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Als die Zeiten sich zu ändern begannen

Suze Rotolos Erinnerungen an den frühen Song- and Danceman

© Die Berliner Literaturkritik, 06.01.11

ROTOLO, SUZE. Als sich die Zeiten zu ändern begannen. Erinnerungen an Greenwich Village in den Sechzigern. Aus dem Englischen von Paul Lukas. Parthas Verlag, Berlin 2010. 376 S., 24 €.

Von Matthias Reichelt

Ein Liebespaar im winterlich verschneiten Village in New York City, 1963. Er, schlaksig und viel zu dünn bekleidet mit hochgezogenen Schultern und den Händen in den Hosentaschen. Sie, untergehakt, mit ihrem Kopf auf seiner Schulter und den Blick direkt in die Kamera des aus der Bodenperspektive schießenden Fotografen. Don Huntstein war im Auftrag von Columbia Records zur kleinen Wohnung der beiden an der West Fourth Street in New York City geschickt wurden, um für eine zweite Langspielplatte Fotos von dem noch relativ unbekannten Robert Allen Zimmermann zu machen, der bereits unter dem Namen Bob Dylan firmierte.

Dylans Liebe gehörte damals Suze Rotolo, mit der er vom Sommer 1961 bis 1965 zusammen war. Animiert durch Freunde und Scorseses Dokumentation „No Direction Home“ hat Suze Rotolo kürzlich ihre lesenswerten Erinnerungen an die Zeit mit Dylan zu Papier gebracht. Fern davon, irgendwelche anzüglichen Details aus Dylans Geschichte auszuplaudern, liefert sie ein würdiges Bild mit leisen kritischen Tönen von dem Mann, dessen Songs durch alle Interpretationsmaschinen gejagt werden, um daraus Erhellendes für die Gegenwart lesen zu können. In ihren Erinnerungen entsteht das ambivalente Bild von Dylan, der zwar schüchtern und noch etwas grün hinter den Ohren war, aber andererseits über einen sicheren Instinkt für Themen verfügte und seine Karriere zielsicher und ehrgeizig verfolgte. In den fünfzig Jahren seiner künstlerischen Präsenz hat er sich trotz mancher gesellschaftspolitischer Aussagen und Engagements (z.B. für Rubin „Hurricane“ Carter während der Rolling Thunder Revue in den frühen 70er Jahren) immer wieder gerne als unpolitisch gegeben und mit skeptischen Allgemeinplätzen oder religiösen Phasen viele Fans verstört. Zu jener Anfangszeit textete er hochpolitische Songs wie „The Lonsome Death of Hattie Carroll“ oder „Only a Pawn in their Game“, in denen er den Rassismus in den USA anklagte. In „Talkin’ John Birch Paranoid Blues“ nahm Dylan den Antikommunismus ironisch und treffsicher aufs Korn. Den politischen Kontext, der für das Entstehen solcher Meilensteine im Werk Dylans notwendig war, lieferte seine damalige Gefährtin Suze Rotolo. Sie stammt aus einer Familie italienischer Einwanderer, die lange Zeit Mitglieder der Kommunistischen Partei der USA waren und infolgedessen herbe Erfahrungen in der McCarthy-Ära machten. Schwarze Listen, Arbeitslosigkeit, Gesinnungsterror, Gewerkschaftsfeindlichkeit und ein mörderischer Rassismus im Süden kennzeichneten die USA Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre. Suze Rotolo war von der kritischen Haltung der Eltern geprägt, engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung und sammelte ab 1958 für den Congress of Racial Equality (CORE) Geld. Sie konfrontierte den jungen Dylan mit den politischen Themen und nahm ihn zu Veranstaltungen mit. Lange Zeit verschwieg Dylan ihr seinen bürgerlichen Namen. Bereits damals pflegte er gerne den Mythos, früh von zuhause abgehauen und alleine durch die USA gepilgert zu sein, auf der Suche nach dem Blues. In Wirklichkeit war er schnurstracks aus seinem behüteten Elternhaus in Hibbing nach New York gefahren. Als Rotolo zufällig seinen Namen herausfand, zog sie ihn – sehr zu seinem Ärger – mit RAZ, einem Akronym seines bürgerlichen Namens auf. Suze Rotolo wäscht weder dreckige Wäsche noch erzählt sie Intimes aus Dylans Leben. Ihre Anerkennung für Dylans Kunst und seine historische Bedeutung ist im Buch spürbar. Selbstbewusst und mit dem eigenem interessanten Leben ausgestattet, das sie zwischen Theater, Politik und Kunststudium führte, spielte sie aber nie die Rolle der den Künstler anhimmelnden Frau. Das wäre aus einem ganz einfachen Grund nicht möglich gewesen, weil sich Dylans Fama erst allmählich entwickelte. Hier und dort in kleinen Musikschuppen, wie Gerde’s Folk City hatte man ihn ab und an schon auf der Bühne gesehen, aber er war noch weit davon entfernt, ein Star zu sein. Viele Aspekte in Dylans künstlerischer Persönlichkeit sind bereits damals angelegt. Immer wieder dreht Dylan bis heute seine medialen Pirouetten und erneuert den mystischen Schleier, der seine Person umgibt. Mal sondert er skeptische Kommentare zu irgendeinem Thema ab oder verärgert seine Gemeinde, indem er heilige Kühe schlachtet und Songs für kommerzielle Werbung freigibt. Als Künstler und globaler Wanderer auf seinen jährlich ca. 150 Konzerten weltweit präsent zu sein und gleichzeitig ein völlig unbekanntes und rätselhaftes Dasein zu pflegen, entspricht Dylans eigenem Mythos. Da passt es, dass er vor wenigen Monaten in New Jersey aufgegriffen wurde, weil er einsam im strömenden Regen durch eine Suburb spazierte und in die Fenster verkäuflicher Häuser spähte. Gegenüber der von argwöhnischen Nachbarn alarmierten Polizistin konnte er sich nicht ausweisen und diese mit seinem Namen nichts anfangen. Erst der Tourmanager konnte Dylans Pass vorlegen und seine Identität bestätigen. Dylans private Situation ist unbekannt, weil er weder Homestories zulässt und er auch keine Informationen über Beziehungen preisgibt. Deshalb klauben sich Neugierige Textfetzen zusammen und lassen Gerüchte ins Kraut schießen.

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Mit dem Song „Thunder on the Mountain“ und der darin enthaltenen Zeile „I'm wondering where in the world Alicia Keys could be“ meinten die Kaffeesatzleser gleich, eine neue Erkenntnis über sein wahres Leben zu haben. Dylans Hang, sich seine Geschichte und Teile seiner Biografie immer wieder neu zu erfinden, folgte auch der großartige Film von Todd Haynes „I’m not there“. Dort wird in einer Episode Dylans alter ego von einem kleinen schwarzen Jungen gespielt, der mit Gitarre als Song- and Danceman durch die Südstaaten zieht, mit altklugen Sprüchen auffällt und mit seiner Musik imponiert, bis eine schwarze Mama ihm bedeutet, er sei ja noch grün hinter den Ohren, solle sich setzten und essen.

Die berühmte und gleichfalls berüchtigte Neigung Dylans, als Plünderer durch das Musikuniversum zu reisen, findet sich in Anekdoten in Rotolos Erinnerungen. Der Folkie Dave van Ronk war Anfang der 60er Jahre stolz darauf, „House of the Rising Sun“ mit neuem Tempo und andersartiger Phrasierung wiederbelebt zu haben. Dylan, der ihn dabei beobachtet hatte, war davon so angetan, dass er den Song gleich selbst für seine LP aufnahm, obwohl er wusste, dass van Ronk dies für die eigene Platte vorgesehen hatte. Die Beziehung zwischen beiden war dann auch kurzfristig getrübt.


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