Schreckensbilder des Terrors bringt das Fernsehen seit dem 9. September 2001 fast täglich frei Haus. Nicht als wenn es vorher keine Attentate, keinen Krieg gegeben hätte; die Archivare des Schreckens listen mehr als hundert "kleine" Kriege und unzählige Terroranschläge seit 1945 auf. Doch wir konnten die meisten davon verdrängen, fanden sie doch, wie es die Kannegießer und Bürgersleut' bei Goethe sagen, ehe sie selbst zu Flüchtlingen werden, "weit hinten in der Türkei" statt. Und obwohl uns diese "Türkei", wenn wir Nordirland, Bosnien, Korsika und Baskenland sagen, schon bedenklich nahe kommt, war sie doch stets in sicherer Entfernung. Das World Trade Center in New York jedoch ging uns als Symbol des "Westens" unter die Haut, wir gehören dazu.
Seit die Vereinigten Staaten daraufhin nicht nur einen "Krieg gegen den Terror" ausriefen, sondern auch einen gegen den Irak und damit einen Guerillakrieg heraufbeschworen, den bis an die Zähne bewaffnete Armeen nicht gewinnen können, steigt die Zahl der Experten, die uns erklären, warum es so kam und was man dagegen tun kann. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein neues Buch erscheint, in dem Berufene und weniger Berufene sich äußern - ganz zu schweigen von den Talkshows, in denen Teilwahrheiten in kleinen Häppchen unter die "Coach-Potatoes" gebracht werden, die wir alle sind.
Gerühmter Journalist
So klärt uns der bei der "Süddeutschen Zeitung" arbeitende, als investigativer Journalist gerühmte Hans Leyendecker auf über "Die Lügen des Weißen Hauses". In seinem offenbar rasch geschriebenen Buch steht wenig, was gut orientierte Zeitungsleser nicht bereits wüssten. Die Absicht seines Buchs ist eindeutig: Es wirbt für einen Kurswechsel der USA und die Abwahl des Präsidenten George W. Bush am 2. November 2004. "Eine Fifty-fifty-Nation streitet über Terrorbekämpfung, Homosexuellen-Ehe, Abtreibung, Schulgebet, Todesstrafe und Steuerpolitik. Dass dies mit solcher Erbitterung geschieht, hat einen tieferen Grund: Die Vereinigten Staaten streiten um einen Neuanfang. Und sie brauchen ihn." Dummerweise können wir dabei unsere Stimme nicht abgeben.
Leyendecker stellt zunächst das Personal vor, das den Krieg gegen den Irak zu verantworten hat: Vom Präsidenten und Oberbefehlshaber George W. Bush über seinen Vize Dick Cheney, seine Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice, den Ideologen und stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und dessen Chef Donald Rumsfeld, den "Einpeitscher" Richard Perle und den zwischen Realismus und Anpassung navigierenden Außenminister Colin Powell. Leyendecker analysiert außerdem den Einfluss, den die ausführlich in ihrer Herkunft beschriebenen konservativen "Denkfabriken" auf Bushs Politik haben. Diese Kapitel enthalten treffende biografische und psychologische Einsichten und machen mit den Entscheidungsprozessen bekannt, die schließlich zum Krieg gegen den Irak führten.
Erst auf diesem Fundament analysiert Leyendecker die "Lügen" im einzelnen, Lügen die Sicherheitsexperten wie Richard Clark, Journalisten wie Bob Woodward und Seymour Hersh in vielen Artikeln und eigenen Büchern aufgedeckt haben. Lügen, mit denen die einzige nach dem Kalten Krieg übrig gebliebene Weltmacht auch illegale Praktiken rechtfertigt, darunter das Gefangenenlager in Guantanamo, die Folterungen von Abu Ghraib und der "Patriotic Act", der die Rechte der US-Bürger beschneidet. Amerika ist im Krieg und für jene Konservativen, die im Namen ihres "Gottes" zu handeln sich anmaßen, sind in einem solchen Krieg nahezu alle Mittel erlaubt. Lange schien es so, als wären sie auch Amerikas Bürgern recht, so tief sitzt der Schock vom 11. September. Dies beginnt sich jedoch zu ändern; die USA sind immer noch ein demokratisches Land. So widmet Leyendecker dem demokratischen Herausforderer Bushs, John Kerry ein eigenes aufschlussreiches Kapitel.
Es ist Leyendecker gelungen, das verschlungene Motivgewirr, das zu Fehlentscheidungen und eben Lügen führte, auch für Leser ohne Experten-Wissen zu entwirren. Wie ein in weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung tief verankertes religiöses Erwählungsbewusstsein sich mit höchst handfesten ökonomischen Interessen verbindet, das kann man in diesem Buch nachlesen.
Wirtschaftliche Perspektive
Von den Wirtschaftsinteressen der Kontrahenten in diesem "Krieg" handelt "Die Ökonomie des Terrors", der vorwiegend in den USA lebenden italienischen Wirtschaftswissenschaftlerin Loretta Napoleoni, die lange für internationale Banken und die UNO gearbeitet hat. Sie analysiert am Ende von mehr als zehn Jahre dauernden Recherchen mit dem Instrumentarium ihres Fachs die vielfältigen Terrornetzwerke unserer Zeit - nicht nur das der Islamisten. Bei ihr kommen auch andere um Unabhängigkeit kämpfende und religiöse Gruppen vor: Iren, Albaner, Korsen, die ETA - allesamt Gruppen, die ihre Ziele mit Waffengewalt durchsetzen wollen. Napoleonis These, die sie an zahlreichen Beispielen belegt, lautet: Der moderne Terror ist eine Folge der Kolonialkriege und des Kalten Kriegs sowie der verhängnisvollen Entscheidung amerikanischer Regierungen von Carter bis Clinton, nicht bereits den ersten Anschlag auf das World Trade Center als Akt eines unerklärten Krieges angesehen zu haben, sondern vielmehr als eine unter die Strafgesetze fallende Tat von Einzelnen.
Napoleoni untersucht die "Privatisierung des Terrors", die in die Zeit des Präsidenten Reagan und des Zusammenbruchs der UdSSR als Weltmacht fällt. "Bei der Privatisierung der Gewalt bestimmt eine bewaffnete Gruppe ihre eigene Strategie, setzt sich Ziele und sucht sich Unterstützer in einem bestimmten Sektor der Gesellschaft." An die Stelle der Stellvertreterkriege, mit denen die Großmächte versuchten, die gegnerische Seite zu schwächen, ist demnach also ein selbst bestimmter Kampf getreten. Das schließt freilich nicht aus, auch militärische und finanzielle Hilfe von solchen Mächten anzunehmen, die mit diesem Kampf sympathisieren, sei es aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen. In letzter Konsequenz führt das zum Entstehen von terroristischen "Schattenstaaten", die sich wie Parasiten bestehender Staaten bedienen und sie dominieren oder gar vernichten. Sie "formieren sich um die Kriegswirtschaft als Folge des bewaffneten Kampfes. Das heißt, die Wirtschaft steht an oberster Stelle, weil sie zur Fortführung des Kampfes benötigt wird."
Das bedeutet, dass alle nur möglichen illegalen Mittel wie Schmuggel, Erpressung, Entführung, Drogen- und Waffenhandel benutzt werden, aber auch legale: der Geldtransfer mittels westlicher Banken, Investitionen auf den Finanzmärkten, Monopole in unterentwickelten Ländern und anderes. Wie gut das funktioniert, kann man bei Napoleoni im Einzelnen erfahren. Ihre Beispiele sind so schlagend wie beängstigend, etwa wenn es um das "Vermögen" von Arafats PLO geht oder den Weg, den arabische Kämpfer von den Lagern im Libanon über die in Afghanistan bis hin zu den Terror-Kommandos genommen haben, die nun aus "Schläfern" in denjenigen Staaten rekrutiert werden, denen der Kampf gilt.
Neue Kreuzzüge
Die Autorin sieht in den islamistischen Gruppen eine quasi seitenverkehrte Wiederholung der christlichen Kreuzzüge des frühen Mittelalters:
"Sie hatten der Not leidenden Bevölkerung Westeuropas eine Chance eröffnet, dem Tod zu entrinnen, vom Krieg zu profitieren und etwas für das eigene Seelenheil zu tun. Heute ist angesichts einer düsteren Zukunft und einer von der Ausbeutung durch den Westen überschatteten Vergangenheit das Versprechen für alle, die sich am Krieg beteiligen – an der weltweiten islamistischen Rebellion, die ich als den modernen Dschihad bezeichne – ähnlich verlockend: Lohn und Brot, eine Aufgabe und ein Lebenszweck, die längerfristige Aussicht auf ein besseres Leben und selbst im Tod den Nimbus des Märtyrers."
Dabei ist Napoleoni zufolge das Selbstmordattentat die bei weitem "kostengünstigste" Kampfform, so vor allem am 11. September 2001: "Lediglich 19 Flugzeugentführer und ein Budget von schätzungsweise 500.000 Dollar waren nötig, um nahezu 3.000 Menschen zu töten und den westlichen Gesellschaften eine nicht mehr verheilende Wunde zuzufügen."
In diesem tödlichen Konflikt sei der Märtyrertod das höchste moralische Ziel, das Flüchtlinge etwa in den palästinensischen Lagern erreichen könnten. Paradoxerweise stelle der Tod die Würde wieder her, die sie mit dem Land und der daran gebundenen politischen Identität verloren hätten. So falle es nicht schwer, immer wieder junge Leute zu finden, die zu Selbstmordattentaten bereit sind. Diese ahnen dabei kaum, welche Kräfte im Hintergrund, welche schmutzigen Geschäfte sie damit fördern. Napoleoni ist davon überzeugt, dass das "Hauptangriffsziel der politisch-islamistischen Gewalt nicht der Westen ist, sondern es sind die prowestlichen Regime in muslimischen oder überwiegend muslimisch bevölkerten Ländern."
Ölkonzerne mischen mit
Die Art und Weise, in der westliche Ölkonzerne sich in die Konflikte in Krisengebieten eingemischt haben und einmischen, die Taliban oder Saddam Hussein fördern oder stürzen, ist für die Autorin, die diese Verflechtungen ausführlich behandelt, ein Beweis für die Richtigkeit ihrer These. Über die Analyse der "Ökonomie des Schattenstaats" kommt sie zu ihren weitreichenden Folgerungen. Doch als Gegenmittel hat sie kaum mehr anzubieten als eine langsame Trockenlegung der Finanzströme - eine schnelle, wenn sie denn gegen den Widerstand all derer, die in den USA, Europa, Arabien daran verdienen, überhaupt möglich wäre, würde ihrer Meinung nach zu einer unbeherrschbaren Weltrezession führen.
Napoleoni zeigt, wie man aus der genauen Analyse ökonomischer Daten Einsichten in einen Kampf gewinnt, der wohl lange dauern wird. Da hat Bush jr. Recht, auch wenn er daraus die falschen Folgerungen gezogen hat: Jetzt ist Al Quaida im Irak eine Macht, die womöglich dort solch einen "Schattenstaat" errichten kann. Unter dem Massenmörder Saddam Hussein gab es Bin Ladens weit verzweigtes Netzwerk im Irak noch nicht, jetzt wohl. Darin sind sich alle Experten einig, selbst die der CIA.
Bushs Berater mögen, ökonomisch kalkulierend, darauf gehofft haben, mit der Eroberung des Irak die Ölversorgung des Westens sichern zu können, selbst für den Fall, dass Saudi-Arabien in die Hände der Islamisten fiele, jenes Saudi-Arabien, dessen Herrscher an viele terroristische Banden Schutzgeld in Milliardenhöhe gezahlt und Waffen, Moscheen sowie Koran-Schulen in aller Welt finanziert haben in der Hoffnung, selbst verschont zu bleiben. Doch wie lange sich die diktatorisch herrschenden Prinzen mit ihrer "westlichen Dekadenz" (so Bin Laden) und ihrem besonders rigiden wahhabitischen Islam noch halten können, ist ungewisser denn je. So ungewiss, wie die "demokratische Zukunft" eines Irak, den sich Neo-Konservative in ihren Washingtoner Gelehrtenstuben erträumen.
Theologischer Hintergrund
Mark Juergensmeyer, ein in Kalifornien lehrender Soziologe mit offenbar theologischem Hintergrund, verspricht in seinem Buch "Terror im Namen Gottes" einen "Blick hinter die Kulissen des gewalttätigen Fundamentalismus". Es handelt sich bei seinem Buch um eine vergleichende religionssoziologische Studie, in der er darzustellen sucht, was den verschiedenen Terrorgruppen in aller Welt gemeinsam ist, von Belfast bis Kabul, von Djakarta bis Bagdad, von Grosny bis Algier. Juergensmeyer will zeigen, wie religiöse Vorstellungen instrumentalisiert werden, aber er will keine "Verurteilung der Religion" an sich. Sein Fazit lautet vielmehr, dass sich die Politik durch Religion "heilen" ließe: "Seltsamerweise scheint das Mittel gegen religiöse Gewalt nur eine neuerliche Wertschätzung der Religion selbst zu sein." Bis er zu diesem letzten Satz seines Buchs kommt, hat er einen weiten Weg zurückgelegt.
Juergensmeyer hat mit vielen Vertretern der religiösen Gruppen - auch terroristischen - gesprochen, und er zeigt, welche katastrophalen Auswirkungen es hat, wenn die Religion selbst zum Kampfstoff wird. Er hat die fundamentalistischen Sekten in den USA mit ihren gewalttätigen Ideologien und Praktiken, die beispielsweise zu Timothy McVeighs Bombenanschlag in Oklahoma und der tödlichen Jagd auf Abtreibungsärzte führten, genauso beobachtet, wie irische Katholiken und Protestanten, arabische Sunniten, Schiiten und Wahhabiten. Er macht uns mit fundamentalistischen Juden wie dem Rabbi Kahane und jenem Massenmörder Goldstein bekannt, der im von Israel besetzten Gebiet Dutzende Muslime beim Freitagsgebet in der Moschee umbrachte, und mit den von Israel gezielt getöteten Hamas-Führern Scheich Jassin und Abdel Asis Rantisi. Der Autor zeigt, wie sich die Waage im Gaza-Streifen und auf der Westbank zugunsten der religiös unversöhnlichen, aber auch um die Wohlfahrt ihrer Anhänger sorgenden Hamas zu senken beginnt, wie die PLO Arafats, säkular orientiert und korrupt, an Einfluss verliert, was Scharon angesichts seines Plans, sich aus Gaza zurückzuziehen, mit Raketenanschlägen zu verhindern sucht. Er war in Ostasien, in Judäa und Alabama – er kennt die ideologischen Substrate aus Rassenhass, Fremdenhass, falsch interpretierten heiligen Schriften, Märtyrertum und politisch-ökonomischer Hoffnungslosigkeit genau. Er spart nicht mit Kritik an jeder Art von gewalttätiger Aktion und versucht dennoch, die Motive zu verstehen, die die militanten Gläubigen der jeweiligen Religion antreiben, und die Vorstellungen, die hinter den Aufrufen ihrer Anführer zum "heiligen Krieg" stehen. Ökonomische Faktoren spielen in diesem Buch nur eine untergeordnete Rolle – insofern kann man es als Ergänzung dessen lesen, was Napoleoni herausgefunden hat. Für alle diese Kämpfer gibt es keine "Unschuldigen", sind alle Tötungsverbote, die in den heiligen Büchern der monotheistischen Religionen zu finden sind (auch im Koran) außer Kraft gesetzt.
Rolle des TV
Juergensmeyer geht auch auf die "Inszenierungen" der Gewalt ein, die in einem westlich geprägten medialen Zeitalter dem "Anliegen" erst die notwendige Resonanz verschaffen und den Feind bloßstellen und schwächen. Er gräbt sogar in der Religionsgeschichte und belebt die alte These, dass am Ursprung jedes religiösen Kultes das Menschenopfer stand, welches durch symbolische Rituale humanisiert wurde und in den Selbstmordattentaten unverhüllt zurückkehrt. Der Autor macht, psychoanalytisch geschult, auf das Potential an Macho-Gewalt aufmerksam, das fast allen diesen Gruppen eigen ist. Der die eigene Existenz aufs Spiel setzende Anschlag wird zum letzten Mittel der Selbstbestätigung in dem, was er den "kosmischen Krieg" nennt. "Wer einer Kultur der Gewalt angehört und sich an solchen Ermächtigungstaten beteiligt, wenn auch nur indirekt, darf den Überschwang der Hoffnung erleben, das Blatt der Geschichte könne sich irgendwann zu seinen Gunsten wenden." Doch gleichzeitig nimmt er an, dass Gewalt als Mittel, effektiv vorhandene Benachteiligungen und Demütigungen zu tilgen, noch stets in der Geschichte das verzweifelte Endstadium einer Entwicklung darstellte, in der vorher Vernunft und Gerechtigkeit verraten wurden. Der "Sieg", so feurig er auch gepredigt werden mag, ist in weite Ferne gerückt; es regiert die Aussichtslosigkeit mit ihrem mörderischen Heroismus.
Juergensmeyer zweifelt allerdings daran, dass es eine zwingende kausale Verflechtung zwischen terroristischer Gewalt und ökonomischer Benachteiligung gibt, da findet er sich im Gegensatz zu Napoleoni. Es bedürfe einer Kombination vieler Faktoren, um den Terror auszulösen; seine Gefolgsleute müssten die Zurücksetzung am eigenen Leib erfahren haben, und ihnen müsse ein "religiöses und politisches Vokabular" zur Verfügung stehen, in dem sich ihre Frustration artikulieren lasse. Davon ist viel im Umlauf.
Der Autor sieht drei Ursprünge der "Kultur der Gewalt": erstens die europäische Aufklärung mit ihrer Trennung von Religion und Politik sowie der profunden Religionsfeindlichkeit vieler Aufklärer, zweitens die ausbeuterischen Kolonialstaaten mit ihrer Verachtung der von ihnen Unterworfenen, drittens die kapitalistische Globalisierung mit ihrem ungezügelten Profitstreben.
Wenn am Grunde von Napoleonis Überlegungen und Recherchen zuweilen ein aufgeklärter Marxismus spürbar wird - sie ist eine Schülerin von Noam Chomsky -, so tritt bei Juergensmeyer eine christliche Prägung zutage, die sich freilich all jener wissenschaftlichen Methoden bedient, die auch eine Errungenschaft der Aufklärung sind. Von einer gutwilligen Vorurteilslosigkeit beseelt, grenzen seine Schlüsse zuweilen an Naivität, im besten Fall haben sie etwas von gelassener Weisheit, einer seltenen Tugend in diesen Zeiten.
Beide Autoren wollen vor Illusionen ebenso warnen wie vor unüberlegten, kontraproduktiven Gewaltreaktionen auf den Terror. Ihr Anliegen ist ebenso wie das Leyendeckers, der Politik und der öffentlichen Meinung verlässliche Daten über sehr komplexe Vorgänge zu liefern und damit allen gefährlichen Simplifizierungen den Boden zu entziehen.
Krisenherd Nahost
Dass die globale Terrorwelle auch mit dem Krisenherd in Nahost verbunden ist, wo sich Palästinenser und Israelis feindselig gegenüberstehen, verdeutlicht das glänzend recherchierte Buch "Jerusalem – Der Kampf um die heilige Stadt" von Bernard Wasserstein. Der in Oxford lehrende Historiker will darin erklären, wie es zu der jetzigen, aussichtslos erscheinenden Situation in Israel und Palästina kommen konnte. Er beschreibt das Jerusalem, das für alle drei monotheistischen Religionen eine besondere Bedeutung hat und zeigt, wie sich diese im Lauf der Jahrhunderte seit der Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. C. verändert hat. Dabei konzentriert er sich auf "die Jerusalem-Frage in der internationalen Diplomatie". Denn mindestens seit dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts stand dieses Problem ständig auf der Tagesordnung. "Weshalb ist die Jerusalem-Frage allem Anschein nach so unlösbar? Worum handelt es sich bei den diversen Elementen, die so viele Mächte und Interessen mobilisiert haben? Wie erklären sich die tiefen Gräben zwischen den einzelnen Gruppen in der städtischen Bevölkerung?"
Wasserstein sucht Antworten. Dazu muss er das internationale Kräftemessen, dessen Spielball Jerusalem wurde, genau nachzeichnen. Um 1870 hatte die Stadt, die zum Osmanischen Reich gehörte, rund 22.000 Einwohner, bis 1914 wuchs sie auf 70.000. Der größte Teil der Zuwanderer waren Juden. Die sephardische Kolonie hatte im achtzehnten Jahrhundert nur etwas über tausend Mitglieder, dann kamen askenasische Juden aus Osteuropa hinzu, die jüdische Gemeinde wuchs auf etwa 45.000 Mitglieder. In ganz Palästina waren es 85.000, bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von etwa 790.000 Menschen. Im gleichen Zeitraum wuchs auch die Zahl der Christen in der Stadt auf etwa 12.000, die der Muslime blieb ein wenig darunter. Im Jahr 2000 hatte die Stadt 439.600 jüdische, 196.900 muslimische und 14.200 christliche Einwohner. Jerusalem war zur Großstadt geworden.
Wasserstein untersucht die Machtverhältnisse in der Stadt, in der im Lauf der Jahrhunderte die Christen verschiedener – einander meist bis zum Blutvergießen befehdender - Denominationen ("Lateiner", Russisch- und Griechisch-Orthodoxe, Protestanten) immer mehr an Einfluss gewannen, obwohl Palästina Teil des Osmanischen Reiches war. Jede dieser Kirchen hatte ihre eigenen Protektoren unter den europäischen Mächten, die ein Wort mitreden wollten, wenn es um die Teilung der weltlichen Macht in der Stadt und die Aufsicht über die Heiligen Stätten ging, die "Grabeskirche" vor allem, die man schließlich eckenweise aufteilte. Da wurden absurde diplomatische Hahnenkämpfe ausgetragen, bei denen es etwa darum ging, wer an hohen Feiertagen die Prozessionen anführen durfte. Unvergessen bleibt der Besuch des Deutschen Kaisers Wilhelm II., "der 1898 hoch zu Ross durch eine speziell für ihn neben dem Jaffator in die Mauer geschlagene Bresche einritt. Am Ende des Jahrhunderts war Jerusalem zum attraktiven Reiseziel nicht nur der europäischen Aristokratie, sondern auch bürgerlicher Touristen und demütiger Pilger geworden."
Dann kam der Erste Weltkrieg, in dessen Verlauf die Briten sowohl den Juden, als auch den Arabern weitreichende Versprechungen machten, damit sie die Alliierten im Kampf gegen die deutsch-türkische Allianz unterstützten. Es wurden Pläne gemacht für einen palästinensisch-jüdischen Staat oder die Teilung des nach der Installierung der Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs (Syrien, Libanon, Ägypten, Jordanien) übrig bleibenden "Mandatsgebiets", das sich die Briten vorbehielten. Theodor Herzls zionistische Bewegung hatte viele neue Einwanderer ins Land gebracht, wobei er selbst und die Gründer der Bewegung, wie Wasserstein nachweist, keineswegs Jerusalem als politische Hauptstadt einer "jüdischen Heimstatt" ansahen. Herzl selbst hatte ja den europäischen Mächten angesichts des in den russischen Pogromen und der Dreyfus-Affäre zutage getretenen Antisemitismus sogar vorgeschlagen, die Juden in Uganda anzusiedeln, wenn sie nur einen eigenen "Staat" bekämen, in dem sie ohne Unterdrückung und Furcht leben könnten.
Holocaust
Was auch immer in den diplomatischen Ränkespielen verhandelt wurde, Jerusalems Bewohner kamen darin allenfalls als Objekte ausländischer Interessen vor. Sie hatten nichts zu sagen. Das galt für Muslime, Juden und Christen, obwohl jede der drei Religionen dort Stätten besonderer Verehrung reklamierte: die Christen die Grabeskirche und zahlreiche Klöster, die Juden die Klagemauer an der Stelle, wo einmal der Tempel stand, die Muslime den Felsendom und die Al-Aqsa Moschee. Pilgerstätten allesamt.
Erst der Zweite Weltkrieg und der Holocaust veränderten die Lage total. 1947 wurde der Staat Israel ausgerufen und begann der erste israelisch-arabische Krieg, der mit dem Sieg Israels und der Vertreibung von Hundertausenden Muslime endete. Zugespitzt ließe sich sagen, dass sich das palästinensische Volk als Entität mit eigenem Selbstverständnis erst in den Flüchtlingslagern bildete. Vorher gab es dort nur verschiedene arabische Stämme. Nun aber stehen zwei "Völker" im Krieg, die beide dasselbe Territorium für sich beanspruchen. Und das in den Kriegen geteilte "heilige" Jerusalem zumal.
Alle Pläne ausländischer Mächte und der UNO sind damit zunichte gemacht geworden. Israel baut eine Mauer gegen die Selbstmordattentäter der Hamas, des Dschihad und der Al-Aqsa-Brigaden und greift dabei auch über die bis heute gültigen Grenzen zwischen seinem und dem Gebiet der "palästinensischen Selbstverwaltung" hinaus, um Siedlungen zu schützen, die es selbst in den vergangenen Jahrzehnten zuließ. Das Konzept "Land für Frieden" ist tot.
"Plötzlich sind die Aussichten für eine Einigung, sei es hinsichtlich der Jerusalem-Frage oder des weiteren Konflikts, dessen Herzstück die Jerusalem-Frage ist, düsterer denn je. Aber Gewalt kann keine langfristige Lösung bringen; sie kann sie auch nicht verhindern, nur verzögern."
So schließt Wasserstein sein Buch, aus dem sich lernen lässt, wie eine von Symbolik und den Versäumnissen der Großmächte geprägte Politik pragmatische Lösungen verhindert. Jerusalem ist der Brennpunkt eines Konflikts, der mit Terror und Gegenterror weit mehr als den Nahen Osten erschüttert. Ehe der "Kampf gegen den Terror" gewonnen werden oder in allgemeiner Erschöpfung absterben kann, wird dieser Konflikt gelöst werden müssen.
Literaturangaben:
JUERGENSMEYER, MARK: Terror im Namen Gottes, Herder Verlag, Freiburg 2004, 384 Seiten, gebunden.
LEYENDECKER, HANS: Die Lügen des Weißen Hauses, Rowohlt Verlag, Hamburg 2004, 224 Seiten, broschiert.
NAPOLEONI, LORETTA: Die Ökonomie des Terrors, Verlag Antje Kunstmann, München 2004, 446 Seiten, gebunden.
WASSERSTEIN, BERNARD: Jerusalem – Der Kampf um die heilige Stadt, C.H. Beck Verlag, München 2004, 432 Seiten, gebunden.