MÜNCHEN (BLK) – Der Antikriegsroman „Heldenangst“ von Gabriel Chevallier ist im Februar 2010 im Carl Hanser Verlag erschienen. Er wurde von Stefan Glock aus dem Französischen übersetzt.
Klappentext: Ein Antikriegsroman von 1930, dessen Neuausgabe in Frankreich 2008 hymnisch gefeiert wurde, vergleichbar mit den Werken von Remarque, Céline oder Norman Mailer: Nach dem Ersten Weltkrieg, den er als Infanterist an der Front verbrachte, beschrieb Gabriel Chevallier seine Erlebnisse in Romanform: Der junge Student Jean Dartemont wird eingezogen und an die Front geschickt, und dort bleibt er vier Jahre lang, unterbrochen nur von einem Lazarettaufenthalt. Monatelang harrt er mit seinen Kameraden in den Schützengräben aus, bedroht von Kugeln, Kälte, Durchfall und grenzenloser Angst. Bei seinem Ersterscheinen löste der Roman seiner Direktheit wegen einen Skandal aus und wurde angesichts des neuen Krieges 1939 zurückgezogen. Jetzt ist er erstmals auf Deutsch zugänglich.
Gabriel Chevallier wurde 1895 in Lyon geboren. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er als Kunstlehrer, Plakatmaler, Designer, Journalist und Handlungsreisender, ehe er 1925 mit dem Schreiben begann. Chevallier war verheiratet, hatte einen Sohn und starb 1969 in Cannes. Er hat zu Lebzeiten über zwanzig Werke veröffentlicht. (kör/wer)
Leseprobe:
©Carl Hanser Verlage©
Auszug aus dem Vorwort zur Ausgabe von 1951
Dieses Buch gegen den Krieg, das zum ersten Mal 1930 erschien, traf unglücklicherweise auf einen zweiten Krieg. 1939 einigten sich Autor und Verleger darauf, den Verkauf einzustellen. Wenn schon Krieg herrscht, dann ist es nicht mehr angebracht, die Menschen daran zu erinnern, dass er ein übles Abenteuer mit unvorhersehbaren Folgen ist. Das hätte man vorher begreifen und entsprechend handeln müssen. In meiner Jugend – als es an die Front ging – lehrte man uns, der Krieg sei moralisch erhebend, reinigend und erlösend. Wir haben ja gesehen, was auf diese alte Leier folgte: Geschäftemacherei, Schiebung, Schwarzmarkt, Denunziation, Verrat, Erschießungen, Folter – und Hunger, Tuberkulose, Typhus, Terror, Sadismus. Und Heldenhaftigkeit, ja. Aber dieses kleine, nur ausnahmsweise aufscheinende Stück Heldentum macht das unendliche Ausmaß des Schrecklichen nicht wett. Übrigens sind nur wenige Menschen für wirkliches Heldentum geschaffen. Seien wir, die wir zurückgekehrt sind, so ehrlich und geben es zu.
Das eigentlich Neue an diesem Buch, das schon durch seinen Titel provoziert, ist der Umstand, dass darin „Ich habe Angst“ gesagt wird. In den „Kriegsbüchern“, die ich gelesen hatte, wurde durchaus gelegentlich von der Angst gesprochen, aber es handelte sich immer um die Angst der anderen. Die Verfasser, gelassene Menschen, waren so mit ihren Aufzeichnungen beschäftigt, dass sie über die Granaten nur lächeln konnten. Der Verfasser des vorliegenden Buches jedoch fand, es sei unredlich, von der Angst seiner Kameraden zu sprechen und die eigene zu verschweigen. Deshalb beschloss er, die Angst auf seine Kappe zu nehmen, vor allem auf seine Kappe. Vom Krieg zu sprechen, ohne von der Angst zu sprechen, ohne sie in den Vordergrund zu rücken, wäre reiner Schwindel gewesen. Wer an Orten lebt, an denen er jederzeit zerfetzt werden kann, durchlebt zwangsläufig auch eine gewisse Furcht.
Dieses Buch wurde von unterschiedlichen Gruppierungen zur Kenntnis genommen, und sein Autor nicht immer gut behandelt. Dennoch sei zweierlei festgehalten: Diejenigen, die ihn beleidigten, sollten es später bereuen, weil sie ihre Tapferkeit fürs falsche Lager eingesetzt hatten. Und dieses ehrenrührige kleine Wort, Angst, haben seither auch andere, bedeutende Geister, zu Papier gebracht. Die aber in der Infanterie gekämpft hatten, schrieben: „Richtig! Genau das empfanden wir und konnten es nicht ausdrücken.“ Ihre Meinung hatte großes Gewicht.
Noch zwei Anmerkungen: Wir haben jetzt dieses Buch, das wir fünfzehn Jahre lang nicht aufgeschlagen hatten, noch einmal gelesen. Für einen Autor ist es immer eine Überraschung, wenn ein Text vor ihm liegt, den er vor langer Zeit geschrieben hat. Eine Überraschung und eine Prüfung. Denn der Mensch schmeichelt sich, mit zunehmendem Alter etwas hinzuzulernen. Zumindest tröstet er sich mit dieser Annahme. Der Ton von Heldenangst ist manchmal ungeheuer frech. Es ist die Frechheit der Jugend, und daran lässt sich nichts ändern, es sei denn, man wollte die Jugend aus dem Roman streichen. Der junge Dartemont urteilt, wie man es offiziell nicht tut. Er ist noch der naiven Überzeugung, alles lasse sich vernünftig beurteilen. Er spricht schwerwiegende und unangenehme Wahrheiten aus.
Solche Wahrheiten kann man nur aussprechen oder schweigend übergehen. Doch er ist zu empört, um vorsichtig zu sein. Und Hinnahme ist häufig ein Zeichen von Verfall. Zweite Anmerkung: Man würde dieses Buch heute nicht mehr genau so schreiben. Aber hätte man es verändern sollen, und wenn ja, wie stark? Mir war klar, dass frühere Leser es mir verübelt hätten, wenn ich den ursprünglichen Text verändert hätte, für sie wäre es ein Zugeständnis oder eine Kapitulation gewesen. Somit entspricht dieser Text, abgesehen von wenigen veränderten Wörtern und Ergänzungen, noch dem der ersten Ausgabe. Wir haben sogar der Versuchung widerstanden, ihn kunstvoller zu gestalten.
Wir dachten nämlich, ein Übermaß an Kunst würde ihn nur verwässern und man dürfe das ursprünglich eingegangene Wagnis nicht nachträglich zurücknehmen. Bleibt noch dies: Wie wird dieses Buch „benutzt“ werden, für welche Propaganda? Darauf kann ich nur antworten, dass es außerhalb jeder Propaganda existierte und nicht geschrieben wurde, um irgendeiner Propaganda zu dienen. G.C.
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Literaturverzeichnis:
CHEVALLIER, GABRIEL: Heldenangst. Übersetzt aus dem Französischen von Stefan Glock. Cark Hanser Verlag, München 2010. 432 S., 24,90 €.
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