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Alain de Botton über „die Kunst, daheim zu Hause zu sein“

Ein Essay zu Bedeutung der Architektur für die Menschen

© Die Berliner Literaturkritik, 01.10.08

 

Zeige mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist! Diogenes oder Graf Koks, Tonne oder Protz – ist das die Frage? So wie die Ernährung, die Kleidung und all das, was den Menschen am Leben erhält, ist die Wohnung der Ort, der sein Dasein, seinen Intellekt und auch seinen Alltag bestimmt. Das ist eine Binsenweisheit. Im Laufe der kulturellen Menschheitsgeschichte ist der engere Lebensraum, die Wohnung, das Haus, in dem der Mensch sich aufhält, immer auch der Ort, an dem der Mensch sich wohlfühlen möchte. Ob beim nomadisierenden oder beim sesshaften Leben, immer ist der Unterstand, das Zelt, die Hütte, das Haus, die Villa und das Schloss sowohl intime Bleibe als auch repräsentative Schau nach draußen. In dem aggressiven Werbespruch: „Mein Haus, mein Boot ...“ steckt allerdings nicht nur der Stolz, es zu etwas gebracht zu haben, sondern auch die eigentlich unsoziale und unsolidarische Einstellung: „Ich habe mehr als du – ich bin besser als du!“

Ist es da nicht vermessen, Glück und Architektur in einen Zusammenhang zu bringen? Da kommt ins Spiel, was Menschen immer wieder fasziniert hat: sich auf die Suche nach „zeitloser Schönheit“ zu begeben. Es ist die Neugier nach dem Ursprung von Ästhetik oder von dem, was Menschen als schön empfinden. Es ist die Sehnsucht der Menschen, in ihrem Erdenleben etwas zu schaffen, was unvollendet wie gleichzeitig ideal ist, also etwas Unmögliches zu gestalten. Es sei denn, es entsteht als sakrale Architektur, in der das Numinose, das „ganz Andere“, Unbegreifliche, zum unhabbaren Faszinosum wird. Architektonische Schönheit zu erkennen, sie vielleicht sogar als stilbildend in den kulturellen Wandel der Menschheit zu verorten, ist immer wieder versucht worden – und gescheitert.

Denn in den „repräsentativen“ Bauten spiegelte sich – und das zeigt sich bis heute – eben nicht das, was man als „Alltagstauglichkeit“ bezeichnen könnte. Die sakralen Gebäude, wie auch die Schöpfungen der Welterbestätten, tragen nämlich nur selten, vielleicht in „erhabenen“ Momenten, zur Erbauung der Menschen bei; sie sind nicht, wie man heute sagen würde, „nachhaltig“ und eben nicht alltagstauglich. „Letzten Endes mögen wir es nämlich nicht, immerzu überrascht zu werden.“ Diese Einschätzung bedarf natürlich der Erklärung.

Sie liefert der 1969 in Zürich geborene, jetzt in London lebende Schriftsteller Alain de Botton in seinem Buch „The Architecture of Happiness“, das 2006 in London erschienen ist und 2008 im S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main in deutscher Sprache mit dem Titel „Glück und Architektur“ herausgebracht wurde. Der „kosmopolitische Flaneur“, wie er im Deckblatt des geschmackvoll gestalteten Buches bezeichnet wird, hat für seine schriftstellerischen und journalistischen Arbeiten 2003 den Prix Européen de l’ Essai „Charles Veillon“ erhalten.

Im Untertitel des Buches kommt zum Ausdruck, dass es dabei um nicht mehr und nicht weniger geht, als über die „Kunst, daheim zu Hause zu sein“ nachzudenken. Dabei fragt Botton gleich zu Anfang seiner Reflexion nach der Bedeutung der Architektur für die Menschen in ihrer jeweiligen Zeit. Es sind nämlich die programmatischen wie zweifelnden Bemühungen, Architektur zu erklären, zu manifestieren und zu kritisieren, ja sogar „Sichtbares mit Verachtung zu bestrafen“, genauso wie die Versuche, „die Welt der Dinge schöner zu gestalten“. Die Überzeugung des Autors, dass „der Glaube an die Bedeutung der Architektur (...) nicht voraus(setzt), dass wir – ob wir es wollen oder nicht – an einem anderen Ort ein anderer Mensch sind, sondern auch die Überzeugung, dass es Aufgabe der Architektur ist, uns vor Augen zu halten, wer wir im Idealfall wären“.

Das bedeutet auch, die Architektur und das gestalterische Schaffen der Menschen nicht unkritisch zu betrachten: „Wer baute das siebentorige Theben?“, Bertolt Brechts Fragen eines lesenden Arbeiters mögen hier genauso wie die Bauten der Konzentrationslager auf die Problematik hinweisen, dass „Bauwerke ... eine moralische Botschaft zum Ausdruck bringen (mögen), nur fehlt der Architektur die Kraft, sie auch durchzusetzen“. Die Beantwortung der Frage, was ein schönes Haus sei, gerät ohne Zweifel zu einer schwierigen, wenn nicht gar zu einem unbeantwortbaren Unternehmen. Nicht nur, weil der Volksmund das Unterfangen mit dem Spruch charakterisiert, „Wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall“, sondern weil die Auffassung von Schönheit auch mit Zweckmäßigkeit und Nutzbarkeit wie auch mit dem Gebrauchs- und ästhetischem Wert korrespondieren und konkurrieren: „Ein Haus muss nicht schön, sondern zweckmäßig sein“, wie dies die Moderne in der Architektur suggeriert.

In gleicher Weise gerät die Frage „In welchem Stil sollen wir bauen?“ zu einer Geschichts- und Geschmacksbetrachtung der Menschheit, bis hin zu gewissermaßen „salomonischen“ Lösungen, die dies der Vicomte Bangor und seine Frau, Lady Anne Bligh in Nordirland mit dem Castle Ward vorführten. Die Stil-Vorlieben des einen befriedigte der Architekt mit der klassizistischen Bauweise in der Vorderansicht, die der anderen mit der neugotischen an der Rückseite. So kann Chaos entstehen wie auch das Wesen von Architektur zum Ausdruck kommen, etwas zu bauen, das über den reinen Zweck hinausreicht. So können Bauten tatsächlich zu „sprechenden Gebäuden“ werden, die mehr über die Bewohner auszusagen vermögen, als nur deren Ästhetik- und Schönheitsvorstellungen zu demonstrieren. Darin liegen Chancen und Gefahren zugleich: Die Chance nämlich, so etwas wie ein eigenes und/oder Familienporträt zu bauen, wie auch die Gefahr, sich damit zu entblö(d)ßen.

Die Frage nach dem Zu-Hause-, dem Daheimsein ist ja dem merkwürdigen (oder selbstverständlichen) Bemühen geschuldet, dass wir darauf angewiesen sind, „dass unsere Umgebung jene Stimmungen und Ideen verkörpert, die wir respektieren, und dass sie uns zugleich immer wieder mahnend an sie erinnert“. Da kommt das scheinbar unbewusste Geheimnis der Ästhetisierung des Wohnens zum Ausdruck, dass wir Menschen die Gegenstände, etwa Kunst, wie auch die Lebensorte nicht nur besitzen wollen, sondern anstreben, ihnen auch ähnlich zu werden; weil uns etwas fehlt, weil wir annehmen, es läuft etwas schief oder es wird unschön. Damit kommt ein Element in den Diskurs, den man lapidar mit der Bemerkung beschreiben könnte: Es ändert sich immer etwas im Leben, wie auch in den Zeitläufen und in der Geschichte.

Etwas, was unsere Altvorderen als schön und als Ideal empfunden haben, muss uns nicht in gleicher Weise begeistern; und unsere Nachfahren werden ebenfalls Dinge anders betrachten und nutzen, als wir es gewohnt sind. Apropos – gewohnt! In dem Begriff stecken ja gleich mehrere Bedeutungen und Synonyme. Alltäglich und gewöhnlich, üblich und selbstverständlich, bekannt und vertraut. Diese Zuordnungen verführen freilich leicht dazu, aus dem Bedürfnis „Schöner wohnen“ eine Allgemeinverbindlichkeit oder gar eine Ideologie zu machen. Es ist es auch nicht ungewöhnlich, von „Tugenden von Gebäuden“ zu sprechen; vor allem, weil Architektur an sich Ordnung verlangt und sich danach richtet. Ebenso orientieren sich gesellschaftliche Normen an „Bauordnungen“, die suggerieren, dass eine Reihenhaussiedlung so und nicht anders zu sein habe, mit und ohne Erker und eigentlich auch ohne Schnickschnack.

Die Anordnung von Fenstern und Türen, Stilelementen und Fassaden kann langweilig, öde, unansehnlich und unwohnlich sein, wie auch in den Extremen von Ordnung und Komplexität chaotisch oder schön wirken. Es ist die Balance, die Ansehnlichkeit ausmacht. Hier wird es philosophisch, physikalisch und metaphorisch zugleich: „Der Eindruck von Schönheit, den ein architektonisches Werk in uns hervorruft, verhält sich offenbar proportional zu der Intensität der Kräfte, denen es standzuhalten hat.“

Damit sind wir dann bei dem durchaus umstrittenen und in der individuellen wie gesellschaftlichen Betrachtungsweise unterschiedlich verstandenen Begriff „Eleganz“. Er hat zu tun mit Kultur und Zärtlichkeit, mit Fantasie und Sorgfalt, mit Großmut und Selbstbewusstsein. „Wenn Gebäude sprechen könnten“, mit diesem hoffnungsvollen, aber kaum zu verwirklichenden Wunsch sprechen wir erst einmal die historische Dimension an. Nicht selten wird versucht, in den Neubauten, Umbauten und Restaurierungen von Gebäuden tatsächlich Geschichte, Nationalismen und Ideologien zum Sprechen zu bringen; manchmal wird daraus tatsächlich so etwas wie eine historische Ahnung, manchmal ein Abklatsch und gelegentlich auch ein Potemkinsches Dorf oder ein Disneyland. Damit sind wir tatsächlich bei der Kulturkritik angelangt.

Die Botton’sche Vision von der „Kunst, daheim zu Hause zu sein“ ist ja keine nostalgische Sehnsucht nach dem Gewohnten und Gewöhnlichen; sie ist aber auch kein himmelstürmendes Wolkenkuckucksheim. „Wir sollten uns in Erinnerung rufen, das sich alles, was gebaut wurde, auch verändern lässt.“ Denn auch Geschmack lässt sich erfinden, erziehen – und ändern. „Wohnen nach Wunsch“, diese Sehnsucht vieler Menschen wird mittlerweile ja sogar in FS-Renovierungsshows aufgegriffen; in zahlreichen Zeitschriften wird ihr Rechnung getragen. Alain de Bottons Botschaft seines Rundgangs zu den Wohnstätten der Menschen, von den Erdhöhlen und mittelalterlichen Hütten bis zu englischen Landhäusern, Kathedralen, Moscheen, römischen Villen und japanischen Wohnlandschaften, lautet: Es gibt kein Rezept für „Schöner Wohnen“; vielmehr wohnen wir schön, wenn wir „in uns wohnen“; davon freilich haben schon die griechischen Philosophen gesprochen.

Literaturangaben:
BOTTON, ALAIN DE: Glück und Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 287 S., 22,90 €.

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