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Antrittsvorlesung von Poetik-Dozent Navid Kermani

Eine Reise durch die deutsche Literaturgeschichte

© Die Berliner Literaturkritik, 14.05.10

Von Thomas Maier

FRANKFURT/MAIN (BLK) - Der Koran und der Prophet Mohammed kommen bei Navid Kermani nur am Rande vor: Wer von dem deutsch-iranischen Autor am Dienstagabend (11.5.) bei seiner Antrittsvorlesung als Poetik-Gastdozent eine aktuelle Auseinandersetzung mit dem Islam oder dem Christentum erwartet hat, wird enttäuscht. Vor fast 500 Zuhörern im großen Hörsaal der Frankfurter Goethe-Universität liefert der Germanist und Orientalist stattdessen eine faszinierende Reise durch die deutsche Literaturgeschichte, die dem Orient gar nicht so fern ist, wie er feststellt.

Im Zentrum steht der gerade entstehende Roman Kermanis, dem im vergangenen Jahr der Hessische Kulturpreis für religiöse Toleranz zeitweilig aberkannt worden war. Verwirrend und verblüffend zugleich spielt der Sohn iranischer Einwanderer mit seinen verschiedenen Identitäten als Romanschreiber, Wissenschaftler, Moslem oder als Ehemann. Wie wird dieser Roman, in dem es um Gott und die Welt sowie Kermanis Großvater geht, zum Beispiel durch banale Tätigkeiten wie den Kauf von Stützen zur Stabilisierung seines Schreibtischs beeinflusst?

Als Vorbild dient dem 42-jährigen Kermani der Dichter Jean Paul (1763-1825), der in seinen Romanen („Flegeljahre“) schon 200 Jahre vor der zeitgenössischen postmodernen Literatur mit gegensätzlichen Stilebenen experimentierte. Weil Jean Paul als Meister der „Formlosigkeit“ des Romans gilt, spaltet er bis heute die Kritik. Für Kermani macht es aber gerade die große Qualität eines Romans aus, als Leser überall im Buch einsteigen zu können. Da sieht er die Verbindung zur erzählerischen Tradition des Orients wie etwa in „Tausendundeiner Nacht“. Daran habe im 16. Jahrhundert auch Cervantes in seinem bahnbrechenden Roman „Don Quijote“ angeknüpft.

In der Literatur geht es für Kermani darum, die Welt in ihrer ganzen Unordnung und ihren Zufälligkeiten zu erfassen. Und in ihren Widersprüchen: „Vertraue auf Gott, aber binde dein Kamel an“, zitiert Kermani scherzhaft einen Spruch Mohammeds. Der Leser muss das Geschriebene dann letztendlich selbst für sich einordnen. Ein Anspruch, der bei oberflächlicher Analyse von Kermanis Denken zu krassen Fehlurteilen führen kann, wie der Konflikt um seine umstrittenen Äußerungen zur christlichen Kreuzsymbolik zeigte. Der in Köln lebende Autor hatte zwar in einem Essay bei der Kreuzestheologie von Gotteslästerung und Götzendienst gesprochen, zugleich aber unter dem Eindruck eines italienischen Altarbilds seine emotionale Hinwendung zu dem am Kreuz hängenden Jesus formuliert.

Das hintersinnige Denken Kermanis, der neben wissenschaftlichen Werken und einem Roman auch ein Kinderbuch geschrieben hat, hätte Theodor W. Adorno sicher gefallen. Der berühmte Frankfurter Philosoph („Dialektik der Aufklärung“) ist sein „Idol“, wie der Schriftsteller am Dienstagabend sagt. Die traditionsreiche Gastdozentur an der Goethe-Universität, an der Adorno lange gewirkt hat, ist für den Orientalisten deshalb auch etwas Besonderes.

Zum Auftakt der fünfteiligen Vorlesung, in der Kermani noch über den von ihm verehrten Dichter Friedrich Hölderlin spricht, hat er sich als würdiger Nachfolger berühmter anderer Autoren erwiesen. Seit 1959 haben in Frankfurt unter anderem Ingeborg Bachmann, Günter Grass, Heinrich Böll, Christa Wolf oder Peter Sloterdijk über Poesie und ihre Arbeit gesprochen.

Weblink:

Goethe-Universität

BLK-Notizblock

Ort der Vorlesung, Hörsaalzentrum, Hörsaal HZ 2, Campus Westend, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main

Die fünf Vorlesungen werden bis zum 8. Juli jeweils am Dienstagabend um 18.15 Uhr gehalten


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