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Abschied von der Mutter – Joyce Carol Oates im Doppelpack

Oates schreibt sich buchstäblich die Trauer von der Seele

© Die Berliner Literaturkritik, 08.04.08

 

Von Nada Weigelt

Natürlich muss es Blut sein bei Joyce Carol Oates. Eine Frau liegt ermordet in der Garage, in einer dunklen, öligen Lache. Ihr adrettes Leinenjackett, ihre Blümchenbluse – alles blutverschmiert. Zahllose Messerstiche im Rücken.

Aber eigentlich will Oates in ihrem neuen Roman „Du fehlst“ nicht von dem brutalen Mord erzählen, sondern von einem Abschied, der auf fast jeden von uns unweigerlich zukommt. „Das ist die Geschichte, wie ich meine Mutter vermisse“, schreibt sie in dem in den USA schon 2005 erschienenen Buch. „Eines Tages wird es auch Deine Geschichte sein – in einer für Dich einzigartigen Weise.“

In den fast 40 Romanen, die die US-Erfolgsschriftstellerin bisher vorgelegt hat, finden sich immer Spuren und Anklänge zu ihrem eigenen Leben. Doch der Tod ihrer Mutter Carolina, die im Mai 2003 völlig unerwartet an einem Schlaganfall starb, lässt Oates mehr noch als sonst auf eigene Erfahrung zurückgreifen.

Sie schreibt sich buchstäblich die Trauer von der Seele – nicht nur in dem Erwachsenen-Roman, sondern auch in dem ein Jahr später vorgelegten Jugendbuch mit dem wunderbar poetischen Titel „Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon“.

Ich-Erzählerin in „Du fehlst“ ist die 31-jährige Journalistin Nikki, die ein denkbar schlechtes Verhältnis zu ihrer später ermordeten Mutter hat. Mit lila Punkhaaren, flapsigen Sprüchen und einer Affäre mit einem verheirateten Mann tut sie alles, um nicht in die spießbürgerlichen Fußstapfen der Mutter zu geraten.

Doch als sie die 56-Jährige tot in der Garage entdeckt, bricht die künstliche Fassade zusammen. In einer behutsamen Annäherung an die Vergangenheit fängt sie an, ihre Mutter kennenzulernen. Sie stößt auf ein lange gehütetes Geheimnis, vor allem aber entdeckt sie sich selbst.

„Oates’ ergreifende Schilderung von Verbrechen, Gewalt und Tod ist wie immer großartig, aber ‚Du fehlst’ ist tatsächlich viel verstörender“, urteilte die „New York Times“. Meisterhaft ist vor allem die Schilderung des scheinbar perfekten „american way of life“ in einer Kleinstadt im Norden von New York, das plötzlich überall zu bröckeln beginnt, wenn sich auch nur an einer Stelle ein Riss bildet.

In diesem Sinne verstörend ist auch das Jugendbuch. Die Schülerin Jenna verliert bei einem Autounfall ihre Mutter und wird selbst schwer verletzt. Weil sie sich die Schuld an dem Unfall gibt, fällt sie ins Bodenlose. Sie will selbst tot sein, oder wenigstens nichts mehr mit ihrem früheren Leben zu tun haben. Es wird eine schmerzhafte und gefährliche Suche, bis sie mit Hilfe eines Freundes wieder bei sich ankommt.

Erst mit 64 Jahren hat Oates angefangen, auch Bücher für junge Leute zu schreiben. Umso faszinierender, mit welcher Sicherheit sie den richtigen Ton zwischen Poesie und Jugendsprache trifft – ohne jede Anbiederung. „Ich glaube, ich will leben, Mom“, sagt Jenna am Schluss. „Ich will ewig leben!“

Literaturangaben:
OATES, JOYCE CAROL: Du fehlst. Roman. Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 512 S., 22,90 €.
---: Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Birgitt Kollmann. Carl Hanser Verlag, München. 268 S., 16,90 €.

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