Von Gisela Ostwald
Ein neuer Roman, ein weiterer Halbgott, den T.C. Boyle vom Sockel stößt: In seinem jüngsten Buch „Die Frauen“ nimmt der amerikanische Bestsellerautor den legendären Architekten Frank Lloyd Wright aufs Korn. In einem Flechtwerk aus biografischen Fakten und der eigenen Imagination entblößt er Wright als Narziss, der Frauen braucht und verbraucht, hochbegabte Studenten auf seinem Anwesen Taliesin im ländlichen Wisconsin als Küchenhelfer einsetzt, die Wünsche von Auftraggebern ignoriert und überall in der Kreide steht.
Nach dem gleichen Rezept hatte sich Boyle zuvor auch schon den Sexualforscher Alfred Kinsey und den Cornflakes-Erfinder John Harvey Kellogg vorgeknöpft. „Dr. Sex“ (2005) entpuppte sich bei ihm als Voyeur und Masochist, Kellogg in „Willkommen in Wellville“ (1993) als geradezu krankhafter Gesundheitsapostel.
Auch bei Wright geht es Boyle nicht um das Lebenswerk seines Protagonisten, das schneckenförmig gebaute Guggenheim-Museum in New York etwa oder das prachtvolle und dennoch erdbebensichere Imperial Hotel in Tokio. Er überlässt es vier Frauen, den leidenschaftlichen Liebhaber, den genialen Exzentriker und unverbesserlichen Egomanen so zu beschreiben, wie diese ihn in „ihrer“ Phase seines Lebens geliebt und erlitten haben. Die Geschichten werden von einem (fiktiven) Architekten zu Papier gebracht, dem Japaner Tadashi Sato, der neun Jahre bei dem Meister verbringt, um das Handwerk zu erlernen.
„Ich war eine Zeitlang ein Rädchen in seinem Getriebe, ein Rädchen von vielen“, schickt dieser seinem Bericht voraus. „Aber kannte ich ihn? Wer war er tatsächlich? Der Held, der, wie er in seiner Autobiografie behauptet, nach fünfjähriger Arbeit am Hotel Imperial im Triumph durch Tokios Straßen geführt wurde? Oder der verschwenderische Filou, der in Ungnade, wenn nicht Schande, von der Baustelle, von der Arbeit, aus dem Land vertrieben werden musste? War er das gekränkte Genie, der Schürzenjäger und Soziopath, der das Vertrauen von praktisch jedem, den er kannte, missbrauchte, besonders das der Frauen?“
„Die Frauen“ ist ein packender Roman, das faszinierende Porträt eines großen Künstlers, ein eindrucksvolles Gesellschaftsbild des bigotten Amerika im frühen 20. Jahrhundert, das Ehebruch als Straftat verfolgte und den Star-Architekten Frank Lloyd Wright auf Wochen und Monate zum Untertauchen zwang. Ein Amerika, das einer drogensüchtigen und von Rachsucht getriebenen Ehefrau ebenso lange Recht gab. Vor allem aber ist Thomas Coraghessan (T.C.) Boyles Neuling mit seiner exquisiten, messerscharfen und bildreichen Sprache purer Lesegenuss.
Boyle überrascht immer wieder mit eigenwilligen Wortschöpfungen wie der „Boa-constrictor-schluckt-die Ratte-Miene“und Vergleichen wie die der Augen einer Frau, die „so dunkel und undurchdringlich wie die Tafeln Blockschokolade in der Speisekammer“ sind. Selbst die Erinnerung an eine Verflossene verführt seinen Erzähler Tadashi Sato zum bildhaften Gedankenflug: „... meine Geliebte hatte mich wegen eines weißen Amerikaners verlassen, der Posaune spielte, dieses phallistischste aller Instrumente, und mein Studium war so eintönig, geistlos und gestrig wie die ionischen Säulen und Plinthen, auf denen es basierte.“
„Die Frauen“ sind seit dem 4. Februar in Deutschland im Handel, fast eine Woche vor Veröffentlichung der amerikanischen Originalausgabe in den USA. Im März kommt der Autor in die Bundesrepublik, um unter anderem in Berlin und Köln Auszüge aus seinem Buch vorzulesen - allerdings nur in Englisch.
Literaturangaben:
BOYLE, T .C.: Die Frauen. Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum und Dirk von Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2009. 556 S., 24,90 €.
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