichtet Ihlefeldt, dass er die Frauen über Foren und Chatrooms kennen zu lernen versuchte, um ihnen einen Fragenkatalog zusenden zu können. Aus diesen Antworten seien die Erzählungen der Frauen entstanden. Seine Fragen hätten den Frauen als Leitfaden gedient, so Ihlefeldt – welche Fragen er ihnen konkret stellte, erwähnt er nicht. Er gibt Eingriffe in Biografie, Ort, Namen – zwar auch um die Identität der Befragten zu schützen, aber ohne das Ausmaß seiner Eingriffe anzugeben. Die einzelnen Erzählungen werden dadurch weniger authentisch: Dem Publikum bleibt vorenthalten, was die Frauen wirklich von sich erzählt haben. Ihlefeldt ist nicht zu unterstellen, dass er deren Gefühlsäußerung gegenüber dem Hobby umgeschrieben habe. Doch um ein Tabu zu brechen, ist es nicht unbedingt förderlich, dem Tabu bloß nachzugeben. Er möchte die Identität der Frauen nicht öffentlich preisgeben, was ihn seinen Interviewpartnerinnen gegenüber vertrauenswürdig macht, aber auch die Heimlichtuerei um das Thema Prostitution bekräftigt.
Ihlefeldt interessiert sich nebenberuflich für das Thema „Hobbyhuren“ – das Buch gibt nicht vor, eine soziologische Studie zu sein. So stellt sich die Frage, was es denn eigentlich sei. Der Autor lässt „Hobbyhuren“ zu Wort kommen, weil es über die Professionellen bereits so viele Bücher gebe, und geht dabei von der künstlichen Unterscheidung zwischen Profession und Hobby aus. An dieser Stelle offenbart sich, dass sich Ihlefeldt eines Themas angenommen hat, an dem er zwangsläufig scheitern muss: Er möchte „Außenseiterinnen“ zu Wort kommen lassen, die von der Gesellschaft nicht anerkannt werden – weil sie „Huren“ sind und das darüber hinaus freiwillig. Er suchte die Frauen dabei nach deren Selbstbezeichnung aus und danach, ob sie ihm nicht zu professionell erschienen. Seine sonstigen Auswahlkriterien bleiben jedoch unerwähnt. Trotzdem stellen sich die Frauen sämtlich als „Hobbyhuren“ dar. Ihlefeldt distanziert sich von den Schattenseiten des Gewerbes gleich in den ersten Zeilen seines Buches und setzt Prostitution mit Zwang und der Verleugnung selbst bestimmter Sexualität professioneller Sexarbeiterinnen gleich. Die positiven Seiten sieht er, wie die von ihm befragten Frauen, nur in der Ausübung als Hobby. Alle Frauen erzählen, wie sie über persönliche Vorlieben und den Willen, damit Geld zu verdienen, zu ihrem Hobby gekommen seien. Die Geschichten sind dabei nicht nur positive, wie Ihlefeldt selbst feststellt. Die Befragten lebten ihre Sexualität jedoch frei und bewusst aus, was Ihlefeldt am Ende an die Leser adressiert: „Ich wünsche mir, dass das Buch ein Anlass ist, über die eigene Art, die Liebe zu leben, nachzudenken.“
Es gelingt dem Autor nicht, seinem Anspruch anhand der Erzählungen der Frauen gerecht zu werden. Sie berichten, wie sie die Lust am Sex über die Möglichkeit, diese mit Geldverdienen zu verbinden, ausleben, wobei die eine es häufiger und lustvoller täte als die andere – logischerweise, denn die Befragten sind zwischen 21 und 40 Jahre alt, in den meisten Fällen über 30. Die Frauen gehen tagsüber ihren Berufen nach und für einige Abende im Monat ihrer Lust nach Sex für Geld. Interessant zu lesen sind die Lebenswege und die Beweggründe der Frauen, die mit unterschiedlicher Offenheit über Hürden persönlicher und organisatorischer Art sprechen. Ersteres mag ein Grund dafür sein, dass das Buch in diesem Jahr in der dritten Auflage erscheint. Als Anleitung für einen informierten Einstieg in dieses Hobby wäre es durchaus empfehlenswert. Was es aber mit einer bewussten und ehrlicheren Sexualität zu tun haben soll, wenn Frauen sich das Recht herausnehmen, Geld für Sex zu verlangen, und Männer es offen, ohne Schuldgefühle in Anspruch nehmen, kann er auch in seinem Nachwort nicht überzeugend erklären. In seinem Anspruch, gesellschaftliche Tabus über Sexualität und Partnerschaft zu brechen, scheitert Ihlefeldt, weil er zum Thema Sex und Prostitution die falschen Fragen stellt. Denn ein Ausweg aus unzufriedenen Partnerschaften – die Frauen dazu veranlassen, sich für den Spaß am Sex bezahlen zu lassen und Männer dazu, sich an jene Frauen zu wenden, statt an ihre Partnerinnen – kann dieses Hobby nicht sein. Hobbyprostitution von Frauen als „gewaltmindernde und lustspendende Bereicherung“ für Männer zu beschreiben, die in der Partnerschaft frustriert sind, zeigt eher eine wenig emanzipatorische, jedoch weit verbreitete Vorstellung von freier Sexualität und zufriedenen Beziehungen zwischen den Geschlechtern auf. Gewalt in der Gesellschaft sei auch auf ungelebte Lust zurückzuführen, diese jedoch nur den Männern zuzuschieben und das Problem mit dem Besuch einer „Hure“, die Sex aus Lust und als Hobby verkauft, zu kurieren, sei zu einfach gedacht. Diese Darstellung hat wenig mit freier sexueller Entfaltung und noch weniger mit Ehrlichkeit zu tun.
Literaturangabe:
IHLFELDT, FELIX: Abenteuer Hure: Prostitution als heimliches Hobby - Frauen erzählen über Lust, Selbstbestimmung und Geld. 3. Auflage. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH, Berlin 2009. 214 S., 9,90 €.
Weblink:
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH