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Auf den Spuren der Nobelpreisträgerin

Zu Besuch in Herta Müllers rumänischem Heimatort Nitzkydorf

© Die Berliner Literaturkritik, 14.10.09

Von Ana Saliste

NITZKYDORF (BLK) - Still ist es an diesem sonnigen Oktobertag vor Herta Müllers Geburtshaus. Still ist es in allen Gassen der kleinen Ortschaft Nitzkydorf (rumänisch: Nitchidorf), rund 30 Kilometer vom rumänischen Temeswar entfernt. Das Bellen von einigen Hunden und das Gackern mancher Gänse ist zwischen den etwas verfallenen Häusern zu hören. Stimmen hört man nur in der Nähe der kleinen Bar, rote Plastikstühle stehen auf der Terrasse. Josef Kradi, ein ehemaliger Nachbar von Herta Müller trinkt dort Kaffee. Anton Kohl, ein einstiger Freund von ihr trinkt ein Bier. Die Blicke der alten Männer wirken müde.

Ab und zu kommt ein Dorfbewohner zu Fuß oder auf dem Fahrrad vorbei. Autos sind nur wenige zu sehen. Dass hier die heute 56- jährige Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller geboren ist und für ein paar Jahre gelebt hat, wissen die wenigsten. „Ich kenne sie nicht“, sagt eine Frau, die gerade an Herta Müllers Geburtshaus vorbeigeht. „Fragen Sie die jüngeren Leute, vielleicht wissen die was“, fügt sie hinzu und geht gebückt weiter mit einem halb vollen Sack über der Schulter. Manche Dorfbewohner gucken misstrauisch zu den fremden Gesichtern der Journalisten hinüber, die neugierig auf ihre Höfe blicken. Die meisten gehen den Journalisten aus dem Weg. Die Reporter sind gut zu erkennen, an den gebügelten Hemden und den Fotoapparaten.

Rumänischlehrer liest Auszüge aus Müllers Roman vor

„Viele Bewohner sind einfache Bauern und kennen Herta Müller überhaupt nicht“, sagt Tiberiu Laurentiu Buhna-Dariciuc, Rumänischlehrer in der Allgemeinbildenden Schule in Nitzkydorf. „Ich versuche aber, den Kindern in der Schule aus ihren Büchern vorzulesen. Es fiel mir ziemlich schwer, Auszüge auszuwählen, die sie nicht abschrecken. Die Kinder sind aber sehr neugierig und auch bereit, so viel es geht zu lernen.“

Den Rumänischlehrer haben wir aus Silagiu, einem von Nitzkydorf rund zehn Kilometer entfernten Dorf abgeholt, damit er uns in Herta Müllers ehemalige Schule begleiteten kann. Tagtäglich pendelt er auf dieser Strecke, um die 250 Schüler, die die Schule in Nitzkydorf besuchen, zu unterrichten. Stolz zeigt er ein Buch von Herta Müller, 2005 hat er in Temeswar ein Autogramm von ihr bekommen. Damals wollte er die Schule nach ihr benennen. Die Schriftstellerin war aber damit nicht einverstanden. „Sie hat ihre Entscheidung damit begründet, dass sie nur durch ihre Werke bekannt bleiben möchte und nicht durch Plakatierung an irgendwelchen Schulen oder sonst was“, sagt Buhna- Dariciuc. „Ich wollte auch einen Literaturwettbewerb nach ihr benennen. Hab es aber aufgegeben, denn ganz bestimmt wäre sie damit auch nicht einverstanden“, sagt er.

„Wir wollen im Dezember, wenn die feierliche Preisverleihung für Herta Müller stattfindet, ein Fest in der Schule organisieren“, kündigt Buhna-Dariciuc an, der seit sieben Jahren Lehrer in Nitzkydorf ist. Er besitzt alle ins Rumänische übersetzten Bücher der am 17. August 1953 geborenen Herta Müller und interessiert sich schon seit Jahren für ihre Entwicklung und ihr Leben. „Im Dorf sind ihre Bücher nirgends zu finden“, sagt er. „In Temeswar, einer der größten Städte Rumäniens, wurden in den letzten Tagen alle Bücher von Herta Müller ausverkauft.“

Neun Schwaben leben noch in Nitzkydorf

Als Herta noch ein Kind war, gab es im rumänischen Banat eine große Gemeinde deutschstämmiger Schwaben. Mehrere Dialekte schmolzen dabei zusammen. „Einerseits war der schwäbische Dialekt da, andererseits gab es den österreichischen Dialekt, von den Leuten aus Tirol“, erinnert sich eine Dorfbewohnerin. Derzeit leben aber nur noch neun Schwaben in Nitzkydorf. Die anderen sind entweder gestorben oder vor und nach der Revolution 1989 ausgewandert.

Auch Herta Müller ist 1987 mit ihrem damaligen Mann, Richard Wagner, nach Westberlin geflohen. Das kommunistische Regime hatte sie dabei hinter sich gelassen, traurige Erinnerungen und der Druck seitens des rumänischen Geheimdienstes Securitate blieben ihr aber für immer fest im Gedächtnis verwurzelt. Diese Erinnerungen gibt sie in dem ihr eigenen Sprachstil in ihren Büchern weiter.

Im kleinen Temescher Dorf ist derzeit nur noch eine 88-jährige Schwäbin in traditioneller Alltagstracht der Schwaben anzutreffen. Oft sitzt sie einsam vor ihrem Haus. An Herta Müller kann sie sich nicht erinnern. Ukrainer und Moldauer wurden in den 80-er und 90-er Jahren hier ansässig. Deshalb ist die katholische Kirche, nicht weit von Hertas Haus entfernt, fast jeden Sonntag leer. Nur einmal im Monat hält ein Priester eine heilige Messe für die wenigen verbliebenen Katholiken. Er kommt aus der zehn Kilometer von Nitzkydorf entfernten Kleinstadt Busiasch. „Alle zwei Jahre treffen sich hier die Schwaben, die nach Deutschland ausgewandert sind“, sagt der Rumänischlehrer Buhna-Dariciuc, dem das Dorf sehr am Herzen liegt. Herta kam jedoch niemals zurück.

Die Meinungen der hier gebliebenen Schwaben über ihre ehemalige Dorfbewohnerin und jetzige Nobelpreisträgerin sind geteilt. „Sie wird von manchen Schwaben misstrauisch beäugt“, sagt Schulsekretärin Anneliese Ivan. „Sie fühlten sich irgendwie betrogen, weil Herta viel Intimes über sie preisgegeben hat, in ihrem ersten Buch ‚Niederungen’. Die Schwaben hier empfanden das als Nestbeschmutzung, sie wollten ihr das immer vorwerfen, haben sie aber nicht mehr getroffen. Ich habe sie bereits seit 1983 nicht mehr gesehen“, erzählt sie.

Anneliese Ivan hatte sich besonders mit Hertas Mutter angefreundet. „Ihre Mutter war sehr freundlich“, erinnert sie sich lächelnd, während sie Hertas Abschlussdiplom der achten Klasse aus einer hölzernen alten Schublade holt. „Herta war eine sehr gute Schülerin. Hatte nur Höchstnoten. Nur in Rumänisch hatte sie im ersten Trimester der ersten Klasse eine Sieben. Wahrscheinlich, weil sie die Landessprache Rumänisch in der Schule erst erlernt hat ­ in einem Dorf, wo alle Deutsch ­ Schwäbisch ­ sprachen. Denn sie selbst hat zugegeben, sie hätte erst spät Rumänisch gelernt“, sagt Anneliese Ivan, zugleich auch Bio- und Physiklehrerin.

Auch die in Rente gegangene Lehrerin Marioara Dobosan erinnert sich an Herta, als sie noch im Kindergarten war: „Ich hab' sie auch heute noch vor meinen Augen, in ihrer Uniform mit blau kartierter Musterung. Sie war immer sehr energisch und ständig mit den Mädchen zusammen. Herta war nicht eingebildet, obwohl ihre Eltern sehr reich waren. Ich bin echt stolz auf sie“, sagt Dobosan, während sie zwischen den hölzernen Bänken eines etwas dunklen Klassenzimmers langsam spaziert, als ob dies ihr dabei helfen würde, sich besser an das zierliche Mädchen zu erinnern.

Das Lehrerpult und manche Möbelstücke sind vielleicht noch die gleichen wie in Hertas Schuljahren, die Bänke aber ganz bestimmt nicht. „Damals waren es Bänke mit vier und nicht mit zwei Plätzen, wie jetzt“, erinnert sie sich. Zwei Monate lang war sie die Mathematiklehrerin von Herta Müller, weil sie damals eine in Urlaub gegangene Lehrerin ersetzen musste. „Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glaube, sie war die beste Schülerin damals“, erinnert sich Marioara Dobosan.

In der Schule sind noch zwei Bücher aus Hertas Bibliothek zu finden: „La Medeleni“ (Bei Medeleni) von Ionel Teodoreanu, ein Roman über Kindheit und Jugend und „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos. Ihr Name steht noch, mit blauer Tinte geschrieben, auf der ersten Seite der Bücher. „Hertas Mutter hat vor der Auswanderung alle ihre Sachen und Objekte verkauft“, erinnert sich Anneliese Ivan.

Anton Kohl, ein einstiger Freund von Herta Müller, erinnert sich an ihre Vorliebe fürs Lesen. „Herta war ein aufgeregtes und mutiges Mädchen. Ihren Anfang hat sie auch den Lehrern zu verdanken. Ich bin sehr stolz und froh, dass sie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Es war damals lebensgefährlich, über das kommunistische Regime zu schreiben ­ es glich einem Todesurteil. Sie hat den Preis verdient“, sagt Anton Kohl.

Das Haus von Herta Müller liegt an der Hauptstraße - es ist ein graues Eckhaus. Auf der einen Seite sind noch die alten Rollläden zu sehen, ein wenig verrostet. Die Fenster auf der anderen Seite wurden von der jetzigen Bewohnerin mit Wärmedämmfenstern ersetzt. 1987, einen Monat, nachdem Herta Müller ausgewandert war, ist die Lehrerin Emilia Marta dort eingezogen. „Das Haus war vollkommen leer. Alles war so ordentlich und sauber. Und richtig beeindruckt war ich von den Erdbeeren im Garten. Die Dorfbewohner haben mir erzählt, dass Hertas Mutter eine ausgezeichnete Hausfrau war“, sagt Emilia Marta.

Das Haus hat auch einen Brunnen, der ist nie ausgetrocknet und funktioniert heute noch. Hier war früher ein Sumpfgebiet, so dass das Wasser nah an der Oberfläche ist“, erklärt sie. „Ihre Eltern waren reich, sie hatten einen Laden, und sie verkauften auch viel Getreide aus eigener Produktion“, erinnert sich Emilia Marta. Sie ist 1987 aus Siebenbürgen hierhergezogen ist, um als Lehrerin an der Grundschule in Nitzkydorf zu unterrichten. 1997 hat sie das Haus gekauft, bis dahin hatte sie Miete an den Staat bezahlt. Anfang der 90er Jahre, während der Frühlingsferien, bekam sie Besuch von Hertas Mutter, die noch einmal das Haus sehen wollte. „Sie war sehr aufgeregt und hatte Tränen in den Augen“, erinnert sich Emilia.

Auch der Nachbar von Herta Müllers Familie, Josef Kradi, der manchmal ganz allein auf der Bank vor seinem Haus sitzt, erinnert sich an die Eltern von Herta Müller. Kradi ist der Verwalter des Friedhofs und fährt bei Begräbnissen den Leichenwagen des Dorfes zum Friedhof. Dort sind zahlreiche Grabsteine mit dem Namen Müller zu finden. „Der Name war sehr häufig hier anzutreffen“, erläutert der 80-jährige Kradi. Den Weg zum Grabstein von Herta Müllers Vater, Josef Müller, der 1978 gestorben ist, kennt er aber gut. Hier sind auch ihre Großeltern seitens der Mutter, Franz und Elisabeth Gion, begraben. Auf der anderen Seite des Grabsteins ist ein verwittertes Foto mit Hertas Onkel zu sehen.

Vorbild für die Kinder aus Nitzkydorf  

„Meine Brüder wurden in die Ukraine deportiert. Dort wurden sie krank und schließlich nach Deutschland gebracht. Hertas Vater hat sie zurück nach Rumänien gebracht“, erinnert sich Kradi, einer der wenigen Deutschen, die noch in Nitzkydorf leben. „Meine Kinder sind in Regensburg. I wollt aber do bleibe“, sagt er leicht schwäbelnd. Über Hertas Nobelpreis hat Josef Kradi von den Journalisten erfahren. „Ich habe vor ein paar Tagen drei Autos vor ihrem Haus gesehen und habe die Nachbarn gefragt, was die wollen. Die haben mir dann gesagt, die Herta hat was gewonnen“, sagt Kradi.

Herta hat hier viel gelitten“, erzählt Schulsekretärin Anneliese Ivan. Ihr Großvater war ein wohlhabender Bauer und Kaufmann. Unter dem kommunistischen Regime wurde er aber enteignet. Hertas Mutter musste, wie viele andere Banater Schwaben damals, für einige Jahre zur Zwangsarbeit in die UdSSR. Herta Müller selbst wurde ständig von Securitate-Mitgliedern verfolgt. Kühl und bitter erzählt sie in einem Artikel, dass sie ihre Mahlzeiten nur mit großer Angst aß. Sie befürchtete, dass das Essen vergiftet sein könnte. Mehrere Male wollte sie sich das Leben nehmen.

„Vielleicht meidet sie deshalb diesen Ort, es sind zu viele Erinnerungen. Das Böse hat sich aber auch zu etwas Gutem entwickelt. Hätte sie nicht so vieles erlebt, hätte sie auch nicht darüber geschrieben und vielleicht keinen Preis gewonnen. Ich finde es toll, dass sie mit diesem Preis ausgezeichnet wurde“, meint Anneliese Ivan. Sie würde sich freuen, wenn Herta Müller noch einmal nach Nitzkydorf zurückkehren würde, an ihre alte Schule und den Kindern von ihrer Kindheit in Rumänien erzählte wie in dem Hörbuch „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“. „Herta Müller könnte für sie ein Vorbild sein“, meint Anneliese Ivan.


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