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Auf Reisen mit Emil Nolde

Manfred Reuther hat ein überaus gelungenes Katalogbuch herausgegeben

© Die Berliner Literaturkritik, 19.03.10

Von Klaus Hammer

Nolde, Nolde und abermals Nolde. Mit „Tanz, Theater, Cabaret“, den frühen Berliner Arbeiten von 1910/11, hatte im Herbst 2007 - vor knapp drei Jahren - die Berliner Dependance der Nolde-Stiftung Seebüll ihre Pforten geöffnet. Dann folgten Noldes Südseereise 1913/14, seine Garten- und Blumenbilder, die „Herbstmeere“ von Nord- und Ostsee, schließlich die „Ungemalten Bilder“, jene kleinen Aquarelle, die der vom NS-Malverbot betroffene Künstler insgeheim zwischen 1938 und 1945 in Seebüll malte. Und nun werden Reisebilder aus Deutschland, Spanien und der Schweiz vorgestellt. Die Nolde-Stiftung in Seebüll könne noch viele Jahre aus eigenen Beständen weitere thematische Ausstellungen ihres Hausherrn präsentieren, verhieß deren Direktor Manfred Reuther. Was zieht die Besucher immer wieder bei diesem Künstler in den Bann? Aufgewachsen in der norddeutschen Küstenlandschaft zwischen Nord- und Ostsee, ist Nolde zwar oft genug aufgebrochen in ferne Gegenden, aber immer zog es ihn zurück in seine heimatliche Landschaft, in der er zu seinem unverwechselbaren Stil finden sollte. Es genügte „eine vage Vorstellung nur in Glut und Farbe“, so Nolde, um den Bilderstrom seiner Phantasie auszulösen. Die Erregung, die ihn vor der Natur erfasste, die Faszination den Menschen seiner Umgebung gegenüber äußerte sich als Ekstase. „Die Skala der Farben und eine leere Leinwand waren mir wie ein Kampf gegeneinander“. Aber „andere Landschaften, anderes Leben, andere Menschen“, wie sie die jetzige Ausstellung „Reiselust“ (bis 4. Juli 2010) vermittelt, haben diesem virtuosen Maler der Farbe stets neue künstlerische Anregungen eröffnet und trugen zur ungeheuren Variationsbreite des ihm eigenen Malstils bei.

Es ist eine Lust, in dem von Manfred Reuther herausgegebenen Katalogbuch zu blättern. Großformatige Abbildungen sind den Texten des Herausgebers und des Kurators der Ausstellung, Andreas Fluck, beigegeben. An fünf Reisestationen wird der Weg Noldes von der impressionistischen, lichtsprühenden Malweise zur Befreiung der Farbe und zur expressiven Geste verfolgt. Farbe kann hier als emotionsgeladene Materie erlebt werden. In den Wintermonaten 1907 und1908 hielt er sich in Jena und Umgebung auf, auf der Suche nach einem neuen Malstil. Hatte er sich bisher am deutschen und französischen Spätimpressionismus und vor allem am großen Vorbild Vincent van Gogh orientiert, so ging er jetzt viel experimentierfreudiger mit der Farbpalette um. Reinste Farbwerte werden oft in komplementären Kontrast nebeneinander gesetzt, ungewöhnliche Pink-, Orange- und Violett-Töne setzen in Erstaunen. Die Pinselblätter zeigen Flecken, Wasserränder, unerwartete Auslassungen, Farbmischungen und –verläufe, die auf einen Auftrag der Aquarellfarben auf wässrigen Bildgrund hindeuten. Selbst die Kristallformen der Schneeflocken sind noch erkennbar, die damals auf die Farbe fielen.

Auf der Spanienreise 1921 entstanden wundervolle Aquarelle in Granada, von der Architektur der Stadt wie von ihren Menschen, vor allem von den gitanos, die Wohnhöhlen im Klosterberg von Sacromonte bewohnten und die Nolde an die Naturvölker der Südsee erinnerten. Die Porträts und Figurengruppen werden bereichert durch die tanzenden „Zigeunermädchen“. Auf die schwarze Konturlinie wird gänzlich verzichtet zugunsten intensiv leuchtender Farbflecken, die kontrastreich aneinander stoßen oder zart miteinander verschmelzen. Mitunter löst sich die Figur ganz in farbige Linien auf. Dann wieder, während der spanischen Karwoche, malt er festlich gekleidete Spanierinnen aus den Prozessionen.

Auf verschiedenen Schweiz-Aufenthalten in den 20er und 30er Jahren sind Aquarelle entstanden, in denen er die Erhabenheit der Bergwelt, die unberührte und übermächtige Natur eingefangen hat. Verschiedenste Blautöne laufen ineinander, verschmelzen mit zartem Grün oder Braun und enden als lichte Pastelltöne im neutralen Weiß der Schneeflächen. Die Horizontlinie ist bis an den Bildrand hoch gezogen, die Berggipfel drängen darüber hinaus. Der Betrachter wird magisch in die Urgewalt der Naturerscheinung hineingezogen. Kühle Blau- und Grüntöne dominieren, doch werden auch warmfarbige Akzente gesetzt. So kann der Abendhimmel über einem düsteren Gebirgszug in leuchtendem Gelb entflammen, eine Gipfelkette erglüht in hellem Orange  oder die Bergspitzen erstrahlen über einem eisgrauen Bergsee in kräftigem Rot. Wie die Meeresbilder erreichen die Berg-Aquarelle einen hohen Grad an Abstraktion.

Schon 1910/11 hatte Nolde eine Folge von Bildern geschaffen, die er „Herbstmeere“ nannte und die bis an den Rand der Gegenstandslosigkeit gehen. Ein Arbeitsaufenthalt im Herbst 1930 auf Sylt und eine Erholung im Frühjahr 1946 in dem Luftkurort St. Peter auf der Halbinsel Eiderstedt galten dann wieder dem bewegten Meer mit glühenden Sonnenuntergängen, dem Brausen der Wellen, den sich stets wandelnden Wolkenformationen, dem Ineinanderübergehen oder Aufeinandertreffen der Elemente am Horizont. Die Farbe hat hier einen eigenständigen Bildwert erhalten, hinter dem die Motivschilderung zurücksteht. Fasziniert vom unerschöpflichen Gestalt- und Farbenreichtum des Meeres suchte Nolde immer wieder nach adäquaten Ausdrucksmöglichkeiten für das Urzuständliche und fand sie in der lebhaften Pinselführung und im pastosen Farbauftrag wie in der vehementen Dramatik des Kolorits mit irisierenden Reflexen aus Weiß, Gelb, Blau und Rot. Hier existiert keine Distanz mehr zwischen Mensch und See, der Betrachter befindet sich inmitten des tosenden Meeres, das ihn von allen Seiten umgibt, während sein Blick doch nur einen Ausschnitt aus der Unendlichkeit zu erfassen vermag.

Auf Sylt lernte er das Berliner Ehepaar Turgel kennen, deren Frau er wiederholt porträtiert. Nolde verwendete auch hier den Komplementärkontrast Gelb –Violett, um den Farben eine maximale Leuchtkraft zu verleihen. Wie bei den Aquarellen ist auch im Ölbild das Gesicht allein durch Farben modelliert. Zwei Bildnisse der Berliner Bildhauerin Renée Sintenis blieben unvollendet.

„Vor der Natur waren meistens die vollen, satten Farbenklänge meine Freude“ - 16 Jahre später, in St. Peter, entstand dann eine ganze Folge lyrischer Darstellungen der Nordsee. Wasser, Luft und Wolken verschmelzen miteinander. Die Spiegelungen auf der Meeresoberfläche setzen reizvolle farbige Akzente. Einige dieser Aquarelle dienten Nolde als Vorlage für Ölbilder, in denen er zwar weniger kompositionell als vielmehr farblich andere Akzente setzte, die Farbenvielfalt der Aquarelle auf wenige prägnante Farbakkorde reduzierte.

Nolde hat das Eigenleben der Farbe für sich entdeckt. Elementare Urkräfte wirken in seinen Bildern. Es genügte „eine vage Vorstellung nur in Glut und Farbe“, um den Bilderstrom seiner Phantasie auszulösen. Bis ins hohe Alter war er auf der Suche nach unverbrauchten Bildern für seine Vorstellungswelten.

 

Literaturangabe: FLUCK, ANDREAS: Emil Nolde - Reiselust. Unterwegs in Deutschland, Spanien und der Schweiz. DuMont Buchverlag, Köln 2010. 152 S., 29,95 €.

 

Weblink: DuMont Buchverlag

 

 

 


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