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„Aufstand der Unterschicht“

Deutsche Unterschichtenkinder: Opfer oder Gefahr für die Gesellschaft?

© Die Berliner Literaturkritik, 03.12.08

 

HAMBURG (BLK) — Inge Kloepfer schreibt in ihrem neuen Sachbuch „Aufstand der Unterschicht“ über das Versagen der Gesellschaft. Außerdem zeigt sie, wie die Gesellschaft jenem Aufstand durch Förderung der vermeintlichen Verlierer präventiv entgegentreten und den Teufelskreis aus Milieu, Armut und fehlender Bildung durchbrechen könne. Erschienen ist das Buch 2008 bei Hoffmann und Campe.

Klappentext: „Du musst unberechenbar bleiben. Dann haben alle Angst vor dir.“ Deutschland hat eine neue Unterschicht — und die wird stetig größer. 20 Prozent der heutigen Kinder werden chancenlos bleiben und keine Zukunft haben. Noch ist es ruhig. Doch das muss nicht so bleiben. Inge Kloepfer zeigt, warum es sich lohnt, in die Potenziale der vermeintlichen Verlierer zu investieren. Jascha ist ein Unterschichtenkind. Er ist in der falschen Familie aufgewachsen, hat im falschen Viertel gelebt und die falschen Schulen besucht. Er wird der Allgemeinheit ein Leben lang zur Last fallen. Dieses Buch erzählt Jaschas Geschichte und analysiert sie im Hinblick auf die vielen Millionen, die sein Schicksal teilen. Es zeigt, wie ein junger Mensch zum Systemverlierer gemacht wird, und offenbart das Versagen der Gesellschaft.

Inge Kloepfer, Jahrgang 1964, studierte Volkswirtschaftslehre und Sinologie. 1992 wurde sie Mitglied der Wirtschaftsredaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Seit 2001 schreibt sie für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Bei Hoffmann und Campe erschien 2005 ihr Bestseller über die Verlegerin Friede Springer, für den sie mit dem Preis „Wirtschaftsjournalistin des Jahres 2005“ ausgezeichnet wurde. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin. (her)

Leseprobe:

©Hoffmann und Campe©

Jascha sitzt in einem Internetcafé in Berlin-Charlottenburg. Wer ihn sucht, findet ihn dort. Am späteren Nachmittag oder auch am Abend. Vorher nicht. Denn Jascha schläft meistens bis Mittag. Er hat nichts zu tun, lebt derzeit von Hartz IV. Hier im Internetcafé will niemand etwas von ihm — vom Ladenbesitzer einmal abgesehen, der die Rate für die Streifzüge durch die virtuelle Welt mit 50 Cent für die Stunde festgesetzt hat. Jascha ist gerade 19 Jahre alt, und man würde ihn nicht älter schätzen. Er ist von mittlerer Größe, leicht untersetzt und sehr kräftig. Irgendwie wirkt er aufgepumpt. „Ich trainiere viel — mit Hanteln“, sagt er und blickt unwillkürlich auf seine Schultern, an seinen nackten Armen herunter und ballt seine Hände zu Fäusten. Die Unterarme sind derzeit mit Pusteln übersät. „Ich geh nicht zum Arzt; deswegen nicht“, setzt er hinzu und winkt ab. Dann lächelt er und schüttelt den Kopf. Bisher sei er weitgehend ohne Ärzte ausgekommen. Ärzte seien etwas für Schwächlinge oder „wenn es einen in einer Prügelei wirklich mies erwischt hat“. Eigentlich lächelt Jascha fast nie, zieht lieber seine hellen Augenbrauen zusammen, um seinem Klein-Jungen-Gesicht ein gewichtigeres Aussehen zu geben. Wenn man sich ausschließlich auf sein Gesicht konzentriert, auf seine blasse, feine Haut mit ein paar wenigen Sommersprossen, die weichen Züge, seine Stupsnase, seine engstehenden wasserblauen Augen — dann kann man erahnen, wie er als kleiner Junge ausgesehen haben mag. Freundlich und offen, wenngleich ein wenig traurig, blässlich und schmal, irgendwie schutzbedürftig. Heute ist das anders. Wenn man ihn als Ganzes vor sich hat, dann ahnt man sofort, dass aus ihm ein unberechenbarer Schläger geworden ist .Jascha schaut fast immer an seinem Gegenüber vorbei. Blickkontakt vermeidet er tunlichst. In den Kreisen, in denen er über Jahre verkehrt hat und noch verkehrt, gilt der direkte Blick als Provokation. „Wenn mich jemand zu lange angeschaut hat, dann habe ich ihm früher eine reingehauen“, erklärt er. „Und manchmal tue ich es heute noch. Das machen alle.“ Wer ihn sieht, glaubt ihm aufs Wort. Die hellblonden Haare trägt er an den Seiten extrem kurz, die Kopfhaut schimmert durch. Über die Kopfmitte läuft von der Stirn bis zum Nacken ein Streifen etwas längerer Haare, die sich zu kräuseln beginnen und die Vermutung nahelegen, dass er Locken hätte, würde er sich die Haare wachsen lassen. Aber er hat sie zu einer Art Bürste geschnitten. Es ist Sommer. Jascha trägt ein dunkles T-Shirt, eine halblange olivfarbene Hose und Turnschuhe. Er ist Deutscher.

©Hoffmann und Campe©

Literaturangaben:
KLOEPFER, INGE: Aufstand der Unterschicht. Was auf uns zukommt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2008. 304 S., 19,95 €.

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