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Auf den Hund gekommen

Christopher Boone wird zum Detektiv

© Die Berliner Literaturkritik, 28.06.11

MÜNCHEN (BLK) – Im Juni 2006 erschien bei Blessing „Supergute Tage“ von Brite Mark Haddon und wurde zu einem internationalen Bestseller. Übersetzt hat Sabine Hübner.

Klappentext: Christopher Boone ist fünfzehn Jahre, drei Monate und zwei Tage alt. Er kennt alle Länder und deren Hauptstädte sowie sämtliche Primzahlen bis 7507. Er liebt die Farbe Rot, hasst hingegen Gelb und Braun. Unordnung, Überraschungen und fremde Menschen versetzen ihn in Panik, denn Christopher leidet an einer leichten Form von Autismus. Als aber der Pudel in Nachbars Garten mit einer Mistgabel umgebracht wird, beginnt Christopher, aus seiner fest gefügten, kleinen Welt auszubrechen: Mutig stellt er den schändlichen Verbrecher und erfährt außerdem, was es heißt, in der Welt der Erwachsenen zu leben …

Mark Haddon wurde 1962 in Northampton geboren und lebt heute mit seiner Familie in Oxford. Sein Roman „Supergute Tage“ schaffte es auf die internationalen Bestsellerlisten und auch mit seinen Drehbüchern für das Kinderprogramm der BBC wurde er ausgezeichnet.

 

Leseprobe:

©Blessing©

 

2

Es war 7 Minuten nach Mitternacht. Der Hund lag mitten auf dem Rasen vor Mrs Shears’ Haus, und seine Augen waren geschlossen. Obwohl er auf der Seite lag, sah es aus, als würde er rennen, so wie Hunde rennen, wenn sie im Traum einer Katze nachjagen. Aber dieser Hund rannte weder noch war er am Schlafen. Er war tot. Eine Mistgabel ragte aus dem Fell hervor. Die Zinken mussten sich ganz durch den Hund bis in den Boden gebohrt haben, denn die Gabel stand senkrecht. Ich dachte mir, dass man den Hund wahrscheinlich mit der Mistgabel getötet hatte, denn andere Wunden waren an seinem Körper nicht zu sehen; und ich glaube, niemand würde eine Mistgabel in einen Hund rammen, wenn dieser schon an etwas anderem gestorben ist, zum Beispiel an Krebs oder durch einen Verkehrsunfall. Aber so richtig sicher war ich mir natürlich nicht.

   Ich trat durch das Gartentor von Mrs Shears und machte es hinter mir zu. Dann ging ich über den Rasen und kniete mich neben den Hund. Ich legte die Hand auf seine Schnauze. Sie war noch warm.

   Der Hund hieß Wellington. Er gehörte Mrs Shears, einer Freundin von uns. Sie wohnte auf der anderen Straßenseite, zwei Häuser weiter links.

   Wellington war ein Pudel. Aber nicht einer dieser kleinen Pudel, denen man das Fell trimmt, sondern ein großer. Er hatte lockiges schwarzes Fell, aber wenn man näher heranging, konnte man sehen, dass die Haut unter dem Fell ganz hellgelb war, wie bei einem Hühnchen.

   Ich streichelte Wellington und überlegte, wer ihn wohl umgebracht hatte, und warum.

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3

Ich heiße Christopher John Francis Boone. Ich kenne alle Länder der Welt und ihre Hauptstädte und sämtliche Primzahlen bis 7507.

   Vor einigen Jahren, als ich Siobhan kennen lernte, zeigte sie mir dieses Bild und ich wusste, es bedeutete „traurig“; genauso fühlte ich mich, als ich den toten Hund fand.

   Dann zeigte sie mir dieses Bild und ich wusste, es bedeutete „glücklich“; so fühle ich mich zum Beispiel, wenn ich etwas über die Apollo Weltraum-Missionen lese oder wenn ich um 3 oder 4 Uhr morgens noch wach bin und die Straße auf und ab gehen und so tun kann, als sei ich der einzige Mensch auf der ganzen Welt.

   Dann malte sie noch ein paar andere Bilder, aber ich konnte nicht sagen, was sie bedeuteten.

   Ich ließ Siobhan viele solcher Gesichter malen und daneben genau hinschreiben, was sie bedeuten. Den Zettel steckte ich in die Tasche und zog ihn jedes Mal heraus, wenn ich nicht verstand, was jemand sagte. Aber es war sehr schwierig zu entscheiden, welche Abbildung der jeweiligen Miene am meisten entsprach, weil die Mimik der Menschen ja sehr rasch wechselt.

   Als ich Siobhan davon erzählte, nahm sie einen Stift und noch einen Zettel und sagte, die Leute fühlten sich dann wahrscheinlich sehr und dann lachte sie. Ich zerriss den ersten Zettel und warf ihn weg. Siobhan entschuldigte sich. Und wenn ich jetzt mal jemanden nicht verstehe, dann frage ich ihn, was er meint, oder ich gehe einfach weg.

 

5

Ich zog die Mistgabel aus dem Hund, nahm ihn in die Arme und drückte ihn an mich. Aus den Wunden tropfte Blut.

   Ich finde Hunde gut. Man weiß immer, was sie denken. Sie haben nur vier Stimmungen: glücklich, traurig, ärgerlich und aufmerksam. Außerdem sind sie treu. Und Hunde lügen nicht, weil sie nicht sprechen können.

   Ich hatte den Pudel 4 Minuten lang an mich gedrückt, als ich jemanden schreien hörte. Ich schaute auf und sah Mrs Shears von der Terrasse her auf mich zurennen. Sie trug Schlafanzug und Morgenrock. Ihre Zehennägel waren hellrosa lackiert, und sie lief barfuß.

   „Scheiße!“, schrie sie, „Was hast du mit meinem Hund gemacht?“

   Ich kann es nicht leiden, wenn Leute mich anschreien. Ich kriege dann immer Angst, dass sie mich schlagen oder anfassen, und weiß nicht, was als Nächstes passieren wird.

   „Lass den Hund los!“, schrie unsere Nachbarin. „Verdammt noch mal, lass ihn los!“

   Ich legte Wellington auf den Rasen und rutschte einen Meter zurück.

   Sie beugte sich hinunter. Ich dachte, Mrs Shears würde den Hund jetzt auch aufheben und in den Arm nehmen, aber das tat sie eben nicht. Vielleicht hatte sie das viele Blut bemerkt und wollte sich nicht schmutzig machen. Stattdessen begann sie jetzt wieder loszuschreien.

   Ich hielt mir die Ohren zu, schloss die Augen und rollte mich nach vorn, bis ich zusammengekauert dalag, die Stirn ins Gras gepresst. Das Gras fühlte sich nass und kalt an. Das war schön.

 

7

Dies ist ein Kriminalroman, in dem ein Mord passiert.

   Siobhan hat mir gesagt, ich solle etwas schreiben, das ich selber gern lesen würde. Meistens lese ich Bücher über Wissenschaft und Mathematik. Romane dagegen gefallen mir nicht so gut. In richtigen Romanen sagen Leute zum Beispiel: ‚Ich bin mit Eisen und Silber geädert, mit Dreck gemasert. Ich kann mich nicht zu jener starken Faust schließen, zu der jene sich ballen, die nicht vom Ansporn abhängig sind.’1 Was soll das heißen? Ich habe keine Ahnung. Vater weiß es auch nicht. Siobhan und Mr Jeavons ebenfalls nicht. Ich habe sie alle gefragt.

   Siobhan hat langes blondes Haar und trägt eine Brille aus grünem Kunststoff. Und Mr Jeavons riecht nach Seife und trägt braune Schuhe mit jeweils etwa 60 winzigen kreisrunden Löchern drin. Ja, Kriminalromane mag ich gern. Deshalb schreibe ich jetzt einen. In Kriminalromanen geht es darum, dass jemand herausfindet, wer der Mörder ist, und ihn dann festnimmt. Es ist ein Puzzle. Wenn das Puzzle gut ist, bekommt man die Lösung manchmal schon heraus, bevor das Buch zu Ende ist. Siobhan hat mir erklärt, dass schon der Einstieg eines Buches den Leser fesseln müsse. Daher habe ich mit dem Hund angefangen. Aber ich habe auch deshalb mit dem Hund angefangen, weil ich das selbst so erlebt habe, und ich kann mir nur sehr schwer Sachen ausdenken, die mir selbst nicht passiert sind.

 

1 Als Mutter mich einmal in die Stadtbücherei mitnahm, habe ich diese

Sätze in einem Buch gelesen.

©Blessing©

 

Literaturangabe:

HADDON, MARK: Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone. Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Hübner. Blessing Verlag, München 2011. 288 S., 7,95 €.

Weblink

Blessing Verlag


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