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Allein mit einem Fetzen Sprache

Gedichte und Songtexte von Jörg Fauser (1944-1987)

© Die Berliner Literaturkritik, 21.04.09

 

Man glaubt zuweilen, den eigenen Ohren nicht trauen zu können, wenn sich im Vergleich von Versen 35 Jahre überhaupt nicht bemerkbar machen – obwohl das Neue und die Neuheit nach wie vor in hohem Ansehen stehen, ja unabdingbar erscheinen, wenn es um Kunst geht. Ein Verspaar aus dem Neubuch (yedermann 2008): ein laster holpert übers kopfsteinpflaster, kreuzt / noch voller vorsicht die waldenserstraße. Ein Verspaar von 1973: Bergerstraße Sonntagabend gegen sieben / der Buchmacher fegt die zerrissenen Wettscheine zusammen.

Kleinschreibung und Interpunktion können hier nicht als poetische Neuigkeit in Rechnung gestellt werden: Die Suche nach Konkretem, Echtem, nach einer lyrischer Relevanz, nach einer groben Wirklichkeit, jenseits der vom Dichter hausgemachten, steht nach wie vor auf der poetologischen Tagesordnung. Man kann Jörg Fauser, der 1973 das zweite Verspaar veröffentlichte, als einen Taufpaten dieser Suche nach einem Blickkontakt mit der Wirklichkeit ansprechen.

Schon allein, um die Tradition dieser Tendenz zu betrachten, lohnt sich ein Blick auf diesen nicht angemessen bekannten Dichter der 70er- und 80er-Jahre. Aber das ist noch das mindeste: Jörg Fausers Lyrik besitzt eine Unmittelbarkeit, einen Sättigungsgrad und eine Deutlichkeit der Bilder, die zum Beispiel auch am gegenwärtigen Punkt dieser Tradition vielen Versen beim Abtasten der Realia abgeht.

Mit den Gesammelten Gedichten Jörg Fausers ist, aller Zeit zum Trotz, ein in jenem ästhetisch positiven Sinne sehr aktuelles Buch vorhanden. Der vorliegende Band erschien 2005 und stellt den vierten Teil der Fauser-Gesamtausgabe dar, die seit 2004 im Berliner Alexander Verlag erscheint. Das massive, fest gebundene Buch versammelt alle greifbaren Verse Fausers. Die beiden zu Lebzeiten des Autors erschienen Gedichtbände stellen nur ein gutes Drittel des Korpus.

Neben den Songtexten, die in den 80ern für Achim Reichel und Veronika Fischer entstanden, finden sich auch Gedichte aus dem Nachlass, die gut hundert Seiten füllen. Wiederum ein knappes Drittel der nachgelassenen Gedichte wurde aus den Manuskripten Fausers ediert und ist in dieser Gesamtausgabe erstmals dem Publikum zugänglich. Im Anhang finden sich ein enthusiastisches Nachwort von Franz Dobler sowie der Abdruck zweier Gespräche, die der Verleger Alexander Wewerka mit Achim Reichel und Veronika Fischer geführt hat.

Eine verslumte, von Betäubungsmitteln aller couleur verheerte und ausweglos triste Welt, wie sie die Bildsprache der Gedichte bestimmt, war Jörg Fauser aus erster Hand bekannt. Der 1944 in Bad Schwalbach geborene Fauser geriet 1966, nachdem er ein Studium der Ethnologie und der Anglistik abgebrochen hatte, in die Abhängigkeit harter Drogen; unstetes Leben in Istanbul, West-Berlin und Frankfurt.

Um 1972 verschob sich die Sucht, allerdings hinein in den Alkohol. Die 80er-Jahre über lebte Fauser in West-Berlin und München, wo er am Morgen nach seinem 43. Geburtstag, als Fußgänger auf der Autobahn, mit 2,64 Promille, von einem Lastwagen überfahren wurde. Der Lyriker Fauser, um den es hier geht, veröffentlichte zwar „nur“ zwei Titel: „Die Harry-Gelb-Story“ (1973) und „Trotzki, Goethe und das Glück“ (1979).

Diese zwei Bände aber enthalten wichtige Dichtungen, nicht zuletzt in Bezug auf den überseeischen Kulturimport, den sie leisteten. Die prägenden Vorbilder der deutschen Nachkriegslyrik rückten hier fort von der europäischen, so genannten Klassischen Moderne, hin zur amerikanischen Tradition eines Charles Bukowski, Jack Kerouac und William S. Burroughs.

Fausers Lyrik montiert und verdichtet gesehene Bilder, aufgefangene Wörter, Orte und Namen zu einem Destillat von knapper Erzählung und erzählender Szene. Mit einem scharfen Blick führen diese Gedichte auf Straßen und Schauplätze bundesdeutscher Tristesse. Die Haltung des lyrischen Ichs zur umgebenden Welt ist dabei nicht einfach und eindeutig: die Welt ist unübersichtlich, und keine Ideologie lindert mehr den Perspektivismus. Aus der Mitte einer revoltierenden, radikal antibürgerlichen Existenz spricht hier der Überdruss am „Anti“ immer schon mit: Fauser war, wie es in dem autobiographischen Roman Rohstoff heißt, ein Außenseiter, der auch bei den Außenseitern auf der Außenseite saß. Das müde Ich packt seine Missgunst in Flüche, in alle Richtungen, nach oben und unten, nach links und rechts oder erzählt knappe Geschichten, deren Figuren sich selbst entlarven.

Das Titelgedicht des zweiten Lyrikbandes beispielsweise, „Trotzki, Goethe und das Glück“, führt die Hardliner, die Mitläufer, die ganze und jegliche Revolution vor. Die Sprache konzentriert sich dabei zu größter Lakonie, ohne einfach zu werden: aus dem Fluchtpunkt einer kleinen Liebesgeschichte entrollen sich ganze Lebensläufe und –haltungen:

 

Kaum war ich von der Spritze runter,

tappte ich in die nächste Falle:

die Revolution.

 

Die Revolution hieß Louise,

hatte unglaublich schmale Hüften,

blitzende Augen, flatterndes schwarzes

Haar, kam aus Paris

und war Trotzkistin.

 

Das Pärchen genießt nun Liebe und Kommunismus in einem besetzten Haus, aber als das lyrische Ich zu sehr genießt, und gesteht, glücklich zu sein, geht alles schief.

 

Und Trotzki? Schrie Louise,

und die Genossen im Knast?

Dein bourgeoises Glück, pah! Bier

und Gedichte, während die Revolution

organisiert wird!

 

Jahre später, nach gewalttätiger Trennung, sitzt Louise nicht im Pariser Zentralkomitee, sondern hat einen Goetheforscher geheiratet, das ist das lapidare Ende vom Lied. Aber bis zum Schluss stellt sich keine polemische Eindeutigkeit her. Alle Wörter sind gesetzt, um sich gegenseitig und das Leben, aus dem sie kamen, zu verunsichern. „Selig / sind die Liebenden, der Rest der Welt / ein Missverständnis“ heißt es in dem wunderbaren Gedicht „Geschichte von der riesigen Finnin“.

Die Gedichte Fausers prägt die Unmittelbarkeit, hinter der viel Arbeit steht und kalkuliertes Niederschreiben, und die sich nicht selbst als bloße Erlebniserzählung auslaugt. Vergleiche finden sich nicht nur in der neueren Literatur. Dieses schönste Paradox der Kunst findet man ja schon in den Zeichnungen von Urs Graf, bei Goethe und Heine, Haydn, was sich durchaus als Kennzeichen der berüchtigten „Hochkultur“ deuten lässt.

Das Verstörende und Überwältigende an Fausers Lyrik ist aber zudem, dass sie – vor diesem biografische Erfahrungshorizont – überhaupt existiert, dass der Textdrang in Fauser stark genug war, um sich aus seinem Leben heraus an den Schreibtisch zu ziehen. Ähnlich abenteuerliche Gestalten, man denke etwa an Rimbaud, hatten das Schreiben über Lust und Misere gleich sein gelassen. Aber vielleicht ist das auch eine deutsche Angelegenheit, dass einer sich so vollständig aus der ihm bekannten Schriftwelt hinauskatapultiert, um sich später, wiederum gestaltend, ästhetisch revolutionär, mit neuen Einflüssen und einem Leben, wie von ganz woanders her, in diese Schriftwelt hineinzukatapultieren.

Von Tobias Roth

Literaturangaben:
FAUSER, JÖRG: Trotzki, Goethe und das Glück. Gesammelte Gedichte und Songtexte. Hg. von Alexander Wewerka. Jörg-Fauser-Edition Band IV. Alexander Verlag, Berlin 2005. 408 S., 24,90 €.

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