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Arcimboldo – ein Meister des Grotesken

Katalog zur Ausstellung über Gesamtwerk und Zeit des Malers

Von: KLAUS HAMMER - © Die Berliner Literaturkritik, 28.03.08

 

Er war unter zwei Kaisern des Hauses Habsburg, Maximilian II. und Rudolf II., Architekt, Bühnen- und Kostümbildner, Ingenieur, Wasserbautechniker und Fachmann für Kunst. Er war vor allem Hofmaler in Prag, wo er besonders unter Rudolf II. als Regisseur großer Festumzüge wirkte. Seine allegorischen Bilder, meist Köpfe oder Gestalten, waren aus realistisch gemaltem Obst und Gemüse, aus allem möglichen Getier stilllebenhaft zusammengesetzt. Auch Gegenstände des Gebrauchs malte er als Figurenbausteine, verschieden in Format und Ansicht.

Die Eigenart seiner Kompositionen führte zu seiner Wiederentdeckung im 20. Jahrhundert. Giuseppe Arcimboldo rückte in die Nähe der fantastischen Kunst und des Surrealismus und wurde mit dem Manierismus in Verbindung gebracht. Nicht nur die Surrealisten entdeckten ihn als einen ihrer Ahnherren. Bis in die Werbung und die virtuellen Medien erfreut er sich heute hoher Wertschätzung. Die einzige bisher dem Künstler 1987 in Venedig gewidmete große Ausstellung galt nicht so sehr seinem Werk und seiner Zeit als vielmehr seiner Rolle als Vorläufer der Moderne.

Jetzt wird er im Kunsthistorischen Museum Wien in einer monografischen Ausstellung gewürdigt (bis 1. Juni 2008), die vorher im Musée du Luxembourg in Paris zu sehen war. Die Geschichte des Künstlers kann im Kontext seiner Zeit besichtigt werden, von den künstlerischen Anfängen in Mailand, vom geistigen und kulturellen Umfeld am Wiener und Prager Hof, wo er seine außergewöhnlichen Bilderfindungen, seine „scherzi“, „grilli“ oder „capricci“, wie sie seine Zeitgenossen bezeichneten, schuf, bis zu seinen letzten Lebensjahren, die er als berühmter, geadelter Malerfürst in Mailand verbrachte. Arcimboldo hat aber auch weiterhin für Rudolf II. gearbeitet. So malte er um 1591 noch zwei seiner berühmtesten Bilder, die „Nymphe Flora“ und den „Vertumnus“, bevor er 1593 starb.

Das Wiener Museum besitzt selbst vier besonders schöne Exemplare der berühmten „Kompositköpfe“, der zusammengesetzten Köpfe, und eine ganze Reihe ihm zugeschriebener Realporträts. Aus anderen europäischen Museen und aus Privatbesitz sind weitere bedeutende Werke hinzugekommen. Aus den reichen Beständen der Wiener Kunstkammer wird ein reizvolles Spannungsfeld zwischen Kunst und Natur ausgebreitet, dem Arcimboldo viele Inspirationen verdankte. Das konzeptuelle und formenreiche Umfeld einer ganzen Epoche wird beleuchtet, die man früher als Spätrenaissance und erst im 20. Jahrhundert als Manierismus bezeichnete – mit seiner Mehrdeutigkeit, der Freude am Überraschungseffekt, der Lust am Paradoxen und Monströsen.

Der Katalog dazu, herausgegeben von der Kuratorin der Ausstellung, Sylvia Ferino-Pagden, ist ein Standardwerk der Arcimboldo-Forschung. An ihm haben Arcimboldo-Experten mitgearbeitet, die neue Gedanken zu Arcimboldos Bedeutung und zur Konstruktion seines Ruhmes, zu einzelnen Lebensabschnitten und Schaffensbereichen des Künstlers, zur Kunst und Kultur am Habsburger Hof zusammentragen, aber auch Restauratoren und Mitarbeiter des Wiener Museums, die ihre Beobachtungen zur Maltechnik Arcimboldos oder nach der technologischen Analyse einzelner Werke mitteilen. Alle ausgestellten Werke werden durchgängig kommentiert.

Wie andere Manieristen entwickelte Arcimboldo seine Kunst aus den Materialien einer anderen Kunst. „Der Frühling“, der sich jetzt in Madrid befindet, gehört wohl zu der Wiener Serie der „Vier Jahreszeiten“, einer allegorischen Darstellung der „Vier Lebensalter“, die Arcimboldo 1563 für den späteren Kaiser Maximilian I. gemalt hat. Aus einem gewissen Abstand schauen wir den Profilkopf einer jungen Frau, beim Herantreten aber erkennt man, dass unendlich viele der Natur genau nachgebildete Blumen und Pflanzen mit ihrem Blattwerk die Illusion von Haut, Haaren und Gewand erwecken. Die Haut besteht aus weißen bis rosafarbenen Blüten, die Haare bilden eine buntfarbige Blütenhaube und das Gewand wird durch das Blattgrün der Pflanzen dargestellt. Die Nase gibt eine Lilienknolle wieder, das Ohr eine Pfingstrose und das Auge ein Stiefmütterchen.

Auch „Der Sommer“, wie „Der Winter“ in Wien befindlich, wird durch einen menschlichen Kopf im Profil dargestellt. Ein Hut aus Obst und Gemüse bedeckt das Gesicht, das aus Pfirsich, Quitte, Knoblauch, Zwiebel, Rübe und Aubergine besteht. Kirschen ersetzen Mund und Lippen, eine aufgeplatzte Erbsenschote die Zähne, eine Gurke die Nase und eine Birne das Kinn. Ähren bilden eine Art Stehkragen, der Gesicht und Gewand voneinander trennt. In den Kragen ist der Name des Künstlers hineingewoben und auf der Schulter entdeckt man noch die Jahreszahl 1563.

In der Darstellung des „Herbstes“ – das Original galt als verloren, ein Exemplar in amerikanischem Privatbesitz wird jetzt für ein mögliches Original gehalten - steigt aus einem geborstenen Zuber, der von einer Weidenrute zusammengehalten wird, der Kopf eines rauen, ungeschlachten Gesellen, der aus den reifen Früchten des Herbstes zusammengesetzt ist. Eine saftige Birne bildet die knollige Nase, ein Apfel die kräftige Backe, ein Granatapfel das Kinn und ein großer Pilz, vielleicht ein Täubling, das Ohr. Sein mit Trauben, Weinlaub und einem Kürbis geschmücktes Haupt erinnert an Bacchusdarstellungen.

Ein knorriger alter Baumstrunk mit einer rissigen Rinde, die sich stellenweise schon gelöst hat, stellt den „Winter“ dar. Es ist ein alter, hilfloser, in eine Strohmatte gehüllter Mann, dessen zusammengekniffenes Auge durch einen Riss in der Baumrinde wiedergegeben wird, dessen Ohr der Rest eines abgebrochenen Astes darstellt, dessen Nase sich schält und dessen aufgequollener Mund, von zwei Baumschwämmen dargestellt, schief über dem auswuchernden Kinn sitzt. Das im Strohmantel eingewirkte M steht für Maximilian II. und das Feuereisen auf der Schulter ist das kaiserliche Symbol. Eine Orange und eine Zitrone bringen einen Hauch von Sonne und Wärme in die Trostlosigkeit dieser Jahreszeit und das immergrüne Efeu, das aus dem Hinterkopf des Greises wächst, verstärkt die Hoffnung, dass der Winter vergänglich ist.

In der Anordnung der Jahreszeiten waltet eine symbolische Symmetrie. Sie entsteht durch die paarweise Zuordnung je eines links- und rechtsprofiligen Kopfes, die eine besondere Beziehung der jeweiligen Jahreszeiten andeutet. Zahlreich sind die allegorischen und symbolischen Bezüge, die Arcimboldo in seine Bilder und Bildkombinationen „hineingeschrieben“ hat. Nimmt man noch die Serie der „Vier Elemente“ von 1566 hinzu, dann lassen sich die im Profil dargestellten, einander zugeordneten Köpfe – Luft und Frühling, Sommer und Feuer, Erde und Herbst, Winter und Wasser – als Zwiegespräche zwischen den Elementen und Jahreszeiten deuten.

Arcimboldos Mitarbeiter G. B. Fonteo hat in einem Gedicht darauf verwiesen und auch darauf, dass diese Gespräche als Lobpreis auf den Habsburger Herrscher zu verstehen sind. Deshalb musste Arcimboldo die Serien der Jahreszeiten und Elemente auf Verlangen des Kaisers oftmals wiederholen – die Wiederholungen waren den Vorbildern oft sehr ähnlich, aber nie Kopien - und sie wurden dann als Geschenke für Verwandte und Regenten an den Höfen in Sachsen, Bayern und Madrid verwendet. Es kam ihnen also die Funktion der „Werbung“ für die Politik des Habsburger Herrscherhauses zu. In den Kunst- und Wunderkammern des Habsburger Kaiserhofes hat Arcimboldo viele Dokumentationsstücke einer noch unsystematischen Naturkunde finden können, die ihn beeindruckt und beeinflusst haben könnten. Denn es gehörte auch zu seinen Aufgaben als Hofkünstler, Naturalia zunächst in der Realität abzubilden, um sie dann auch „künstlerisch“ zu verarbeiten.

Was ist denn so einzigartig an diesen Bildern? Arcimboldo malt einen Kopf im Profil aus 80 verschiedenen Blütenpflanzen – den „Frühling“, einen Kopf aus Früchten aller Art – den „Sommer“. Das Bild „Das Wasser“ vereinigt 62 Meeresgeschöpfe in einem scheinbaren Durcheinander. Einen Kopf, aus 40 oder mehr Tieren zusammengesetzt, nennt er „Erde“. Ein Brustbild, aus übereinandergestapelten und aneinandergelehnten Büchern gebaut, mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Kopf, stellt einen „Bibliothekar“ dar (es ist wohl die Kopie eines verloren gegangenen Originals).

Der Jurist“ hat ein Gesicht aus Fischen und gerupftem Geflügel, ein Fischmaul als Mund und auf ausgeklügelte Weise fällt sein Auge mit dem eines Huhnes zusammen. Auf einem Gemälde wird eine Schüssel mit verschiedenen Gemüsesorten dargestellt. Stellt man sie auf den Kopf, wird daraus „Der Gemüsegärtner“, ein berühmtes Vexierbild. Rübe, Zwiebel und der pralle Rettich spielen darüber hinaus auf die männlichen Geschlechtsorgane an.

Die Meinungen der Kunsthistoriker über diese grotesken Erfindungen Arcimboldos – der Katalog beweist es – sind alles andere als einheitlich. Waren das Possenreißereien, Maskeraden, Skurrilitäten, Allegorien, „scherzi“ oder „capricci“? Hat der Künstler die Auffassung vom Menschenantlitz als „Spiegel der Seele“ verspotten wollen? Als „anthropomorphe (menschengestaltige) Stillleben“ sind sie bezeichnet worden, und dieser Begriff dürfte für alle zusammengesetzten Figurenbilder zutreffend sein. War ihm Platos Auffassung von der Entstehung der Welt aus einem Chaos bekannt – die vier Elemente als Grundstoff für Kosmos, Welt, Menschen, Tiere und Pflanzen, die eine Einheit bilden - und hat er aus dieser Sicht seine Bilder gemalt?

Wurden Arcimboldos Köpfe von den Karikaturen Leonardo da Vincis angeregt? Das lässt sich in der Ausstellung durch eine der Zeichnungen Leonardos, der „Studie eines alten Mannes“, mit Arcimboldos hier zum ersten Mal gezeigtem Gemälde der „Vier Jahreszeiten in einem Kopf“ belegen. Ist die Kunst Arcimboldos durch die Umgebung am kaiserlichen Hof, die Tätigkeit in den Kunst- und Wunderkammern und den Umgang mit der gelehrten Gesellschaft, ihren Alchemisten und Zauberern geprägt worden?

Die Wahrheit in einer Verkleidung wiederzugeben, ist die logische Folge des surrealistischen Stils, den sich Arcimboldo zu Eigen gemacht hat. Jedenfalls ist „Vertumnus“ (um 1590), der bei den Römern der Gott der Jahreszeiten war, das Porträt Rudolfs II., frontal wie ein Herrscherporträt, kein „bizarrer“ Scherz zur Erheiterung des Kaisers. Rudolf besteht ganz aus reifen Früchten, prächtigen Blumen und Gemüsesorten, die gleichsam die vier Jahreszeiten darstellen. In „vollkommener Harmonie“ sind die Pflanzen des ganzen Jahres versammelt, um den Kaiser zu verherrlichen, der wie der Gott Vertumnus über sie herrscht. „Schein ich außen Ungeheuer, / Trag ich innen hehre Züge / Und verberge Königsbild“, so feierte Arcimboldos Freund Gregorio Comanini in einem Gedicht dieses Bild.

Dieser Meister des Grotesken, des Paradoxons und der Täuschung bleibt weiter geheimnisvoll, er wird uns auch künftig erstaunen, erfreuen, befremden, beunruhigen und zu tieferem Nachdenken anregen.

Die Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien ist noch bis zum 1. Juni 2008 dort zu sehen.

Literaturangaben:
FERINO-PAGDEN, SYLVIA (Hrsg.) : Arcimboldo 1526-1593. Text von Andreas Beyer, Görel Cavalli-Björkmann, Thomas DaCosta Kaufmann, Franz Kirchweger, Silvio Leydi, Philippe Morel, Karl Schütz u.a. Katalog zur Ausstellung im Musée du Luxembourg, Paris 2007/2008 und im Kunsthistorischen Museum, Wien 2008. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2008. 320 S., 385 Abb., davon 345 farbig, 39,80 €.

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Klaus Hammer, Literatur- und Kunstwissenschaftler, schreibt als freier Buchkritiker für dieses Literaturmagazin. Er ist als Gastprofessor in Polen tätig


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