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Auf die Couch, Mr. Bush!

Sachbuch-Presseschau vom 23. März 2004

© Die Berliner Literaturkritik, 23.03.04

 

BERLIN (BLK) – Die "FAZ" stellt gleich fünf Bücher vor, die sich mit den USA und deren Außenpolitik mit sehr unterschiedlicher Kompetenz und Überzeugungskraft beschäftigen. Daneben gibt es eine kompakte Darstellung der politischen und wirtschaftlichen Einigung Europas. Die "SZ" beschäftigt sich mit der Filmkunst unter Stalin und dem "Berliner Antisemitismusstreit", der durch den Historiker Heinrich von Treitschke 1879 ausgelöst wurde. In dem von Ulf Diederichs herausgegebenen "Ma'assebuch" werde ein Grundstein jüdischer Literatur freigelegt, so die "NZZ". Andreas Cremonini setze sich dagegen mit der Verbindung von Philosophie und Psychoanalyse auseinander. Die "taz" widmet sich schließlich den Fotografien und dem "Geplauder" der Witwe des kürzlich verstorbenen Star-Fotografen Helmut Newton.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung"

Die Regierung Bush junior habe die Terroranschläge des 11. September 2001 "zum Anlass für die bisher radikalste Umgestaltung der amerikanischen Gesellschaft, der Außenpolitik und der Demokratie" genommen, so der österreichische Journalist Eric Frey in seinem Werk "Schwarzbuch USA". Doch die "FAZ" findet, dass der Titel "ungute, fatale Assoziationen" hervorrufe. Frey behandle in seinem Buch "alle Sünden und Verbrechen amerikanischer Politik".

Der amerikanische Journalist David Corn möchte in seinem Buch ("Die Lügen des George W. Bush") nachweisen, dass Präsident George W. Bush ein notorischer Lügner ist, so die "FAZ". Kapitel für Kapitel werden Bushs Beteuerungen seiner Wahrheitsliebe, die jeweils einleitend zitiert werde, widerlegt. Dass Bush "mit all dem durchgekommen" sei, liege nicht nur, aber doch in großem Maße an der Medienwelt.

Bush nutze die Terroranschläge, "um für die USA das Recht auf präventive Militärschläge zu beanspruchen", er missbrauche sie, um eine Politik durchzusetzen, die ohne diese einschneidenden Ereignisse von der amerikanischen Öffentlichkeit nicht toleriert worden wäre, so George Soros in seinem neuen Buch, das in der "FAZ" vorgestellt wird. Die Ideen einer unumschränkten Vorherrschaft Washingtons seien bereits vorher von neokonservativen Politikern und Wissenschaftlern, die dann in der Regierung Bush Schlüsselstellungen eingenommen hätten, formuliert worden. Soros bekenne, dass er es zu seinem vordringlichen Ziel gemacht habe, die amerikanische Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer Abwahl George W. Bushs zu überzeugen.

Der Komplex von Selbstzensur großer Medienkonzerne oder gar direkten Eingriffen sei Gegenstand des von Kristina Borjesson herausgegebenen Sammelbandes "Zensor USA", so die "FAZ". In ihm berichten dreizehn zum Teil preisgekrönte Vertreter des investigativen Journalismus über ihre Erfahrungen beim Aufdecken skandalöser politischer Vorgänge. Der Verlag zitiere die Einschätzung von "Publishers Weekly": "Wenn die Öffentlichkeit dieses Buch liest, wird sie entsetzt sein." Die Essays zeigen Vertuschungsversuche mannigfacher Art, Behinderung der Recherchen und Desinformation. Aber die Recherchen konnten durchgeführt werden, so werde entgegen der Behauptung des Untertitels dieses Buches die amerikanische Presse, wie der Essayband selbst belege, nicht "zum Schweigen gebracht".

"Schurkenstaat", der Titel des Buches von Clyde Prestowitz, lege die Vermutung nahe, dass es nach Machart und Argumentation einem ähnlichen Muster folge, wie die bisher in der "FAZ" vorgestellten Bücher. Dies sei jedoch glücklicherweise nicht der Fall. Der weltläufige amerikanische Journalist habe Zugang zu hochrangigen ausländischen Persönlichkeiten gehabt und habe seine Interviews sorgfältig ausgewertet, meint die "FAZ". Prestowitz möchte den "verwirrten und verletzten Amerikanern" erklären, warum die Welt sich scheinbar gegen sie stelle, und den Menschen außerhalb Amerikas zeigen, inwieweit sie dessen gute Absichten häufig missverstünden. "Ein gelungener Versuch!", schließt der Rezensent.

Eine kompakte Darstellung der politischen und wirtschaftlichen Einigung Europas lege Franz Knipping mit seinem Buch "Rom, 25. März 1957" vor. An eben jenem Tage leitete die Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft einen säkularen Paradigmenwechsel in der Geschichte Europas ein, meint die "FAZ". Neben fruchtbaren Abschnitten gab es zahlreiche Perioden tiefer Krisen, und wer dies verstehen möchte, dem sei diese "luzide Studie von Franz Knipping empfohlen", der eine "kaum überschaubare Fülle von Quellen und Studien zu einer konzisen Synthese" bündele.

Mehr: Säkularer Paradigmenwechsel

"Süddeutsche Zeitung"

Zu Zeiten Stalins zählte das Wort alles und das Bild nichts, fasst die "SZ" knapp zusammen. Die filmische Darbietung habe weniger das Misstrauen erregt als das Drehbuch. Die Kunst des Filmemachens galt nicht als eigentliche Kunst, bestenfalls als Mittel, Propaganda zu betreiben. Dieses fasst ein Beitrag des neu erschienenen und von Jurij Murasov und Georg Witte herausgegebenen Sammelbands "Musen der Macht" zusammen. Gleichwohl sei der Film unter Stalin als "Exempel für eine neue Utopie des Synkretismus", der Verschmelzung verschiedener Kulturtechniken, genutzt worden. Die neuen Techniken boten die Möglichkeit, das eine durch das andere zu ersetzen, die Grenzen zu verwischen, lockt der Rezensent, angeregt durch die neue Bewertung des stalinistischen Medienbegriffs.

Eine der politisch folgenreichsten Debatten nach der deutschen Reichsgründung war der "Berliner Antisemitismusstreit" von 1879 bis 1881, stellt der Rezensent von der "SZ" fest. Die neu im K.G. Saur Verlag erschienene Edition versammle 112 Texte und dokumentiere damit jene Auseinandersetzung in mustergültiger Breite und Differenziertheit. Ausgegangen war der Streit durch Heinrich von Treitschkes antijüdischem Artikel. Durch diesen wurden die Juden für viele in Deutschland zur "Gegen-Idee" der eigenen Welt. Dennoch sei zu betonen, dass Treitschkes Pamphlet am Beginn eines Weges stand, "ohne dass man ihm das Ziel unterstellen kann", hebt der Kritiker hervor.

"Neue Zürcher Zeitung"

Im Jahre 1602 wurde in Basel das erste "Mayse Bukh" gedruckt, ein Buch mit 254 Geschichten. Inhalt waren Erzählungen, die ihrerseits auf Erzählungen aufbauten, die jüdische Tradition wiedergebend. Sie übernehmen Episoden aus dem Talmud, die auf Stellen aus der Tora zurückgreifen, so die "NZZ". Die neue Ausgabe des "Ma'assebuchs", die von Ulf Diedrichs vorgelegt wird, sei die Freilegung eines Grundsteins jüdischer Literatur, die von ihm anschließend kommentiert werde. Er schlüssle die entsprechenden Stellen auf, belege die Bibelzitate und erläutere Abweichungen. Dieses sei eine sehr informative, wenn bisweilen auch durch ständige, in Klammern gesetzte Worterklärungen ein wenig anstrengende Literatur, stöhnt der Kritiker abschließend.

Psychoanalyse und Philosophie in Verbindung zu bringen, sei ein allgemein heikles Thema so die "NZZ" über "Die Durchquerung des Cogito" von Andreas Cremonini. Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan hingegen habe sich mit der philosophischen Tradition auseinandergesetzt und sehe die Unabdinglichkeit angrenzender Wissenschaftsfelder, berichtet die "NZZ" über Cremoninis Studie. Unterstützt werde diese These durch Lacans Exegese des Werkes von Jean-Paul Sartre.

"die tageszeitung"

Ihr Blick auf die Welt sei einigermaßen bizarr, so die "taz" über June Newtons Autobiographie "Mrs. Newton". Bereits der Titel gebe Aufschluss über June Newton: In erster Linie habe sie sich als Mrs. Newton verstanden und somit erkläre sich auch die Qualität ihrer Fotoarbeiten, da sie – an der Seite des Starfotografen – nie unter dem Druck der Auftragsakquise stand. Meist zeigen die Aufnahmen der mittlerweile verwitweten Fotografin ohnehin Berühmtheiten aus dem Freundeskreis der Newtons. Die "taz" wertet dieses Buch als ein unkonzentriertes Geplauder, das aber am Ende doch recht amüsant sei. (wip/dag/zeh)

Mehr: Ein bizarrer Blick auf die Welt

Literaturangaben:
BORJESSON, KRISTINA (Hg.): Zensor USA. Wie die amerikanische Presse zum Schweigen gebracht wird. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm. Pendo Verlag, Zürich 2004. 432 S., 24,90 €.
CORN, DAVID: Die Lügen des George W. Bush. Über Dichtung und Wahrheit in der amerikanischen Politik. Aus dem Amerikanischen von Gertrud Bauer und Martin Bauer. Wilhelm Heyne Verlag, München 2004. 375 S., 20 €.
CREMONINI, ANDREAS: Die Durchquerung des Cogito. Lacan contra Sartre. Verlag Wilhelm Fink, München 2003. 286 S., 38 €.
DIEDERICHS, ULF (Hg.): Das Ma'assebuch. Altjiddische Erzählkunst. Mit 33 Bildern. Ins Hochdeutsche übertragen und kommentiert von Ulf Diederichs. "dtv", München 2003. 845 S., 14,50 €.
FREY, ERIC: Schwarzbuch USA. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 496 S., 24,90 €.
KNIPPING, FRANZ: Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004. 366 S., 15 €.
KRIEGER, KARSTEN (Hrsg.): Der "Berliner Antisemitismusstreit" 1879-1881. Kommentierte Quellenedition. K.G. Saur Verlag, München 2003. 2 Bde., zus. 903 S., 258 €.
MURASOV, JURIJ / WITTE, GEORG (Hrsg.): Musen der Macht. Medien in der sowjetischen Kultur der 20er und 30er Jahre. Wilhelm Fink Verlag, München 2003. 308 S., 39,90 €.
NEWTON, JUNE (Hrsg.): Mrs. Newton. Taschen Verlag, Köln 2004. 256 S., 178 Abb., 29,99 €.
PRESTOWITZ, CLYDE: Schurkenstaat. Wohin steuert Amerika? Aus dem Amerikanischen von Stephanie Dreikauß. Artemis & Winkler im Patmos Verlag, Düsseldorf/Zürich 2004. 363 S., 24,90 €.
SOROS, GEORGE: Die Vorherrschaft der USA – eine Seifenblase. Aus dem Amerikanischen von Hans Freundl und Norbert Juraschitz. Karl Blessing Verlag, München 2004. 221 S., 20 €.

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