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Anatomie der Macht in den USA

Thomas Grevens Studie der Republikaner innerhalb des politischen Systems der USA

© Die Berliner Literaturkritik, 22.11.04

 

Four more years! Die Befürchtungen des überwiegenden Teils der deutschen Öffentlichkeit sind mit der Wiederwahl George W. Bushs wahr geworden. Dass diese Befürchtungen mehr auf Stereotypen und einer diffusen Angst vor Bush als auf fundierten Kenntnissen der US-amerikanischen Politik, ihrer Strukturen, Akteure und Tendenzen basierten, wurde im Wahlkampf überdeutlich. Die öffentliche und mediale Diskussion hierzulande offenbarte erschreckend oft großen Informationsbedarf.

Mit seinem Buch „Die Republikaner. Anatomie einer amerikanischen Partei“ trägt Thomas Greven, wissenschaftlicher Assistent am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, diesem Bedarf Rechnung und liefert eine kompakte Darstellung und Analyse der Republikanischen Partei von ihrer Entstehung bis zur Gegenwart. Hierbei vertritt er eine bestechend einfache These, die die gesamte Arbeit durchzieht: Die Republikanische Partei bestimmt heute den politischen Diskurs in den USA, da das Land seit den 1970er Jahren deutlich nach rechts, also auf das politische Terrain der Republikaner, gerückt ist. Seither markieren Republikanische Politikkonzepte „in zentralen Politikbereichen die Grenzen des Denk- und Machbaren“. Diese Republikanische Hegemonie zeigt sich auch dort, wo die Republikaner nicht die Wahlen gewinnen.

Von Lincoln bis Bush

Dass sich das Buch nicht nur an ein politikwissenschaftliches Fachpublikum richtet, sondern auch – wie es der politischen Situation angemessen ist – eine breitere politisch interessierte Leserschaft ansprechen will, verdeutlicht die vorangestellte Übersicht über das amerikanische Parteiensystem und seine Besonderheiten. Daran anschließend umreißt Greven die historische Entwicklung der Republikaner von Abraham Lincoln bis zu George W. Bush. Hierbei gelingt es ihm, die Prozesse und Ideologien nachvollziehbar zu machen, die den Wandel einer gegen die Sklaverei kämpfenden, Schutzzölle und staatliche Interventionen in die Wirtschaftsentwicklung propagierenden und im Norden des Landes verankerten Partei zur Partei des Kapitals, des limited government und des weißen Südens vorantrieben. Zwei zentrale Richtungsentscheidungen bestimmen bis heute die Ideologie der Republikanischen Partei: zum einen die Reaktion auf die Wirtschaftskrise der 20er und 30er Jahre, die dem New Deal der Demokraten mit seinen gemäßigt sozialdemokratischen Zügen eine wirtschaftliche laissez-faire-Politik gegenüberstellte. Die in dieser Zeit begründete Dominanz der New-Deal-Koalition konnten die Republikaner nur langsam aufbrechen. Dies wurde durch die zweite Richtungsentscheidung ermöglicht: das Aufgreifen von Wertethemen. Indem sie seit den späten 60er Jahren „Familienwerte“ betonten, Stellung gegen die „Gegenkultur“ dieser Zeit bezogen und – mit deutlich rassistischen Untertönen - die Bürgerrechtskontroverse ausnutzten, wurden die Republikaner zu einer konservativen Partei, deren Basis zunehmend in den Südstaaten beheimatet ist. Diese Entwicklung gipfelte in der Präsidentschaft Ronald Reagans, der gezielt eine southern strategy einsetzte und die Wertethemen durch eine Ideologie ergänzte, die Steuersenkungen, Eigenverantwortung und einen rigorosen Wirtschaftsliberalismus propagierte.

Die Gründe für den Erfolg der southern strategy sieht Thomas Greven vornehmlich in der demographischen Entwicklung, die in Verbindung mit dem amerikanischen Wahlsystem dafür sorgt, dass sich die Republikaner heute vor allem auf eine Basis weißer Südstaatenbewohner und hierbei besonders evangelikaler Christen stützen können. Folge dieser Entwicklung ist die heutige Spaltung der Partei in einen dominanten sozialkonservativen Flügel der Neuen Rechten und einen in der Partei zunehmend marginalisierten Flügel „traditioneller“ Republikaner, die eine konservative Wirtschafts- und Finanzpolitik erwarten, jedoch in sozialen Fragen liberal eingestellt sind.

Abhängigkeiten

Doch die Republikanische Partei dominiert nach Greven nicht nur den Süden, sondern der Süden über seine zentrale Stellung in der vom Autor detailliert dargestellten Republikanischen Wählerkoalition auch die Republikanische Partei. So kommt Greven zu dem Ergebnis, dass in Ansätzen gar eine southernization der Nation festzustellen sei, da sich nicht nur für die Republikaner die zentrale Bedeutung des Südens für ihren politischen Erfolg gezeigt habe, sondern sich auch Teile der Demokratischen Partei an der politischen Ideologie des Südens, dieser „Mischung aus Patriotismus, Religion und Vertrauen in freie Märkte“, orientiert hätten. Als hervorstechendes Beispiel nennt er den Demokratischen Südstaatler Bill Clinton, der explizit mit der Ankündigung, den Wohlfahrtsstaat des New Deal zu beenden, zur Wahl angetreten war. Letztlich kann die Argumentation Grevens im Hinblick auf seine These hier nicht vollständig überzeugen, da unklar bleibt, ob der Siegeszug der „südlichen“ Ideologie ein Ausdruck der Hegemonie des Südens, der postulierten Hegemonie der Republikanischen Partei oder gar eine Folge der Globalisierung ist. Eine schlüssige Verbindung zwischen diesen Komplexen fehlt weitgehend.

In der zweiten Hälfte des Buches widmet sich Greven zentralen Aspekten Republikanischer Politik: dem Verhältnis der Partei zur Wirtschaft, ihrer Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik und der Entwicklung der Republikanischen Außenpolitik. Das Kapitel zum Verhältnis der Republikaner zur Wirtschaft beschreibt nicht nur die engen Verbindungen zwischen konservativen think tanks, der Wirtschaft und „ihrer“ Partei, sondern widmet sich auch der Rolle der Medien. Angesichts des völligen Versagens der großen Mehrheit der US-Medien nach dem 11. September und während der Kriege in Afghanistan und im Irak ist der Hinweis auf den Einfluss wirtschaftlicher Aspekte auf die weitgehend unkritische Berichterstattung zweifellos berechtigt. Meines Erachtens hat es Greven hier jedoch versäumt, das weitergehende Thema der medialen Dimension des amerikanischen Politikbetriebs seiner Bedeutung entsprechend zu behandeln. Eine interessante Frage im Zusammenhang mit der These des Buches wäre beispielsweise, inwiefern der Siegeszug der elektronischen Medien in der Nachkriegszeit mit der immer oberflächlicheren Behandlung politischer Themen, der zunehmenden Personalisierung und der Konzentration auf knappe sound bites den Republikanern Vorteile verschaffte. Die Symbiose von radikal vereinfachenden Politikkonzepten und den Anforderungen der Massenmedien, die durch den „Great Communicator“ Reagan personifiziert wurde, erscheint mir hierbei als wichtiger Faktor.

Glanzpunkte

Voll überzeugen kann hingegen Grevens kritische Untersuchung der mittlerweile hegemonialen finanz- und wirtschaftspolitischen Konzepte der Republikaner. Von größter Bedeutung ist hierbei wiederum der zentristische Demokrat Bill Clinton, der einen traditionell Republikanischen fiskalkonservativen Kurs verfolgte, idem er erfolgreich das Haushaltsdefizit bekämpfte. Somit übernahmen Demokraten eine Leitlinie Republikanischer Haushaltspolitik, von der sich deren vormalige Verfechter jedoch spätestens seit Reagan verabschiedet hatten, was nicht zuletzt das Rekorddefizit unter George W. Bush bestätigt. Dieser nutzte massive Senkungen der Spitzensteuersätze, um die Wirtschaft und die Oberschicht für die Republikaner zu mobilisieren, während er die breite Masse der Wähler mit Wertethemen gewann.

Diese Wertethemen sind auch von zentraler Bedeutung für die von Greven detailliert dargestellte Republikanische Sozialpolitik. Der Frontalangriff auf den New Deal durch die drastischen Kürzungen im Sozialbereich, die Verlagerung der sozialpolitischen Verantwortung auf die Ebene der Einzelstaaten und religiöser Organisationen und die Betonung der Eigenverantwortung sind laut Greven das Bindemittel in der zerbrechlichen Republikanischen Wählerkoalition, das „Marktliberale und Sozialkonservative“ versöhnt. Diese Kehrtwende in der Sozialpolitik, die Greven polemisch aber nicht unzutreffend als Rückkehr ins 19. Jahrhundert charakterisiert, wurde jedoch nicht direkt von den Republikanern eingeleitet. Die Aufhebung des Rechtsanspruchs auf – rudimentäre – Sozialhilfe, die Anerkennung des Marktes als Regulativ auch für soziale Standards und die Verbindung von Transferleistungen mit Arbeitszwang wurden unter der Präsidentschaft Bill Clintons verwirklicht. Wenngleich Initiativen seiner Amtsvorgänger und einzelstaatliche Maßnahmen den Weg geebnet hatten und Clinton unter dem Druck eines Republikanisch beherrschten Kongresses stand, ist es dennoch der eindrucksvollste Beleg für Grevens Hegemoniethese, dass ein Demokratischer Präsident sich der traditionellen sozialpolitischen Agenda der Republikaner bediente, um die Errungenschaften des Demokratischen New-Deal-Projekts radikal zu beschränken.

Außenpolitik

Den Abschluss des Buches bildet eine kompakte Darstellung der Entwicklung Republikanischer Außenpolitik. Hierbei räumt Greven ein, dass die jüngsten Entwicklungen, vor allem die Abkehr vom konservativen Isolationismus und der Versuch des nation-building im Irak, keine Republikanische Hegemonie demonstrieren. Bushs religiös überhöhte Missionsgedanken und sein manichäisches Weltbild führten nach dem 11. September unter dem gewachsenen Einfluss der Neokonservativen, die Militäreinsätze zur Verbreitung demokratischer Werte befürworten, vielmehr zu einer Renaissance traditionell demokratischer Politikelemente, die allerdings bereits wieder abklingenden.

Insgesamt stellt „Die Republikaner“ eine gelungene und faktenreiche Übersicht über die wechselvolle Entwicklung der Republikanischen Partei und die gegenwärtigen politischen Tendenzen dar. Auch mit amerikanischer Innenpolitik nicht vertraute Leser werden durch den einzelnen Themen vorangestellte Grundlagendarstellungen sachkundig an die Materie herangeführt. Außerdem zeichnet sich das Buch durch einen flüssigen und lebendigen Schreibstil aus. Obwohl dem Autor die persönliche ideologische Distanz zu seinem Untersuchungsgegenstand deutlich anzumerken ist, bleibt die Darstellung stets sachlich und faktengeleitet.  Ebenso kann Grevens These von der Republikanischen Hegemonie letztlich überzeugen, wenngleich er diese etwas zu strikt verfolgt, was sich in teilweise störenden Wiederholungen seiner Grundannahme äußert.

Klare Sprache

Besonders positiv fällt auch auf, dass Greven der im europäischen Diskurs leider sehr verbreiteten Unart, amerikanische Politik in europäischen politischen Kategorien und Begriffen zu analysieren, ein klares und konsequent angewendetes Begriffsarsenal entgegenstellt. Es ist ebenso gewöhnungsbedürftig wie sachlich korrekt und notwendig, beispielsweise das amerikanische „liberal“ eben nicht mit „liberal“, sondern mit „gemäßigt sozialdemokratisch“ zu übersetzen. Ein weiterer Sieg der sprachlichen Klarheit: Im gesamten Buch fehlt das allgegenwärtige deutsche Unwort „Administration“. Denn auch in der neuen Amtszeit wird Bush nicht verwalten, sondern regieren. Four more years!

(Von Felix Kriszun)

Literaturangaben:
GREVEN, THOMAS: Die Republikaner. Anatomie einer amerikanischen Partei, Verlag C.H. Beck, München 2004. 14,90 Euro.


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