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„Äußere Enge, innere Weite“

Biografie zum 250. Geburtstag Johann Peter Hebels

© Die Berliner Literaturkritik, 30.06.10

Von Roland H. Wiegenstein

Der alemannische Dichter Johann Peter Hebel, 1760, also vor zweihundertfünfzig Jahren, in Basel geboren, ist ein Rätsel, das Heide Helwig lösen will. In seiner Heimat werden die „Alemannischen Gedichte“ immer noch zitiert (wenigstens von den älteren Leuten), sind seine Geschichten aus dem von ihm herausgegebenen „Rheinischen Hausfreund“ Bestand von Lesebüchern, gehört das muntere Fabulieren über den Zundelfrieder und seine Genossen, diese Kleinkriminellen von den Badener Märkten, zum festen Bestand der Volksmythologie – sofern diese noch existiert, „twittern“ lässt er sich schwerlich.

Zu seiner Zeit war der zu einem der höchsten Landesbeamten der Markgrafschaft Baden (dem späteren Kurfürstentum) aufgestiegene gelernte Theologe ein bekannter Dichter. Was ist er heute? Außerhalb der Landesgrenzen? Natürlich gibt es seine Werke in wohlfeilen Taschenbuch-Ausgaben, der heutige Leserwird von ihnen verzaubert, angesichts einer menschenfreundlichen Naivität, die in sotanen Zeiten seltsam wirkt. Gleichsam aus der Zeit gefallen, macht es Sinn ihr nachzuspüren. Denn, so Helwig: Was so einfach wirkt, ist abgründig, hat mehr als einen doppelten Boden: „Die Internationalität, die in den Kalendergeschichten herrscht, ist sozusagen ein Etikettenschwindel, denn über den verlockenden Ankündigungen von Wien und Memel, Mayland, Steyermark, Türkey, Frankfurt und Brobuisk steht die nüchterne Erkenntnissumme: ‚Ulm ist überall.’“

Die Autorin versucht, Hebels Weg, der so quietistisch wirkt in turbulenten Zeiten, nachzuzeichnen, zuerst anhand der „Alemannischen Gedichte“, die den Lehrer in Lörrach über die Landesgrenzen hinaus bekannt machen. Sie zeigt, wie viel harte Arbeit in ihnen steckt, eine Arbeit, die der kenntnisreiche Philologe, der Latein, Griechisch, Hebräisch verstand (und schreiben konnte), in den Gedichten so sorgfältig versteckte. Helwig führt aus, dass nur wenige den poetischen Grund der Verse verstanden, die dem einfachen Volk so einleuchteten, und warum Hebel dem ersten Band dieser Gedichte nie einen zweiten folgen ließ: „Viele Geschäfte und unangenehme Stimmungen, die mit der Art derselben verbunden sind, rathen mir, bis es anders wird, stumm zu sein für den Gesang. Ich bin kein geübter und fruchtbarer Dichter, der kann, wenn er will. Die Muse wohnt nicht bey mir, sie besucht mich nur, und ich besorge, an ein par Gedichten, die ich schon in die Iris gegeben habe, bereits meinen Beitrag zu den Beweisen gelifert zu haben, dass kein Segen dabei ist, wenn mans in böser Stunde erzwingen will.“

Helwig zählt auf, welche Geschäfte den inzwischen als Lehrer ans Karlsruher Gymnasium berufenen Hebel abhalten, Amtsgeschäfte, so die Überarbeitung des Herder’schen Katechismus. Denn er, der immer einmal wieder in Briefen den Traum von einer ruhigen Landpfarre träumte, die ihm Zeit ließe, Muße, seinen Gedanken nachzuhängen, war im Grunde sehr rasch „aufgestiegen“ in die Bereiche administrativer Arbeit, war in der Hierarchie der Landeskirche nach oben gekommen. Er galt als vernünftig und ausgeglichen. Und das war er auch. Helwig sucht unter der schönen Fassade des Gymnasialprofessors und Kirchenrats die Spuren eines anderen Hebel, der die Welt realistisch sah, wie sie war, nämlich nicht gut, und der Verbesserungen vorschlug, kleine Gesten für die kleinen Leute, für die er ab 1805 als Redakteur und Autor den badischen Landkalender, den die Untertanen kaufen mussten, zum „Rheinischen Hausfreund“ machte, was die Leute im „Ländle“ gern lasen, voller nützlicher Ratschläge und spannender Geschichten, für die Hebel den reichen Schatz seiner Kenntnisse plünderte, die er in Exzerptheften notiert hatte.

Doch er hat sie alle verwandelt, Philologen haben die „Ur-Erzählungen“ sowohl in Vorkommnissen der Zeit gefunden als auch in dem, was er aus Büchern, etwa der Bibel, entnahm. Hebel war weit davon entfernt, den revolutionären Geist zu unterstützen, der seine Zeit heimsuchte, aber Reformen, kleine Schritte sollten es schon sein. „Wer wie Hebel das gesellschaftliche Mit- und Gegeneinander illusionslos in einfache, geradezu physikalische Gesetzmäßigkeiten zerlegt, wer mit mathematischer Akkuratesse Einsatz, Risiko und Ertrag abwägt, der sucht gegen das Gewicht der Verhältnisse nicht in großen Umstürzen, sondern in kleinen Reformschritten anzugehen. Nach jenen Aufsässigkeiten zu Beginn seiner Berufslaufbahn, als Hebel sich gegen allzu häufiges Predigen zur Wehr setzte, hat er sich für andere Strategien entschieden. Es ist das eigene Tun innerhalb der Institutionen, nicht gegen sie, mit dem die Entwicklung zum Guten vorangetrieben werden soll.“

Dies ist es, was die Autorin mit einem großen Aufwand an Gelehrsamkeit und aus intimer Kenntnis von Hebels Werk (auch der so verräterischen Briefe) zu zeigen trachtet: das Bild eines Aufklärers, der vorsichtig zu Werke geht. In der Theologie, in der Pädagogik, in der unaufdringlichen Belehrung seiner zahlreichen Leser. Nicht, als hätte er nicht genau gewusst, was in Paris vor sich gegangen war, nicht, als wären ihm die zahlreichen Wendungen der Politik seiner Zeit entgangen und wäre ihm der Freiheitsschrei nicht zu Ohren gekommen, den der Journalist und Dichter Schubart ausstieß, auf Jahre eingesperrt in der Festung, nicht, dass Napoleons Siegeszug und Fall ihn nicht betroffen gemacht hätten (eine gewisse Sympathie für den „Weltgeist zu Pferde“ verband ihn mit Goethe), in seinem Bereich wollte er vorsichtig vorgehen, kleine Verbesserungen des Lebens durchsetzen, weil er die Unordnung fürchtete, die für seine Leute, die kleinen Bauern und Handwerker, nur Übles brachte.

So modest er vorging, auch ihm blieben Rückschläge nicht erspart, die von den Konservativen in seiner Kirche und bei Hofe auf ihn einstürzten, wo man seine Kalendergeschichten, gerade weil sie so populär wurden, mit Argwohn betrachtete und zensierte. Er wollte den Kalender, den die Untertanen kaufen mussten, verbessern: „Ich proponierte geschmackvolle Nachahmung des hinkenden Bott, Geschichte der neuesten Jahre, Chronikenartikel etc. populäraesthetisch und moralisch fruchtbar vorgetragen, mit niedlichen Holzschnitten. Aber es hilft nichts. Das Consistorium schreibt vor, und viele Köche versalzen den Brei.“ Den Kampf um diesen Landkalender, also den „Hausfreund“, schildert Helwig ausführlich, über viele Absurditäten dieses Kampfes kann man heute nur noch den Kopf schütteln. Damals waren sie real und vergifteten das Leben des in der Kirchenhierarchie des Landes an die oberste Stelle aufgestiegenen Hebel.

Er hat sich mit List und Entschiedenheit gewehrt, ein Revolutionär ist er nicht geworden. Aber: „Die nützliche Lehre ist sozusagen der Passierschein für das Konsistorium und verschafft dem Kalendermacher freies Feld für erzählerische und gedankliche Umtriebe aller Art.“ Diese „Umtriebe“ sind es, die den „Rheinischen Hausfreund“ noch heute zu einer so schönen Lektüre machen. Denn was vor der Moral am Ende steht, macht die Leser bekannt mit der Welt da draußen, die sie sonst allenfalls durch jene Verwundeten kennenlernten, welche die Kriege in den Dörfern und Kleinstädten des Badischen an Land schwemmten. Dass es in fernen Gegenden aussah „wie in Ulm“, mochte sie beruhigen. Anstand sei überall gefragt, sagte der „Hausfreund“.

Helwig widmet am Ende ein Kapitel Hebels Beziehungen zu Frauen, die sich fast ausschließlich in Briefen abspielten, abgesehen von der so komischen wie eindringlichen Neigung des hohen Kirchenbeamten zu einer Schauspielerin, Henriette Hendel, die in Karlsruhe gastierte. Nicht einmal ein Abenteuer ist daraus geworden. Dazu war Hebel zu scheu.

Und gleichsam als Coda ihres Buches verweist Helwig auch auf Hebels Haltung zu den Juden. Auch hier quietistische Neigungen und darunter ein skeptischer Hang zu einem Polytheismus, der in den „Biblischen Geschichten“ sich verdeckt zeigt, nicht verdeckt genug, um nicht Ernst Bloch aufmerksam werden zu lassen. Auf einen Satz nämlich, den Hebel über den Propheten Jesajas schreibt: „Was aber den Jesajas betrifft, so behaupte ich nur so viel, dass, wer ihn vom 40. Kapitel an lesen kann, und nie die Anwandlung des Wunsches fühlte, ein Jude zu seyn, sey es auch mit der Einquartierung alles europäischen Ungeziefers, ein Betteljude, der versteht ihn nicht, und so lange der Mond noch an einen Israeliten scheint, der dies Kapitel liest, so lange stirbt auch der Glaube an den Messias nicht aus.“

Helwig zu diesem Zitat: „Glanz und Elend werden hier vom Dichter mit weit ausholender Geste verbunden – die unerreichbare, großartige Poesie des Anfangs und die Misere der Gegenwart, die – man beachte den Fingerzeig – in Europa ihren Ort hat. Der Dichter und lutherisch-evangelische Theologe Hebel pflegt ein aufgeklärtes und dezidiert aufklärerisches Verhältnis zu den anderen monotheistischen Religionen und ihren Vertretern. „Grüß mir den thumringer Juden, und, wenn er noch lebt, den Scheitele in Lörrach, und den Nausel!“ schließt das Sendschreiben.

Hebels „Rätsel“ mag Heide Helwig nicht gelöst haben, vielleicht gibt es keins, nur das beispielhafte Leben eines, der ein großer Dichter war – in einer kleinen Provinz. Und der dies angenommen hat.

Literaturangabe:

HELWIG, HEIDE: Johann Peter Hebel. Biografie. Carl Hanser Verlag, München 2010. 367 S., 24,90 €.

Weblink:

Carl Hanser Verlag


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