KOPENHAGEN (BLK) - Dänemarks zweiter „Nationaldichter“ mit Namen Andersen mag nicht mehr, weil er die harte Ausländerpolitik in seinem eigentlich als so freundlich geltenden Land unerträglich findet. „Ich schäme mich, Däne zu sein. Ich will nicht der bei allen beliebte Dichter sein, wenn 62 Prozent meiner Landsleute dahinter stehen, dass irakische Flüchtlinge bei Nacht und Nebel aus einer Kirche festgenommen und abgeschoben werden“, sagt der 79-jährige Lyriker und Musiker Benny Andersen in Kopenhagen.
Seine wehmütig-lebensfrohe Gedichtsammlung „Svantes viser“ („Svantes Lieder“) über ein bei allen Problemen doch eigentlich wunderschönes Leben in dem kleinen skandinavischen Land steht in wahrscheinlich ebenso vielen heimischen Bücherschränken wie das Märchenbuch von Hans Christian Andersen, dem anderen Nationaldichter. Der Satz „Bald ist ja auch der Kaffee klar“ aus „Svantes glücklichem Tag“ ist zum Synonym für eine positive, allen gegenüber erst einmal freundliche, nicht so laute, nicht so anspruchsvolle und auch ein bisschen selbstironische Form von alltäglicher Lebensfreude der Dänen geworden. „Hygge“ („Gemütlichkeit“) nennen sie es selbst und haben sich immer gefreut, dass dieser Stil sie auch jenseits der Grenzen populär gemacht hat.
„Ich bereue heute, dass ich Dänemark in einigen Gedichten so positiv für die Dinge dargestellt habe, die auch andere an uns mögen“, sagt Andersen jetzt. Komplett aus der Fassung gebracht hat ihn die nächtliche Räumung der Kopenhagener Brorsons-Kirche im Juli durch die Polizei. Hier hatten seit mehr als zwei Monaten einige von gut 250 abgewiesenen irakischen Asylbewerbern Schutz gefunden, die Dänemarks Regierung nach teilweise zehn Jahren Aufenthalt in dem Land nun in ihre Heimat abschieben will.
„Unsere Regierung, die selbst mit Krieg im Irak geführt hat“, begeht hier einen Gesetzesbruch nach dem anderen. „Und die klare Mehrheit der Bevölkerung findet das in Ordnung“, sagt Andersen, dessen „Gesammelte Gedichte“ sich einer Auflage von 200.000 nähern. Er findet ganz und gar nicht in Ordnung, dass zu den zur Abschiebung anstehenden Irakern auch in Dänemark geborene Kinder, in ihrer Heimat nachweislich gefolterte Männer und demente Alte gehören. „Ich wünschte, ich könnte einige meiner positiven Gedichte über unsere Toleranz und all das, wofür wir so beliebt sind, aus meinen gesammelten Werken streichen.“
Mit Blick auf die seit etwa zehn Jahren ständig weiter verschärfte Ausländerpolitik in seinem Land meint er: „Da hat sich bei mir gewaltig Zorn angestaut. Jetzt bricht er aus, und glücklicherweise geht nicht nur mir das so.“ Er wolle nun, gerade auch nach seinem 80. Geburtstag im November, mit anderen dafür kämpfen, dass „Dänemarks guter Ruf wiederhergestellt wird“.
Tatsächlich hatte die nächtliche Zwangsräumung der Brorsons-Kirche durch die Polizei 15.000 Kopenhagener auf die Straße gebracht. Hundert populäre Künstler erklärten öffentlich, sie seien bereit, vor der Abschiebung stehenden Irakern als Akt zivilen Ungehorsams Unterschlupf zu gewähren. Benny Andersen, der das milde-freundliche und lebenslustige Bild der Dänen von sich selbst auch persönlich ausstrahlt, sagt: „Ich sehe mich nicht mehr als dänischer Volksdichter, sondern nur noch als Weltbürger in Dänemark.“
Von Thomas Borchert