Werbung

Werbung

Werbung

Abgesang auf den Mythos der Chancengleichheit

Michael Hartmanns soziologische Studie über „Eliten und Macht in Europa“

© Die Berliner Literaturkritik, 11.04.08

 

FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Der Campus Verlag veröffentlicht die soziologische Studie „Eliten und Macht in Europa – Ein internationaler Vergleich“ von Michael Hartmann.

Klappentext: Das Zusammenwachsen Europas ist vor allem ein Projekt der Eliten. Allerdings sind deren soziale Herkunft, Bildungswege und Karrieremuster je nach Land höchst unterschiedlich. Unterschiedlich fällt auch die Einkommens- und Vermögensverteilung in den einzelnen europäischen Ländern aus. Gibt es zwischen der Struktur der Eliten und der sozialen Ungleichheit einen Zusammenhang?

In seinem aktuellen Buch zeigt Michael Hartmann, wer Europas Eliten sind und wer die europäische Politik und Wirtschaft maßgeblich beeinflusst. Neben den drei großen EU-Ländern Deutschland, Frankreich und Großbritannien nimmt er die Eliten aus Italien, Spanien, Österreich, den Niederlanden, Skandinavien, der Schweiz und vielen weiteren, auch osteuropäischen Ländern in den Blick. Nach wie vor, so sein Ergebnis, herrschen nationale Rekrutierungs- und Aufstiegsmuster vor. Die Herkunft und Homogenität der Eliten steht dabei in direktem Zusammenhang mit der sozialen Ungleichheit. Allgemein gilt: Je exklusiver und homogener eine nationale Elite, umso größer die Kluft zwischen Arm und Reich.

Michael Hartmann ist Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Bei Campus erschienen von ihm zuletzt „Der Mythos von den Leistungseliten“ (2002) und „Elitesoziologie. Eine Einführung“ (2004).

 

Leseprobe:

© Campus Verlag ©

3. Kontinuität und Wandel – die westeuropäischen Eliten von den 1960er Jahren bis heute

Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende des 2. Weltkriegs hatten sich die Verhältnisse in den vom Krieg betroffenen westeuropäischen Ländern weitgehend stabilisiert. Sah es nach dem Krieg in den meisten Ländern für kurze Zeit noch so aus, als seien der Kapitalismus und mit ihm die herrschenden Klassen und Eliten auf dem Scherbenhaufen der Geschichte gelandet, konnte davon nur gut zehn Jahre später keine Rede mehr sein. Das starke Wirtschaftswachstum und die damit einhergehende deutliche Anhebung des Lebensstandards für die breite Bevölkerungsmehrheit hatten die nach dem Kriege aufgetretenen, zum Teil massiven sozialen Auseinandersetzungen zum größten Teil entschärft. Die (anfangs hohe) Arbeitslosigkeit war rapide gesunken und in einer Reihe von Ländern sogar fast vollkommen verschwunden.

Die Zuspitzung des Ost-West-Gegensatzes sorgte gleichzeitig für eine Renaissance konservativer Einstellungen in der Politik wie in der breiten Bevölkerung. Die bis in die erste Hälfte der 1950er Jahre üblichen großen Streiks wurden deutlich seltener. Waren 1950 in Frankreich noch fast zwölf Millionen Arbeitstage durch Streiks verloren gegangen, so sank dieser Wert bis 1960 auf nur noch gut eine Million. In Belgien ging die Zahl von fast 2,8 Millionen auf 334.000 zurück, in Schweden von 41.000 auf 18.000 und in Deutschland sogar von knapp 1,6 Millionen auf nur noch 38.000. Einzig in Großbritannien und Italien blieb das Niveau in etwa gleich hoch (Schmidt 1971: 209f.). Parallel ebbte auch der nach 1945 zu beobachtende steile Anstieg der Gewerkschaftsmitgliedschaft ab, wenn sich der Trend nicht sogar umkehrte.

Politisch hatten so gut wie alle Parteien den Kapitalismus als gesellschaftliche Grundlage akzeptiert und ihre Programminhalte, falls erforderlich, dementsprechend angepasst. Die CDU hatte die sozialistisch klingenden Elemente ihres Ahlener Programms von 1947, das noch Forderungen nach der Überführung von Schlüsselindustrien in gemeinwirtschaftliche Formen und zur Planung der Wirtschaft enthielt, vollständig entsorgt (Gurland 1989: 138ff., 370ff.), die SPD ihr Godesberger Programm verabschiedet. Die kommunistischen Parteien verloren stark an Gewicht, versanken zum Teil fast in der Bedeutungslosigkeit. Selbst die weiterhin großen und einflussreichen kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens begannen ihren scharfen Oppositionskurs nach den schweren Niederlagen in den 1950er Jahren zu überdenken und allmählich zu verändern.

Die westeuropäischen Eliten und herrschenden Klassen hatten ihre Macht nach einer kurzen Phase der (mehr oder minder ausgeprägten und tief greifenden) Erschütterung grundlegend konsolidiert. Die Wahlergebnisse demonstrierten das unübersehbar. Abgesehen von den skandinavischen Staaten dominierten so gut wie überall die konservativ-bürgerlichen Parteien. Sie regierten zumeist allein oder aber in einigen Fällen (wie etwa in Österreich) auch mit den Sozialdemokraten als Juniorpartner.

 

3.1. Die Bildungsexpansion und die Elitebildungsinstitutionen

In den 1950er Jahren deutete sich in vielen Ländern allerdings eine Entwicklung vorsichtig an, die Bewegung in die relativ erstarrten Verhältnisse bringen sollte und auch für die Elitenbildung grundsätzlich von großer Bedeutung sein konnte, die Bildungsexpansion im Hochschulsektor. Ab Anfang der 1960er Jahre gewann sie sehr schnell an Geschwindigkeit und Gewicht. Waren die Universitäten bis zu diesem Zeitpunkt Bildungseinrichtungen für durchschnittlich 2 Prozent eines Jahrgangs und durch ihre hohe Selektivität auch eine wichtige Instanz für die Auslese der jeweiligen nationalen Eliten, so sollte sich zumindest die erste Eigenschaft binnen eines guten Jahrzehnts grundlegend wandeln. Der massive Ausbau der Hochschulen erweiterte das Rekrutierungsbecken für die jeweiligen nationalen Eliten ganz beträchtlich. Ob und inwieweit das die Elitenrekrutierung dann tatsächlich verändert oder zumindest deutlich beeinflusst hat, hing und hängt allerdings von der Gesamtsituation in den verschiedenen Ländern ab, wie noch zu sehen sein wird. (1)

 

3.1.1. Der Übergang zur Massenuniversität

Der Prozess der Hochschulexpansion war in allen west- und nord-europäischen Ländern (mit Ausnahme Spaniens und Portugals) (2) zu beobachten. Die Zahl der Studierenden nahm rasant zu, allerdings nicht überall im gleichen Tempo und in denselben Jahren. Den stärksten Anstieg erlebte Italien, wo nach der Lockerung und später Abschaffung der Zulassungsbeschränkungen die Anzahl der Studierenden zwischen 1960 und 1970 von 268.000 auf 682.000 auf mehr als das Zweieinhalbfache zunahm, um sich bis 1980 noch weiter auf über eine Million zu erhöhen.

In Frankreich kam es zwischen 1960 und 1970 sogar fast zu einer Verdreifachung der an den Universitäten studierenden Personen, von 214.000 auf 630.000. In den folgenden Jahren setzte sich diese Entwicklung dann allerdings nur noch in abgeschwächter Form fort, so dass es 1975 ungefähr 760.000 und 1982 über 850.000 Studierende gab, inklusive der den deutschen Fachhochschulen ähnelnden „Instituts universitaires de technologie“ sogar mehr als eine Million. Auch in Skandinavien gab es mit Ausnahme Finnlands einen ähnlich hohen Zuwachs. Verzeichnete man zum Beispiel in Dänemark 1960 noch weniger als 4.000 Studienanfänger, waren es 1975 (bei einer mit fünf Millionen Einwohnern nur um 10 Prozent gewachsenen Bevölkerung) schon knapp 14.000. Deutschland blieb in den 1960er Jahren hinter der allgemeinen Entwicklung zurück, holte dann aber ab Anfang der 1970er auf. Hatte die Anzahl der Studierenden zwischen 1960 und 1970 „nur“ von knapp 240.000 auf 410.000 zugenommen, waren es 1975 schon 680.000.

 

Anmerkungen:

(1) Siehe dazu die Kapitel 3.2, 3.3,4 und 5.

(2) In Portugal und Spanien konnten sich die traditionellen Universitätsstrukturen dank der reaktionären Regimes von Franco und Salazar noch bis Mitte/Ende der 1960er Jahre halten. Der Anteil der Studierenden an den entsprechenden Jahrgängen lag noch Mitte der 1960er Jahre nur ungefähr halb so hoch wie in den anderen westeuropäischen Ländern (Baumert et al. 1994: 46). Noch 1964 gab es in Spanien bei einer Bevölkerung von über 32 Millionen Einwohnern nicht einmal 65.000 Studierende. In den folgenden zwölf Jahren erfolgte dann allerdings geradezu eine Explosion mit einer Versechsfachung auf circa 400.000 Studierende (Giner 1984: 135, 140).

© Campus Verlag ©

Literaturangaben:
HARTMANN, MICHAEL: Eliten und Macht in Europa – Ein internationaler Vergleich. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2007. 268 S., 19,90 €.

Verlag


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: