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Alles schmeckt nach Abschied – Brigitte Reimann im Porträt

Das Interesse am Werk dieser hoch dekorierten DDR-Autorin ist immer noch lebendig

Von: DENNIS WIPPICH - © Die Berliner Literaturkritik, 26.02.08

 

BERLIN (BLK) – „Brigitte Reimann war eine tapfere, anarchische Frau. Vier Ehen, viel Chaos, viel Trotz und bester Wille, mancher Kompromiß und die Todesangst der Kreatur.“ So charakterisierte Christoph Dieckmann die Schriftstellerin in der „Zeit“ (31/1996). Erst 1998 erschienen die Tagebücher Reimanns. Sie tragen die Titel „Ich bedaure nichts“ und „Alles schmeckt nach Abschied“ und behandeln die Jahre 1955 bis 1970. Die Aufzeichnungen geben nicht nur einen Einblick in das Alltagsgeschehen in der DDR, sondern auch in das an amourösen Eskapaden reiche Leben der Schriftstellerin. Reimann begehrte gegen die Konventionen auf und erlebte zahlreiche Höhen und Tiefen.

Geboren wurde Brigitte Reimann am 21. Juli 1933 in Burg, das bei Magdeburg liegt. Ihr Vater Wilhelm Reimann war der Sohn eines Druckereiarbeiters und gelernter Bankkaufmann. Erst am 10. Oktober 1947 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zu seiner Familie zurück.

Ihre Berufstätigkeit in der damaligen DDR begann sie nach dem Abitur zunächst zwei Jahre als Lehrerin, danach in verschiedenen anderen Berufen, sie arbeitete unter anderem als Buchhändlerin, Sprechstundenhilfe und Reporterin. Im Sinne der Bitterfelder Konferenzen von 1959 und 1964, die vorsahen, dass sich die Literatur, der Arbeitsprozess und das öffentliche Leben miteinander verbinden sollten, lebte Reimann von 1960 bis 1968 in Hoyerswerda. Dort pflegte sie enge Kontakte zu einer Arbeiterbrigade des Kombinats „Schwarze Pumpe“. Von 1968 bis 1973 lebte sie in Neubrandenburg. Auch dort blieb sie in enger Zusammenarbeit mit der Brigade Fock bei VEB Tiefbau der Arbeitswelt verbunden.

Als Autorin trat Reimann erstmals 1955 mit der Erzählung „Der Tod der schönen Helena“ auf die Bühne. Einem größeren Publikum in der DDR wurde sie mit „Die Frau am Pranger“ (1956) bekannt. Darin erzählt sie eine tragische Geschichte einer Deutschen und eines Russen im Zweiten Weltkrieg. Darauf folgten die Erzählungen „Kinder von Hellas“ (1956) und „Das Geständnis“ (1960), in dem ein ehemaliger Hitlerjunge beschrieben wird, der kurz vor Kriegsende einen Deserteur ausliefert und damit die Schuld an dessen Tod trägt.

Im September 1957 unterschrieb Reimann eine Erklärung der Staatssicherheit, die sie zur Mitarbeit unter dem Decknamen „Caterine“ verpflichtet. 1958 ließ sie sich von ihrem ersten Ehemann, Günter Domnik, scheiden, um im darauffolgenden Jahr den Schriftsteller Siegfried Pitschmann zu heiraten. Doch auch diese Ehe hielt nur bis zum Oktober 1964. Es folgten die Ehen drei und vier mit Jon K. und Dr. Rudolf Burgartz (1971-1973).

1962 erhielt sie für ihren Kurzroman „Ankunft im Alltag“ (1961) einen Literaturpreis des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund). Er schildert lebendig die Konflikte junger Abiturienten, die auf einer sozialistischen Großbaustelle ein „praktisches Jahr“ absolvieren. Aus diesem Buch spricht die ungebrochene Überzeugung von der Durchsetzbarkeit eines funktionierenden sozialistischen Staates.

Mit ihrer 1963 erschienenen Erzählung „Die Geschwister“ wurde Reimann auch in der Bundesrepublik bekannt. Ähnlich wie Christa Wolf in „Der geteilte Himmel“ behandelt sie darin das Thema der „Republikflucht“. Während Wolfs Protagonistin ihren Verlobten ohne Widerspruch in den Westen gehen lässt, ist es bei Reimann die Heldin Elisabeth, die die Flucht ihres Bruders vereitelt. 1965 erhielt sie für dieses Buch den Heinrich-Mann-Preis.

In ihren Briefwechseln – zum einen mit Christa Wolf, zum anderen mit der in Amsterdam lebenden Schulfreundin Irmgard Weinhofen – entwarf Reimann, mittlerweile eine kritische Sozialistin, eine gnadenlos ehrliche Innenansicht der DDR. Aber diese lieferten auch ein facettenreiches Bild einer intensiv lebenden, der Leidenschaft des Schreibens ergebenen, heftig liebenden und leidenden Frau.

Brigitte Reimanns Leben wurde von Krankheiten begleitet. Im Schulalter litt sie ein Jahr lang an Kinderlähmung. 1968, mit 35 Jahren, diagnostizierten die Ärzte das erste Mal Krebs.

Am 20. Februar 1973 erliegt Brigitte Reimann in Berlin-Buch ihrem Krebsleiden. Postum erschien 1974 noch ihr unvollendeter Roman „Franziska Linkerhand“, der die Bemühungen einer jungen Architektin aus bürgerlichem Milieu schildert, in einer sozialistischen Umwelt ihren Platz zu erobern.

„Alle ihre Lebenserfahrungen sind in diesem Roman aufgehoben: das Scheitern an den Idealen, die Entwicklung vom sich jugendlich-arglos der Stasi verpflichtenden IM zur angewiderten Aussteigerin, von der Meisterschülerin zur souveränen Künstlerin“, schrieb ihre Biographin Dorothea von Törne in der „Welt“ vom 21. November 1998 und nannte ihren Gesellschaftsroman auch sozialgeschichtlich aufschlussreich.

Dass Reimann als einstige DDR-Schriftstellerin nicht in Vergessenheit geriet und im Westen Deutschlands zunehmend bekannter wurde, belegten die zahlreichen Ehrungen zu ihrem 70. Geburtstag (2003). In Hoyerswerda wurde zu ihren Ehren eine Bibliothek nach ihr benannt und in Neubrandenburg eine Gedenkstätte eingerichtet. Das Interesse am Werk dieser hoch dekorierten DDR-Autorin und ziemlich schillernden Person ist also immer noch lebendig.

Literaturangaben:
REIMANN, BRIGITTE: Das Mädchen auf der Lotusblume. Zwei unvollendete Romane. Mit einem Nachwort von Withold Bonner. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2005. 237 S., 7,95 €.
---: Ankunft im Alltag. Erzählung. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2001. 262 S., 8,50 €.
---: Alles schmeckt nach Abschied. Tagebücher 1964-1970. Herausgegeben von Angela Drescher. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2001. 463 S., 10 €.
---: Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955-1963. Herausgegeben von Angela Drescher. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2000. 428 S., 10 €.
---: Franziska Linkerhand. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 1998. 650 S,. 25 €.
REIMANN, BRIGITTE / WEINHOFEN, IRMGARD: Grüß Amsterdam. Briefwechsel 1956-1973. Herausgegeben von Angela Drescher und Dorit Weiske. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2003. 344 S., 8,95 €.
TÖRNE, DOROTHEA VON: Brigitte Reimann. Einfach wirklich leben. Eine Biographie. Aufbau Taschenbuch, Berlin 2001. 300 S., 8,50 €.

Weblink

Verlag

Dennis Wippich arbeitet als freier Reporter und Rezensent in Berlin für dieses Literatur-Magazin


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