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Abschied vom Partner

„Frau Walter Jens“ erzählt von ihrer Ehe

© Die Berliner Literaturkritik, 09.11.09

Von Wilfried Mommert

BERLIN (BLK) - Eine Frau nimmt Abschied von ihrem Mann noch zu Lebzeiten des geliebten Partners, der bereits seine Reise in das Dunkel der Demenz-Krankheit angetreten hat. „Die Ehe steht nicht zur Disposition, trotzdem ist es nicht mehr der Mann, den ich geheiratet habe. Es war ja eine geistige Partnerschaft über 50 Jahre unserer Ehe, das gibt es nicht mehr“. Die Worte der 82-jährigen Inge Jens über ihren Mann Walter Jens lassen keinen Zuschauer unberührt bei der Uraufführung des Films „Frau Walter Jens“ von Thomas Grimm am Samstagabend (7. 11.) in der Berliner Akademie der Künste. Lange Jahre hatte Walter Jens die Akademie geschickt und temperamentvoll geleitet, heute ist er deren Ehrenpräsident.

„Zusammen mit Heiner Müller hat er die Hauptlast der Vereinigungsquerelen getragen“, sagte der heutige Akademiepräsident Klaus Staeck in Erinnerung an die Auseinandersetzungen um die Vereinigung beider Ost- und West-Akademien 1993. Jens hat sein literarisches Archiv inzwischen der Akademie übergeben. Für ihn gehörte die Präsidentschaft in Berlin „zu den Hochzeiten seines Lebens“, wie Inge Jens nach der Vorführung des Films in der Akademie sagte.

Die filmische Hommage erzählt von der jahrzehntelangen Lebens- und Arbeitspartnerschaft und gibt einen einfühlsamen Einblick in den Alltag des Tübinger Ehepaares seit der Erkrankung des heute 86-jährigen Literaturhistorikers und früheren Rhetorik-Professors. Es ist aber auch ein Blick „hinter die Kulissen“ der „Schreibwerkstatt Jens“, in der zuletzt noch gemeinsam als Alterswerk der Bestseller „Frau Thomas Mann“ entstanden war, ein Porträt von Katia Mann (1883-1980).

Der Film begleitet das Ehepaar bei seinen letzten öffentlichen Auftritten 2006, als Inge Jens merkte, dass ihr Mann, einer der letzten großen Bildungsbürger der Republik, beim Büchersignieren seinen Namen nicht mehr schreiben konnte. Der Regisseur unterbrach damals die Dreharbeiten und reiste im Frühjahr 2009 erneut nach Tübingen, um den jetzigen Alltag des Ehepaares mit der aufwendigen Pflege des sichtlich hinfällig gewordenen Walter Jens, der manchmal nachts durchs ganze Haus wandert, zu dokumentieren. So enthält der Film auch letzte Gespräche mit Walter Jens vor der Kamera. Noch einmal blättert das Ehepaar in alten Fotoalben, um an die Anfänge der Ehe und der Arbeit in Tübingen 1951 und die Begegnungen mit Geistesgrößen wie Ernst Bloch oder Hans Mayer zu erinnern.

Bei den letzten öffentlichen Lesungen muss die Germanistin Inge Jens zunehmend die eigentlich ihrem Mann zugedachten Passagen übernehmen. „Tut mir leid, ich kann nicht mehr“, flüsterte der Ehemann ihr zu. „Das war für mich der Schlusspunkt, dem wollte ich ihn nicht mehr aussetzen“. Es sei für ihren Mann wohl selbst die schlimmste Zeit gewesen, „dass er mit ansehen musste, dass seine Fähigkeiten abnahmen“. So ist auch aus der Autobiografie von Walter Jens nichts mehr geworden. Seine Frau hat ihre in diesem Jahr mit großem Erfolg veröffentlicht („Unvollendete Erinnerungen“). Dabei hat die Herausgeberin der Thomas-Mann-Tagebücher auch jene öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, die ihr in früheren Jahren als „Frau von Walter Jens“ oft versagt geblieben ist.

Walter Jens hat Zeit seines Lebens gerne im Rampenlicht der Öffentlichkeit gestanden, «auch weil er was zu sagen hatte», wie Inge Jens betont. Jetzt aber hoffe sie, dass ihr Mann seine Situation nicht mehr realisiert. „Es ist unendlich traurig, aber es ist wie es ist. Und er ist ein alter Mann, dem die bestmögliche Pflege zu Teil wird... Da es ihn mit über 80 Jahren getroffen hat, besteht kein Grund zum Hadern.“ Und ebenso nüchtern fügt die 82-Jährige hinzu: „Ich habe gelernt, die Krankheit zu akzeptieren ohne nach dem Warum zu fragen. Denn wenn ich sie stellen würde, müsste ich auch fragen, warum es uns so lange so unverhältnismäßig gut gegangen ist, und darauf habe ich auch keine Antwort“.

Das Ehepaar hat eine gegenseitige Patientenverfügung niedergelegt, nach der in bestimmten Situationen auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden soll. „Ich werde vermutlich keine Zustimmung für eine Magensonde geben. Das hieße, dem lieben Gott ins Handwerk zu pfuschen, so als wenn ich ihn in seinem jetzigen Zustand vom Leben zum Tode befördern würde“.

Der Film zeigt das Ehepaar bei einem seiner letzten Spaziergänge auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, wo außer dem Philosophen Hegel und dem Dramatiker Brecht auch ihr gemeinsamer Freund und Weggefährte Hans Mayer seine letzte Ruhe gefunden hat. Inge und Walter Jens haben sich auch schon ihre letzte Ruhestätte ausgesucht - auf dem Stadtfriedhof in Tübingen in der Nähe von Friedrich Hölderlin und Ludwig Uhland.

Weblink:


Akademie der Künste

 


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