Von Wolf von Dewitz
HEIDELBERG (BLK) - Der deutsche Schriftsteller Ernst Jünger (1895- 1998) war äußerst umstritten. Er verherrlichte den Krieg mit Büchern wie „In Stahlgewittern“ als männliche Bewährungsprobe und galt als demokratiefeindlich. Anlässlich der großen Ernst-Jünger-Ausstellung im Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar sprach die Nachrichtenagentur dpa mit dem Heidelberger Germanisten und Jünger- Biografen Helmuth Kiesel.
Ernst Jüngers Themen wie die Faszination vor dem Krieg und dem Tod oder sein elitäres Gesellschaftsmodell wirken heute alles andere als aktuell. Hat sein Werk an Gültigkeit verloren?
Kiesel: „Literatur hat die Aufgabe, auch Dinge zu behandeln, die von den gesellschaftlich aktuellen Fragen entfernt sind. Todesfaszination oder Faszination durch potenziell tödliche Gefahren würde ich als Thema nicht unterschätzen. Niemand würde sich dazu öffentlich bekennen. Ich nehme aber an, dass diese Faszination in der Gesellschaft weiter vorhanden ist und dann auch ihre literarische Reflexion braucht. Es erscheint mir notwendig, kritisch-reflektiert über die Auswirkungen von Krieg zu reden. Dazu leistet Jüngers Werk einen Beitrag. Er war ein scharfsinniger Beobachter der Moderne, zum Beispiel sah er das drohende Unheil durch die technische Aufrüstung und Ausbeutung der Erde kommen. Jünger hat heute seinen festen Platz im Kanon der deutschen Literatur, heute mehr denn je.“
Thomas Mann nannte Jünger einen „Wegbereiter des Barbarismus“. Trifft das zu?
Kiesel: „Man kann das nicht ganz von der Hand weisen. Von 1923 bis 1933 verfasste Jünger nationalistische, militante Schriften, in denen der Krieg als Prinzip der Geschichte bejaht und eine militante Gesellschaft postuliert wird. Damit mag er faschistische Neigungen gefördert haben. Aber nie hat Jünger Rassenhass und Eliminierung von politischen Gegnern unterstützt. Gewalt von Überlegenen gegen Schwächere hat ihn immer angeekelt.“
Wie stand Ernst Jünger zu den Nazis?
Kiesel: „Jünger war weder ideologisch noch organisatorisch Nazi, er hat zum Nationalsozialismus immer eine deutliche Distanz gewahrt. Die Nazis machten ihm, dem berühmten Stoßtruppführer des Ersten Weltkriegs, um 1930 große Avancen, boten ihm einen Platz im Reichstag und 1933 in der Deutschen Akademie der Dichtung an. Aber das hat er abgelehnt. Er ist 1933 von Berlin nach Goslar und später gar an den Bodensee gezogen, um von der Hauptstadt Berlin und dem Propaganda- Zentrum so weit wie möglich entfernt zu sein. Er wollte deutlich machen, dass er auf Distanz geht. Seine 1939 publizierte Erzählung "Auf den Marmor-Klippen" war eine Allegorie auf den Terror der Nazis und auf die Morde in den Konzentrationslagern.“
Im Zweiten Weltkrieg erfuhr Jünger als Generalstabsoffizier in Paris von Kriegsverbrechen und möglicherweise auch von der Schoah. Die späteren 20. Juli-Attentäter versuchten ihn vergeblich für den Widerstand gegen Hitler zu gewinnen. Warum schloss sich Jünger ihnen nicht an?
Jünger: „Zum einen entsprach es wohl nicht seinen Handlungsmöglichkeiten, man könnte auch sagen: seinem Naturell, sich mit der Pistole in der Hand oder mit einer Bombe in der Tasche an einem Attentat zu beteiligen. Dazu gehört wohl eine sehr spezifische Einstellung. Zum andern war er der Meinung, dass Attentate ein problematisches Mittel zur Korrektur einer Fehlentwicklung sind. Attentate führten aus seiner Sicht immer zu einer Verschlechterung der Lage. Er meinte, der Zweite Weltkrieg müsste völlig verloren gehen, damit klar ist, dass das NS-System ausgespielt hat und keine zweite "Dolchstoßlegende" aufkommen konnte - eine Nazi-Legende also, dass ohne das Attentat der Krieg nicht verloren gegangen wäre oder der Nationalsozialismus eine andere Wendung genommen hätte.“
Jünger lehnte die Demokratie in der Weimarer Republik ab, später zollten ihm Politiker wie Helmut Kohl oder François Mitterrand mit Besuchen Respekt. Wie passt das zusammen - wandelte sich Jünger im Laufe seines Lebens zum Demokraten?
Kiesel: „Ich glaube nicht, dass er jemals ein großer Befürworter der Demokratie geworden ist. Das muss man mit Blick auf seine Biografie verstehen: Jünger wurde im Kaiserreich geboren, er hat gesehen, wie die Weimarer Republik kam und verschwand, wie die Naziherrschaft kam und verschwand, dann kam die Bundesrepublik. Die Staatsformen waren für ihn relativ. Demokratie war für ihn auch immer Klientelwirtschaft - gewählt wird, wer die größte Klientel hat und diese gut versorgt. Aber ich glaube, er hat gern in rechtsstaatlich-demokratischen Verhältnissen gelebt. Dadurch hat er ein angenehmeres, freieres und sichereres Leben führen können als zuvor.“