Von Ulrike Cordes
HAMBURG/WACKEN (BLK) - Rund 10.000 Eichen, Ahorne und Birken hat Arno Surminski auf seinem 25.000 Quadratmeter großen Wochenend- Grundstück in Wacken (Kreis Steinburg) in die Erde setzen lassen. Ein kleineres Areal bildet dabei ein Park, in dem jeder Baum ein Metallschild erhielt, auf dem der Anlass - etwa die Silberhochzeit des Ehepaars Surminski – oder der Spender – wie die Literaturpreisstifterin Hannelore Greve – verzeichnet sind. Kein Zweifel: Der aus Ostpreußen stammende Hamburger Schriftsteller, der im Januar 1945 als Zehnjähriger vor der Roten Armee floh, dessen Eltern als Deportierte in Russland umkamen, der Ende 1945 per Güterwaggon ausgesiedelt wurde und später mit Erzählwerken („Jokehnen“, „Kudenow“) und Sachbüchern vor allem über Ostpreußen und die Vertreibung Popularität und Ansehen errang, ist in seiner neuen norddeutschen Heimat längst fest verwurzelt.
Am Donnerstag (20. August) wird Surminski 75 Jahre alt – und schenkt sich dazu selbst ein Buch: seinen gerade erschienenen, ersten humoristischen Roman „Amanda oder Ein amerikanischer Frühling“ (Verlag Langen-Müller, München), der seine USA-Begeisterung verrät. Doch es war die Gestaltung lange verdrängter deutscher Zeitgeschichte, die Surminskis Ruf ohne jeden Revanchismusverdacht 1974 begründete: Im später vom ZDF verfilmten Debütroman „Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?“ hatte der gelernte Anwaltsgehilfe und spätere Versicherungsfachmann seine Kindheitserfahrungen in plastischer, spannender Form aufgeschrieben - und fast 500.000 Exemplare verkauft.
„Viele Leser waren selbst Flüchtlinge“, erzählt der gelassen erscheinende, vielfach ausgezeichnete Schriftsteller im Sessel vor der Bücherwand seines Hamburger Reihenhauses: „Sie hatten das Gefühl, dass erstmals einer ihre Erlebnisse öffentlich ausspricht.“ Abgesehen vom hoch literarischen Werk seines Freundes Siegfried Lenz sei das Thema Ostpreußen damals von Vertriebenenverbänden besetzt worden - samt mancher Vorwürfe und Forderungen. „Ich habe mein Buch dagegen bewusst aus der Perspektive eines Kindes verfasst, um einfach nur schildern zu können, was war und wie es war“, erklärt Surminski.
Als Sohn eines Schneidermeisters, der in die NSDAP eingetreten war, verlebte er im Dorf Jäglack behütete frühe Jahre inmitten von viel Natur. Die Idylle bekam Risse, als ab 1940 Manöver und Einquartierungen zum Alltag gehörten: „1941 zogen Tag und Nacht Soldaten auf dem Weg nach Russland vorbei - das war der größte Eindruck meiner Kindheit“, sagt Surminski. Dramatisch dann der Fluchtversuch der rund hundert Jäglacker, die nach einer Woche von der Roten Armee gestoppt wurden: Erfrorene, die man unterwegs begrub, und ein Soldat ohne Kopf stahlen sich in die Erinnerung des Zehnjährigen. Nachdem der Treck umgekehrt war, wohnte er im Nachbardorf bei Freunden - Vater und Mutter sah er nie wieder.
„Die Vertreibung war dann für mich ein Segen, denn ich hätte den Winter 1945/46 nicht überlebt. Es gab weder etwas zu heizen noch zu essen“, sagt Surminski. Wie fand er die Kraft zum eigenen Weg, nachdem er schließlich nahe Hamburg bei einer Großfamilie aus seinem alten Dorf untergekommen war? „Man kann an solchen Erlebnissen zerbrechen - aber man kann daraus auch Kraft schöpfen“, sinniert der dreifache Vater und sechsfache Großvater: „Ich hatte den starken Wunsch, es zu schaffen - und das allen zu zeigen.“ Dabei klammerte sich Surminski - nach drei Jahren als Holzfäller in Kanada – neben seinem Brotberuf an sein Schreibtalent: Abends erfasste er Gedichte und Kurzgeschichten - erfolglos. Erst als er sich auf seine ureigene Geschichte besann, kamen der Durchbruch und das freie Autorendasein.
Obwohl die alten ostpreußischen Leser naturgemäß nicht mehr da sind, hält das Interesse an Surminskis Arbeiten immer noch an: „Mein Sommer 44 etwa gilt vielen Nachkommen als Tourismus-Begleitbuch für die Kurische Nehrung“, berichtet der Autor. „Heimat“ - das sei für ihn eines der schönsten deutschen Wörter. Allerdings formten letztlich weder Landschaft noch Bäume den Ort, an dem er sich verwurzelt fühle - sondern Freunde und Familie.
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