DÜSSELDORF (BLK) — „Es ist eine unangenehme Vorstellung, dass man darum werben muss, dass einem geglaubt wird.“ Das sagte — sichtlich betroffen — der Schriftsteller Dieter Wellershoff bei einem Auftritt am Mittwochabend in Düsseldorf. Einen Tag zuvor war bekannt geworden, dass im Bundesarchiv eine NSDAP-Mitgliedskarte auf den Namen des heute 83-Jährigen existiert. Der in Köln lebende Autor hatte den auf den 55. Geburtstag Hitlers, den 20. April 1944, datierten Parteieintritt mit der Begründung bestritten, es gebe keinen von ihm persönlich unterschriebenen Aufnahmeantrag.
„Es gibt nur die Karte, keine Unterschrift“, sagte der 1925 geborene Wellershoff in Düsseldorf. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, in die NSDAP einzutreten.“ Seine Aufnahme sei — wie bei den in der Vergangenheit immer wieder aufgetauchten Fällen einer vermeintlichen NSDAP-Mitgliedschaft etwa der Schriftsteller Martin Walser und Siegfried Lenz oder des Kabarettisten Dieter Hildebrandt ohne sein Wissen erfolgt. „Es gab genügend Gründe, das vorzutäuschen“, sagte Wellershoff. Und das nicht, weil er — unter Bezug auf das Aufnahmedatum — ein „Geburtstagsgeschenk für den Führer“ sein sollte.
„An solche Überlegungen glaube ich nicht“, meinte der Autor. „Das ist aus bürokratischen Gründen gemacht worden mit der Absicht, große Erfolgszahlen zu melden.“ Es handele sich um eine „pauschale Aufnahme“, mit der „nach oben hin“ Eindruck gemacht und vermittelt werden sollte, „dass noch was da ist an Ressourcen“. Die Historikermeinung, es habe „heilige, eiserne Grundsätze“ für die Parteimitgliedschaft gegeben — keine Aufnahme ohne eigenhändig geleistete Unterschrift — „finde ich problematisch“. Es gebe genügend Beispiele, die diese Behauptung widerlegten.
„Anpassung an und Distanz zur Welt zu entwickeln, ist ein ganz komplizierter Vorgang“, meinte der Schriftsteller, der mit knapp 18 Jahren Soldat in der Wehrmacht wurde. „Vielleicht hat die Kriegsgeneration versäumt, alles zu erzählen.“ Aus seiner Sicht hätte es dafür aber eine „Generationen übergreifende, therapeutische Situation“ geben müssen: „Erzähl' mir alles, ich will es wissen, nicht verurteilen“. Identitätsbildung sei ein komplizierter Prozess, sagte der weithin geschätzte Autor, dessen Literaturvorstellung die eines individuellen „Erkenntnisprozesses“ ist. Nach dem Krieg sei der Existenzialismus die wichtigste Antwort auf seine bis dahin gemachten Erfahrungen gewesen: „Der Mensch ist dazu da, sich seine eigene Notwendigkeit zu schaffen statt nach Schemata zu leben: Wer bin ich, was will ich sein?“ (dpa/köh/mül)