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Anonym und dramatisch: Josef Koudelkas Bilder der Invasion 1968

Der Fotograf erhielt dafür anonym die Robert-Capa-Goldmedaille für Reportagefotografie

© Die Berliner Literaturkritik, 27.05.08

 

Von Thilo Resenhoeft

21. August 1968. Die Panzer rollen, Soldaten marschieren, Truppen des Warschauer Paktes besetzen die Tschechoslowakei. Das Land hatte unter seiner kommunistischen Partei einen eigenen, freieren Weg eingeschlagen. Die Reformen brachten eine zunehmend kritische, aufgeklärte Öffentlichkeit hervor. Die Sowjetunion fürchtete, dass reihenweise weitere Ostblock-Staaten „umkippen“ könnten – und handelte brutal. Der damals unbekannte tschechische Fotograf Josef Koudelka fotografierte in den nächsten Tagen den Einmarsch, die Gegenwehr, die Toten. Nun liegen seine dramatischen Fotos von der Invasion und dem Widerstand in Koudelkas Buch „Invasion Prag 1968“ vor. Zum nahenden 40. Jahrestag des Überfalls sind viele der Bilder erstmals zu sehen.

Zum Entwickeln kommt Koudelka in den ersten Tagen zunächst nicht. Hätte man ihn festgenommen, sein Leben wäre in Gefahr gewesen, und das der abgebildeten Handelnden gleich mit. Einige Bilder werden später außer Landes geschmuggelt. Sie gelangen nach New York, zu Elliot Erwitt, dem damaligen Präsidenten der Fotoagentur Magnum. Der will weitere Aufnahmen, die Negative werden in die USA geschmuggelt, die Bilder verbreiten sich. Zum Jahrestag der Invasion, 1969, publizieren viele internationale Magazine die Aufnahmen des anonymen Fotografen, sein Kürzel „PP“ steht für „Prague Photographer“. Aus Angst vor Repressalien gegen die Familie hält Magnum den Namen des Urhebers geheim. Erst nach dem Tod des Vaters wird die Autorschaft bekannt.

Koudelka hatte bis zur Invasion Theaterschauspieler sowie Sinti und Roma fotografiert. „Ich war kein Reporter“, erinnerte er sich später. „Ich habe nie etwas fotografiert, was man ‚Nachrichten’ nennen würde. Plötzlich, zum ersten Mal in meinem Leben, war ich mit einer solchen Situation konfrontiert. Ich habe darauf reagiert. Ich wusste, es war wichtig zu fotografieren, also fotografierte ich. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht, was ich tat.“

Sein Bericht aus den Tagen, da Europa im Kalten Krieg den Atem anhielt, weil dieser in einen echten Krieg hätte umschlagen können, war ein Paukenschlag. Der Fotograf erhielt dafür anonym die Robert-Capa-Goldmedaille für Reportagefotografie, schuf ein unvergleichliches Dokument der Geschichte, betrat mit diesen Bildern selbst die Bühne und wurde später Mitglied von Magnum.

Koudelka war während der Invasion scheinbar überall. Er zeigt die brennenden Panzer der Eindringlinge. Einen Mann aus Prag, der dem Maschinengewehr eines Soldaten seine Brust präsentiert. Eine bewaffnete Horde Invasoren läuft an der hilflosen Menge der Prager vorbei. Koudelka fotografiert die Toten, deren Beisetzung, den Schmerz ihrer Hinterbliebenen, blutdurchtränkte Nationalfahnen, gestürmte Panzer, zerschossene Fassaden mit sprach- und fassungslosen Menschen davor, die Versorgung der verletzten Zivilisten, sowjetische Panzer auf dem leeren Wenzelsplatz, Kinderwagen zwischen den fremden Geschützen.

Nachts lassen die Menschen Hausnummern, Straßen- und Klingelschilder verschwinden - für ungeladene Gäste ist Prag damit eine tote Stadt. Der Postbote kennt sich aus, der Okkupant nicht. Koudelka zeigt die leeren Schilder, die Verteilung von Zeitungen, sowjetkritische Plakate, die versteinerten Gesichter seiner Landsleute, ihre Demonstrationen, ihre Märsche, ihre Blockaden, ihre Wut.

Koudelka ist in ihrer Mitte, seine Bilder sind sein Beitrag zu ihrem Kampf. 1969 zeugen seine lebendigen, erschreckenden, mitreißenden Fotos vom zivilen und weitgehend gewaltlosen Widerstand gegen den Einmarsch. Mit diesen Bildern, nicht mit der Faust, hat Koudelka zurückgeschlagen – die Fotos trafen die Sowjets frontal.

Literaturangaben:
KOUDELKA, JOSEF: Invasion Prag 1968. Übersetzt von Sophia Marzolff. Verlag Schirmer/Mosel, München 2008. 296 S., 249 s/w-Bilder. 49,80 €.

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