München (BLK) – Im März 2010 ist im Hanser Verlag Alfred Brendels Buch „Nach dem Schlussakkord“ erschienen.
Klappentext: „Das ist doch hoffentlich nur einer seiner skurrilen Scherze!“, raunte es durch die Musikwelt, aber es war die Wahrheit. Nach sechzig Jahren verabschiedete sich der weltberühmte Pianist Alfred Brendel vom Konzertpodium. Sehr ernsthaft und sehr komisch gibt einer der größten Klavierspieler des 20. Jahrhunderts in diesem Buch über sich und seine Arbeit Auskunft: Er spricht über seine Vorlieben in Literatur und Musik, über seine Sympathie für den Surrealismus und das Absurde und über das Aufhören. Mit dieser humorvollen Sammlung an Gesprächen, Interviews und Essays gibt Brendel Einblicke in seine Welten. Und er erweist seinem Millionenpublikum Dank und Verehrung.
Alfred Brendel wurde 1931 geboren, Musikstudium im Fach Klavier, Komposition und Dirigieren in Zagreb und Graz. Abschluss bei Edwin Fischer. Regelmäßige Auftritte in den Konzertsälen von New York, London, Paris, Wien, Berlin und Amsterdam sowie der führenden europäischen und amerikanischen Orchester.
Leseprobe:
©Carl Hanser Verlag©
Gedanken zu Leben und Kunst
(Gespräch mit Martin Meyer, 2006)
Sie sind ein überaus erfolgreicher Musiker. Doch einmal von der anderen Seite her gefragt: Was wäre – im Rückblick auf hypothetische Korrekturen Ihres Lebens als eines Künstlerlebens – anders zu machen gewesen?
Ich kann mich nicht beklagen. Es ist ja erstaunlich gut gegangen. Und statt mein Schicksal im Detail zu korrigieren, erfinde ich jetzt Szenarien, die mein Leben in eine andere Richtung gelenkt hätten.
Wenn ich Ihren schwarzen Humor in Rechnung stelle, versprächen auch jene Szenarien keine allzu bürgerlich-friedliche Ambience. Können Sie Beispiele nennen?
Erstens: Musikereltern. Kein Krieg, keine Erinnerung an Nazis und Faschisten, an Hitler und Goebbels im Radio, an Soldaten, Parteigenossen und Bomben. Sodann Klavierstunden bei einem Neffen Rachmaninows in Amerika. Kompositionsstudium bei Schönberg in Los Angeles. Filmmusiken für Woody Allen.
Das klingt allerdings vielversprechend, und ich freue mich, daß so wenigstens im spielerischen Konjunktiv eine gewisse Nähe zu Rachmaninow zustande kommt. Aber noch Skurrileres wäre wohl möglich.
Also gut: Künstlereltern. Vater Bildhauer und Tierausstopfer, Mutter Tänzerin und Diseuse. Frühzeitig Zuträger von Fundgegenständen für Joseph Cornell, dessen Assistent ich wurde.
Alle Cornell-Boxen, in denen Vögel oder Ballerinen vorkommen, sind eigentlich von mir. Danach Drehbuch-Autor von Buñuel-Filmen. Schöpfer des Grazer Dada-Mahnmals, bei dessen Enthüllung sich der Bürgermeister verpflichtet hatte, stets auch das Gegenteil zu sagen.
Das Gegenteil zu spielen wäre vermutlich wieder zu einer Hommage für Rachmaninow geworden … Aber im Ernst: mir ist Ihre Begeisterung für Dada, mit oder ohne Mahnmal, nie ganz plausibel geworden. Maske, Rhetorik und die Schaubühne des Kabaretts vertragen sich doch nicht mit dem Ernst des Interpreten.
Wenn ich Beethoven spiele, bin ich kein Dadaist. Dennoch wird selbst der seriöseste Musiker ohne eine Beziehung zu Maske, Bühne und Rhetorik nicht auskommen. Dazu mein drittes Szenario: Schauspielereltern. Mein Vater, der sachlichste Hamlet seiner Generation, meine Mutter eine Tragödin, deren Schreie als Messalina, der Charlotte Wolter nachempfunden, gefürchtet waren. Als Kind zahlreiche Auftritte
am Burgtheater, bevor ich zu den Wiener Kellerbühnen desertierte. In der Wiener Premiere von „Warten auf Godot“ spielte ich abwechselnd Estragon und Vladimir, danach mit überwältigendem Erfolg „Victor“ von Vitrac. Charakterrollen in Antonioni-Filmen neben Monica Vitti, die beinahe meine dritte Frau wurde.
©Carl Hanser Verlag©
Literaturangabe:
BRENDEL, ALFRED: Nach dem Schlussakkord. Fragen und Antworten. Hanser Verlag, München 2010. 112 S., 12,90 €.
Weblink: Hanser Verlag