Von Ira Schaible
FRANKFURT/MAIN (BLK) - Mit der Wahl von „betriebsratsverseucht“ zum „Unwort des Jahres“ 2009 hat die Jury in der Wirtschaftskrise die Stimmung vieler Arbeitnehmer und ihrer Vertreter getroffen. Auch wenn der sperrige Begriff vielen aus der öffentlichen politischen Diskussion gar nicht geläufig war.
„Ich würde mir vom ‚Unwort’ wünschen, dass jeder sagt: ‚Ja, das ist es!’“, räumt Prof. Ludwig Eichinger ein. Der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache meint aber: „Das Thema ist plausibel“, und nennt als Beispiele: Die Diskussion über Unternehmen, die keinen Betriebsrat wollen, und Prozesse um Kündigungen wegen Bagatell-Verstößen von Mitarbeitern.
„‚Betriebsratsverseucht’ steht für eine Haltung, die sich leider inzwischen verbreitet hat“, begründete der Sprecher der „Unwort“-Jury Horst Dieter Schlosser am Dienstag (19.01.2010) in Frankfurt die Wahl. Das Wort sei im Kommen, „wir wollten rechtzeitig ‚Stopp’ sagen“.
Ziel der sprachkritischen Aktion sei die öffentliche Diskussion. „Politisch wird sie dadurch, dass wir den Finger in die Wunde legen.“ „Das ‚Unwort’ kann dazu anregen, hinter die Kulissen zu schauen, was in Betrieben ohne Betriebsrat los ist.“
Lob von vielen Gewerkschaften
Zuspruch für die Entscheidung für „betriebsratsverseucht“ erhielt die Jury, der neben vier Sprachwissenschaftlern diesmal auch Stephan Hebel von der „Frankfurter Rundschau“ und der Sozialethiker Prof. Friedhelm Hengsbach angehören, vor allem von Deutschlands bekanntestem Betriebsratschef, Klaus Franz (Opel), und den Gewerkschaften. Franz beurteilt das „Unwort“ mit einem süffisanten Schmunzeln und sagte: „Da Opel ‚betriebsratsverseucht’ ist, gibt es das Unternehmen noch und viele zigtausend Arbeitsplätze in Deutschland und Europa.“
DGB-Chef Michael Sommer spricht von „einem positiven Zeichen, dass die Bedeutung der Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen doch einen hohen Stellenwert hat“. „Dass das in dem Jahr passiert, in dem Betriebsrätewahlen stattfinden, finde ich besonders wichtig“, sagt Sommer. Der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall Detlef Wetzel sagt, das „Unwort“ spiegle das Denken nicht weniger Arbeitgeber und Manager wider. „Die Vertreter dieses Begriffs müssen sich nach ihrem Demokratieverständnis fragen lassen, denn das Wort ist demokratieverächtlich.“
Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane ergänzt: „Das ‚Unwort’ zeigt, dass es immer noch Arbeitgeber gibt, die ihre Beschäftigten mit Leibeigenen verwechseln und ihnen Mitbestimmung über ihre Arbeitsbedingungen verweigern.“ Es sei „Ausdruck dieser menschenverachtenden Geisteshaltung, die sich nicht nur verbal, sondern beispielsweise durch Lohndumping, Erpressung und Nötigung in bestimmten Teilen der Arbeitswelt zeigt“.
Der Vorsitzende des zu ver.di gehörenden Verbands deutscher Schriftsteller, Imre Török, findet: „Das Wort ist ja grauenhaft und die Wahl wieder einmal sehr treffend.“ Die Wahrnehmung von Arbeitnehmer-Interessen sei gesetzlich geregelt und wesentlich für die Einrichtung der Demokratie. „Das mit einer Seuche zusammenzubringen, die in der Natur eine tödliche Gefahr bedeutet, die mit allen Mitteln gekämpft werden darf, offenbart faschistoides Gedankengut“.
Arbeitgeber wollen das Unwort nicht kommentieren
Der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und Gesamtmetall wollten sich dagegen nicht äußern. Bei der Baumarktkette Bauhaus hieß es nur, man recherchiere noch. Ein Mitarbeiter dieses Unternehmens hatte in der ARD-Sendung „Monitor“ berichtet, dass der Begriff „betriebsratsverseucht“ von Abteilungsleitern verwendet worden sei.
Kritik an Bundeskanzlerin Merkel
Keine Reaktion kam zunächst auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), deren Formulierung „Flüchtlingsbekämpfung“ die Jury neben dem Unwort als „dramatischen sprachlichen Fehlgriff“ rügte. „Wenn Merkel klug ist, sagt sie gar nichts“, sagt Schlosser. Denn häufig habe erst eine empörte Reaktion auf das „Unwort“ zu langen Diskussionen geführt, so etwa, als die Jury 1993 den Ausspruch von Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU) „kollektiven Freizeitpark“ als sprachlichen Missgriff kritisiert hatte.
Apropos Merkel: Unter den 982 verschiedenen Vorschlägen für das Unwort war Schlosser zufolge auch „Merkeln“ für Nichtstun.