Werbung

Werbung

Werbung

„Eis. Feuer. Wirklichkeit.“

Franjo Francics bislang umfangreichster Roman

© Die Berliner Literaturkritik, 17.02.10

Von Karolina Szczepanska

Der 1958 in Ljubljana geborene Schriftsteller und Sozialarbeiter Franjo Francic hat seinen bisher umfangreichsten Roman geschrieben. Darin bewegt er sich in den tiefsten Schichten der sozialen und menschlichen Gefilde. All seine Charaktere sind ausnahmslos demoralisiert, deprimiert, emotional verwahrlost, psychisch gestört, gewalttätig, pervers. Erzählt wird stets aus der Ich-Perspektive und niemand ist offen für seinen Nächsten, denn jedes Schicksal dreht sich in zunehmender Selbstbemitleidung um den eigenen Bauchnabel. Die Sprünge zwischen den einzelnen Personen und ihrem geschilderten Leid und Elend ziehen sich durch den ganzen Roman. Anfangs bekommen wir Einblick in die stark zersplitterte Wahrnehmung eines Pyromanen, der seine Geschichte erzählt als ob er die Programme eines Fernsehers wechseln würde: Jeder Satz bezieht sich auf eine andere Situation. Dabei entsteht ein verzerrtes Bild von seinem Leben zwischen zwei Frauen, der bettlägerigen Mutter und seiner Ehefrau Ingrid mit ihrem krankhaften Shoppingwahn; von seinem Job als Redakteur zwischen sensationsgeilen Schlagzeilen und den Castings für eine Fernsehproduktion á la „Big Brother“ sowie seinem unermüdlichen Drang zu Zündeln.

Dies ist nach circa 70 Seiten recht ermüdend, doch im zweiten Teil verteilt sich die Sichtweise und auf  mehrere jugendliche Mitglieder einer Schlägergang und deren Eltern. Das Einzige, was in dem recht austauschbaren Schauplatz Sloweniens von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird, ist die Gewaltbereitschaft, die schließlich in einem Mord endet. Der letzte Teil scheint vergleichsweise der am besten strukturierte zu sein, artet inhaltlich aber zu einer völligen Katastrophe aus. Ein stets von sich selbst überzeugter Polizist, der seine tote Mutter vergöttert und seine Ehefrau verprügelt, trägt und beschmutzt seine Uniform, in dem er erst sein Amt und am Ende auch eine minderjährige Vagabundin missbraucht.

Diese extreme Anhäufung von Brutalität und Aussichtslosigkeit ist in der Tat nur schwer bekömmliche Kost. Francic lässt der Hoffnung auf jegliche Verbesserung keinen Raum, bereichert alle paar Seiten die deprimierenden Schilderungen um eine weitere Stimme eines Familienmitgliedes oder eines Bekannten. Doch echte familiäre und soziale Werte sind in diesem Roman längst nur noch Klischees. Nur das Bild der Mutter, welches sich dem Leser in seiner ganzen Bandbreite von der Hure bis zur Heiligen förmlich aufdrängt, ist allgegenwärtig – und doch ausgehöhlt. Denn die Mütter sind entweder herrisch oder unterlegen, werden eingesperrt, huren herum und trinken, begehen Selbstmord oder töten andere. Als klassische Mütter versagen sie aber auf ganzer Linie. Die Emanzipation der Frau an sich ist ebenfalls nur noch eine Fassade. Die Frauen, die aus ihrer brutalen Ehe fliehen können, begeben sich in Abhängigkeiten von anderen Männern und betteln um die Liebe ihrer längst verlorenen Kinder.

So distanziert der Autor sich der schweren Thematik auch zu widmen vermochte, in dem er ständig die Szene und die erzählende Person wechselt und die einzelnen Abschnitte so kurz wie möglich hält, so wenig gelingt es ihm, diese Distanz angesichts der Fülle der beschriebenen Grausamkeiten aufrecht zu erhalten. Die Masse der einzelnen Stimmen vermischt sich zunehmend zu einem einzigen Wehgeschrei, das Alltagsgrau in seinen Facetten zu einem tiefen Schwarz. So bewegend die inhaltliche Dosis an unaufhaltsamer Verwahrlosung der Menschlichkeit auch sein mag, so eintönig ist leider auch ihre Schilderung. Denn die einzelnen Figuren unterscheiden sich stilistisch nicht sonderlich voneinander, das Feingefühl für die Ausarbeitung der individuellen Charaktere geht dem Autor so sehr ab wie seinen Personen die Emotionalität. Ob dieses Gesamtpaket für den Leser unabkömmlich ist, bleibt fraglich. Daran ändert auch der letzte Satz nichts, der einen Funken bitterer Ironie verlautbaren lässt: „ ,Das System ist nicht perfekt, aber es funktioniert’, begann der Polizeikommandant seine Grabrede, über einen Krähenschwarm staunend, der den Himmel bedeckte.“

 

Literaturangabe:

FRANCIC, FRANJO: Eis. Feuer. Wirklichkeit. Übersetzt aus dem Slowenischen  von Erwin Köstler. Drava Verlag, Klagenfurt 2009. 287 S., 23,80 €.

Weblink:

Drava Verlag

 

 


Bookmark and Share

BLK mit Google durchsuchen: