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Andrej Longo: „Zehn”

Zehn realistische Geschichten über das Leben mit der Mafia

© Die Berliner Literaturkritik, 08.06.10

Von Frauke Kaberka

FRANKFURT/MAIN (BLK) - Neapel ist ein Mythos. Doch trotz seiner wunderschönen Architektur steht die süditalienische Metropole vor allem für Camorra, Brutalität und Elend. Der Autor Andrej Longo, selbst in Neapel aufgewachsen, hat seine Stadt in zehn Erzählungen skizziert: wahrhaftig, schnörkellos und erschütternd. Mit dem Band „Zehn“ wurde nun erstmals ein Buch des bekannten italienischen Drehbuchautors in deutscher Sprache verlegt. Ein Buch, von dem die italienische Zeitung „La Repubblica“ schreibt: Diese Geschichten erzählen mehr über Neapel als jeder Untersuchungsbericht. Wie wahr!

Da ist der Jugendliche, dem seine Mutter tagtäglich einschärft Sei vorsichtig! Halt dich raus! und damit meint, er solle nicht in die Fänge der Mafia geraten. Der Junge versucht es und hat letztendlich doch keine Wahl. Da ist der Mann, der schon in jungen Jahren durch seine großartige Tenorstimme auffällt. Er hätte berühmt werden können. Ungesunder Ehrgeiz und ein mafiöser Förderer lassen ihn jedoch den Weg nach oben abkürzen - und am Ende tief fallen. Da ist ein 13-Jähriger, der seine Mutter tötet, um sie von ihrem Leiden zu erlösen. Und da ist ein Vater, der weiß, dass man ihn umbringen will. Und doch riskiert er sein Leben und geht mit seinem Sohn unter die Leute, um ihm Spaß zu bieten.

Eine Ehe, die zu funktionieren scheint, aber zu welchem Preis? Ein Mann, der in Afghanistan gekämpft hat und - zurück in der Heimat - nicht fertig wird, mit dem, was er dort vielleicht zum ersten Mal wirklich wahrnimmt. Ein Junge, dessen kriminelle Laufbahn vorgezeichnet zu sein scheint, aber vom Mut und von der Standhaftigkeit seines Opfers überwältigt wird. Tragisch - wenn auch nicht immer so offensichtlich - sind sie alle, diese Geschichten des Italieners, denn eine Wahl zwischen Gut und Böse haben die zumeist heranwachsenden Protagonisten nicht wirklich.

Longo schafft es, solche und andere (leider) alltäglichen Begebenheiten unsentimental und fast poetisch niederzuschreiben. Vielleicht ist es gerade das Leichte, das beim Leser einen emotionalen Krater aufreißt. Es ist sein Milieu, das er gut studiert hat - fernab von der Postkartenidylle Neapels mit Meer und Vesuv, Orangen- und Zitronenhainen, malerischen engen Gassen und fröhlich spielenden schwarzgelockten Kindern. Und doch vermittelt er einen Hauch der Atmosphäre, der die Menschen träumen lässt. Jene Menschen in jenen Vierteln der Stadt, die aus gutem Grund eine Blechmarke um den Hals tragen, mit Namen, Geburtsdatum und Blutgruppe.

Sie beruhen auf Tatsachen, diese zehn Geschichten. Und sie sind jeweils mit einem der zehn Gebote betitelt. Natürlich haben sie einen Bezug zu Gott und seinen Weisungen, was die Überschriften – im strengen Kontrast zu den Texten - überaus ironisch erscheinen lässt. Denn alle verstoßen tagtäglich gerade gegen diese Gebote - mit einer Selbstverständlichkeit, die den Glauben ad absurdum führt - und zu dem Fazit: Über Gott steht die Camorra. Und die erlässt die Gebote.

Literaturangabe:

LONGO, ANDREJ: Zehn. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2010, 160 S., 17,95 €

Weblink:

Einborn Verlag


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