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„Am Rubikon“ von André Müller sen. neu aufgelegt!

Eine groteske Realsatire über die 68er-Bewegung

© Die Berliner Literaturkritik, 12.08.08

 

Von Frauke Kaberka

Was für eine Zeit! Deutschland – zumindest der Westhälfte – ging es vor 40 Jahren blendend. Zu gutbürgerlich für einige, um nicht übermütig zu werden. Und Deutschland war bieder. Zu bieder für andere, um nicht aufmüpfig zu werden. Die „68er“ - eine logische Folgeerscheinung der vorangegangenen Epochen? Der Dramatiker, Theaterkritiker und Romancier André Müller sen. zerlegt in seinem Roman „Am Rubikon“ genüsslich das gern von den „jungen Wilden“ einst und heute hochstilisierte Synonym für Freiheitlichkeit, Freigeist und Freizügigkeit. Er führt die den 68ern zugestandenen revolutionären Aktionen, wie Umkrempeln der verstaubten Ordnungen, notfalls auch durch anarchistische Strukturen, ad absurdum – mit viel Sympathie.

„Am Rubikon“ – bereits 1975 in kleiner Auflage erschienen und nun wieder vom Verlag André Thiele ins Programm aufgenommen – ist der 68er-Roman schlechthin. Jahrzehnte nach dieser bemerkenswerten und von so manchem verteufelten Zeit, führt Müller zurück in den Westberliner Alltag des Jahres 1968. In die (fiktive) Kommune V, die – im Gegensatz zur (einst realen) berühmt-berüchtigten Kommune I – weder der freien Liebe frönt, noch ernsthaft eine revolutionäre Umgestaltung des Landes anstrebt. Der Gedanke ist da, natürlich. Doch bedarf es dazu mehr als kleiner Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Alle Initiativen enden mehr oder weniger im trägen Nichtstun – oder in Therapiestunden für sexuell und anderweitig Frustrierte. Keiner will den Rubikon überschreiten. Keiner außer Bodo. Und der ist Polizeispitzel. Ein ehrenwerter. Denn Bodo ist Spitzel aus Überzeugung. Es ist eine gute Sache, Bomben gegen die Amis hochgehen zu lassen, denkt sich Bodo – denn damit kann er seinem Polizei-Boss Biermann endlich Munition gegen die Kommune V in die Hand geben.

Deren (vages) Ziel ist schließlich der Kommunismus, und Kommunismus ist schlimmer als der Vietnamkrieg, kapitalistische Ausbeutung und auch sonst alles. Auch wenn dabei ein paar unschuldige Menschen ums Leben kommen – Kollateralschaden eben. Und so treibt Bodo, angeheizt vom Karriere-besessenen Hintermann Biermann, die Planung für ein Bombenattentat voran, ausgerechnet mit Unterstützung des umtriebigen und schlitzohrigen Stefan Heyer – Neu- Kommunarde. Heyer will das notwendige Geld auftreiben – mit Hilfe eines illegalen Druckereibetriebes in der Kommune und der Verbreitung illegaler Schriften.

Gut lässt sich das Geschäft an. Die eingenommenen Gelder bewahrt Stefan ausgerechnet bei seinem Cousin auf, einem Neo-Nazi. Natürlich hat er nicht die Absicht, damit ein politisches Attentat zu finanzieren – nicht etwa aus Abscheu vor Gewalt – Skrupel kennt Heyer nicht. Nein, mit dem Geld möchte der Ex-Zuhälter gern ein gewinnträchtiges Bordell einrichten. Doch es kommt alles ganz, ganz anders – sogar zur Mutierung eines Staatsdieners zum Mitglied der Roten Armee.

Wer Spaß an geschliffener Beweisführung hat – und wenn sie noch so grotesk ist –, wer brillanten Sprachwitz liebt und Situationskomik, kurz: wer Geschichtsunterricht der besonderen Art bevorzugt, der findet alles hier bei André Müller sen. „Am Rubikon“ ist eine köstliche Lektüre, die zu Unrecht so lange im Verborgenen schmorte.

Der 40. Geburtstag der 68er-Bewegung ist ein guter Anlass, die Realsatire und ihren Verfasser, übrigens ein geschätzter Shakespeare-Kenner, wieder zu entdecken.

Literaturangaben:
MÜLLER, ANDRÉ sen.: Am Rubikon. Verlag André Thiele, Mainz am Rhein 2008. 300 S., 14,90 €.

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