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Amerika, Amerika!

Der neue Roman „Empörung“ des amerikanischen Bestsellerautors Philip Roth

© Die Berliner Literaturkritik, 23.03.09

 

Nach seinem letzten, fast als Abgesang empfundenen Roman „Exit Ghost“, in dem das langjährige und immer wieder kehrende Alter Ego von Philip Roth, Zuckermann, sich verabschiedete, steht in diesem neuen Roman ein unbekannter Junge von neunzehn Jahren im Zentrum der Aufmerksamkeit. Marcus Messner, Sohn eines koscheren Metzgers, beginnt nach dem erfolgreichen Abschluss der Highschool 1951 ein Studium am College Robert Treat in Newark, wo er mit seinen Eltern lebt. Zu dieser Zeit erschüttert der Koreakrieg eine ganze Generation von jungen Männern, die sich auf dem Schlachtfeld enden sehen.

Zuerst arbeitet Marcus noch im Laden in trauter Gemeinschaft mit dem Vater, schlachtet Hühner, Lamm und anderes Vieh, dekoriert das mit gebrochenen Eistücken ausgelegte Schaufenster und schuftet bis zum Umfallen. Das überall verspritze Blut besudelt ihn und verfolgt ihn bis in seine nächtlichen Träume. Wie ein roter Faden zieht das Blut seine Spur durch die Geschichte.

Neuerdings zeigt sich eine unerträgliche Ambivalenz im Verhalten des Vaters: einerseits der Stolz auf den einzigen Sohn und ersten Akademiker in der Familie, andererseits fast eine Besessenheit, den Sohn vor allen möglichen Untaten und Gefahren zu bewahren.

Marcus versucht sich aus den Klauen des Alten zu befreien, der ihn mit seiner Fürsorge, Behütung und beängstigenden Kontrolle zu ersticken droht. Er wechselt in das christliche College Winesburg nach Ohio und bleibt dort zunächst noch der brave Vorzeigesohn. Dann beginnt die Rebellion gegen jegliche Einengung und Bevormundung: er ist jung, männlich und Jude und begehrt auf gegen die Beklemmungen, denen er sich im College ausgesetzt sieht. Die Auseinandersetzung mit dem Dekan der Universität in Winesburg, der Marcus regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes ermahnt und ihn in die soziale Gemeinschaft der Mitstudenten zwingen will, gehört zu den eindrucksvollsten Passagen des Romans. Glänzend sind die Dialoge, in denen Marcus Messner seine soziale und geistige Freiheit gegen die bigotte und anmaßende Gläubigkeit des Dekans verteidigt. Das Damoklesschwert des Kriegsdienstes schwebt fortwährend über dem renitenten Studenten.

Eine kurze und komplizierte Liebesaffäre bringt den jungen Wilden ganz aus dem Konzept. Rebellisch und übermütig beginnt die Studentenschaft eines Abends eine Schneeballschlacht, die in sexuell -fetischistischen Ausschreitungen endet und zur Folge hat, dass der Lehrkörper die vermeintlichen Rädelsführer vom College verweist. Der gefürchtete Kriegseinsatz wird unausweichlich.

Hier führt die Erzählung zu einem makaber absurden Bruch. Es sind die alten Themen des Schriftstellers Philip Roth: Geborgenheit und Ruhe gegen Freiheit, Bedrohung, Libertinage und Untergang.

In diesem schmalen Buch, das mehr einem Entwicklungsroman denn einem Gesellschaftspanorama gleicht, kann Philip Roth seine ihm eigenen Themen noch einmal aus der Jugendperspektive abhandeln. Brillant und differenziert richtet sich sein Blick auf die Triebe und inneren Kämpfe des jungen Marcus, den ein bedauernswertes Schicksal ereilt.

Ressentiments und Diskriminierung, Jenseitsvorstellungen und ein kritischer Blick auf den Durchschnittsamerikaner bieten Anschauungsunterricht die Fülle, um mit Distanz den menschlichen Trieben, ihren Auswüchsen und dem persönlichen Desaster einzelner zu begegnen. Die honorige und konservativ unbewegliche amerikanische Mittelstandsgesellschaft und die ebenso veralteten Vorstellungen der Professoren am College werden in der Prosa von Philip Roth mit bissiger Kritik bedacht.

Philip Roth zeigt erneut seine Größe als unerbittlicher Gesellschaftsbeobachter und Kritiker, der hinter die Fassaden bürgerlicher Anständigkeit blickt und die tiefsten Abgründe menschlichen Seins auszuloten versteht.

Von Claudine Borries

Literaturangaben:
ROTH, PHILIP: Empörung. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Hanser, München 2008. 208 S., 17,90 €.

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