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Albträume im Plattenbau: Horrorroman aus Polen

Zygmunt Miloszewski legt einen packenden Erstling vor

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 28.01.08

 

Das Grauen verbirgt sich hinter dem Alltäglichen, lehrte uns Horror-Altmeister Stephen King. Warum nicht auch hinter den beschmierten Türen und verhangenen Fenstern einer Warschauer Plattenbausiedlung? Lange, unbeleuchtete Flure, dunkle Kellergewölbe und Mieter, die man nie sieht, deren Namen keiner kennt. Bródno heißt der Schauplatz von Zygmunt Miloszewskis Schauerroman „Domofon“, eine jener unzähligen in den Himmel ragenden Hochhaussiedlungen am Stadtrand Warschaus, idyllisch gelegen am nahen Wald, ganz in der Nähe des städtischen Friedhofs.

Die Mieten sind hier niedrig, die Lage ist günstig – ideal für Agnieszka und Robert Lazarek, das frisch verheiratete Paar aus Olecko, Masuren. Weg vom Land, rein in die Stadt und die Metropole erleben, die gemeinsame Zukunft planen. Die kleine Einraumwohnung im achten Stock soll der Anfang sein. Doch kaum haben die zwei an jenen 11. Oktober 2002 den Wohnblock betreten, bricht das Unheil in ihr Leben: Im Aufzug steckt die Leiche eines jungen Mannes mit abgetrennten Kopf: Ein Unfall, ein Selbstmord? Niemand hörte einen Schrei. Die herbeigerufene Polizei ist ratlos, sie weiß nur, es ist nicht der erste mysteriöse Fall in Bródno…

Zygmunt Miloszewski, geboren 1976 und Journalist bei „Newsweek Polski“, legt mit „Domofon“ (dt. Gegensprechanlage) einen packenden Erstling vor, einen spannenden und klassisch „blutigen“ Horrorroman. Er spielt mit realen Ängsten, mischt sie mit übernatürlichen Ereignissen und verdichtet sie zu einem Reißer, der unter die Haut geht und uns nicht schlafen lässt – wie die Mieter des unheimlichen und halb leer stehenden Plattenbau-Wohnblocks in Bródno. Die Albträume seiner Bewohner sind so schrecklich, dass niemand das Ende seines Traums erleben möchte und so manch einer schlaflos bleibt.

Zum Beispiel Wiktor Sukiennik aus dem sechsten Stock. Der einst umjubelte Gerichtsreporter und Journalist, jetzt Alkoholiker und finanziell abgebrannt, will zurück in die Welt der Lebenden: „Stadtteil-Lapidarium“ heißen seine Feuilletontexte, mit denen er wieder Fuß fassen will. Es ist ein Versuch. Doch die Sache damals, der aufsehenerregende Fall der grausam geschändeten Honorata, will ihm nicht aus dem Kopf. Wiktor fand die Kellerverliese, in denen die Peiniger das Mädchen folterten. Fürchterliche Albträume quälen ihn seither und sie werden immer bedrückender.

Auch Robert und Agnieszka spüren eine Veränderung. Robert quälen düstere Visionen, die er in seiner Malerei auszudrücken versucht. Er kapselt sich ab und verstrickt sich immer mehr in Wahn und Aggression. Agnieszka überfällt im Aufzug panische Angst, sie glaubt, hinter der verschlossenen Tür des Lastenaufzugs ein wimmerndes Kind zu hören, erblickt ein Mädchen, das ihr seine verkohlte Hand entgegenstreckt. Die Gereiztheit der beiden steigert sich, Robert fühlt sich von Agnieszka bedroht, neben seinem Frühstücksteller liegt ein rasierscharfes Messer…

Und dann, am 9. November 2002, zwei Tage vor dem polnische Staatsfeiertag, dem „Tag der Unabhängigkeit“, schließt sich gar das Haus. Der Schlüssel der Mieterin Rachela Michalak bleibt im Schloss der Eingangstür stecken und zerbricht. Kein Ausgang des Wohnblocks lässt sich mehr öffnen, das Wasser ist abgedreht, Telefone und Handys funktionieren nicht, auch der Weg über die Balkone ist blockiert – der Plattenbau wird für seine Mieter zur hermetisch geschlossenen Zone, ein unsichtbares Etwas versperrt ihren Weg ins Freie und ins Leben.

Zygmunt Miloszewski zieht alle Register von Angst und Schrecken– und das gekonnt. Dramaturgisch geschickt verknüpft er die Topografie und Geschichte Bródnos mit überzeugender Charakterzeichnung und den klassischen Elementen des Horrorgenres. Verblüffend, wie er stets neue Motive einflicht und die Spannung forciert. Nichts ist voraussehbar, jede weitere schlaflose Nacht im Bródnoer Plattenbau verzögert die Lösung und wirft neue Fragen auf: Die Mieter des Hauses, sind sie Untote oder Selbstmörder –oder einfach nur hysterisch? Und wer ist dieser unbekannte Nachbar am Ende des Gangs im fünften Stock? Wieso weiß dieser „Alien“ alles, obwohl er im Rollstuhl sitzt und seine Wohnung seit Jahren nicht mehr verlassen hat?

Zygmunt Miloszewski ist ein Debüt gelungen, das kraftvoll einschlägt dank origineller Ideen, realistischer Zeichnung eines Soziotops und kalkuliertem Einsatz gängiger Horrorelemente. Ein beeindruckender Erstling, der gruselige Spannung garantiert, von der ersten Seite bis zum finalen Countdown tief unten in der Kellergruft.

„Die Idee für diese Geschichte kam mir, als ich zusammen mit meinem Bruder in einem Aufzug in Bródno fuhr. Wir alberten herum und überlegten, in wie vielen schrecklichen Horrorszenen man einen solchen Aufzug verwenden kann“, schreibt er im Nachwort. Nicht nur der Fahrstuhl, jede be- oder unbewohnte Wohnung dieses Blocks und natürlich seine Mieter bergen ein unerschöpfliches Potenzial, wenn jemand so viel Fantasie und erzählerisches Format besitzt wie Zygmunt Miloszewski, der Autor von „Domofon“.

Literaturangaben:
MILOSZEWSKI, ZYGMUNT: Domofon. Roman. Deutsch von Jan und Katarzyna Opielka. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 379 S., 14 €.

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Monika Thees ist Redakteurin dieses Literatur-Magazins


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