BERLIN (BLK) – Volker Braun wollte wie viele seiner DDR-Kollegen einen besseren Sozialismus in einer besseren DDR. „Übergangsgesellschaft“ nannte der Schriftsteller denn auch sein 1987 in Bremen uraufgeführtes und in der DDR erst ein Jahr vor dem Mauerfall von 1989 aufgeführtes Theaterstück. Er wird auch die Bundesrepublik erst recht vor dem Hintergrund der jetzigen Finanz- und Wirtschaftskrise als Übergangsgesellschaft ansehen.
Braun galt als Grübler und Philosoph unter den DDR-Autoren. Anfang der 1960er Jahre studierte der geborene Dresdner in Leipzig Philosophie. Manchmal wurde er auch der „ältere Bruder von Georg Büchner“ genannt. Am Donnerstag (7. Mai) feiert Braun seinen 70. Geburtstag.
Kennzeichnend für den Schriftsteller Braun, dessen Stücke zu DDR-Zeiten vielfach im Westen zuerst auf die Bühne kamen, ist das „Training des aufrechten Gangs“, wie er 1979 auch einen seiner Gedichtbände nannte. Das gilt auch für sein „uneingeschüchtertes“ Weiterschreiben im wiedervereinigten Deutschland, auch wenn es da etwas ruhiger um ihn wurde. Ungebrochene Lust, den neuen Verhältnissen ins Auge zu sehen, spricht zum Beispiel aus dem Erzählband „Trotzdestonichts oder Der Wendehals“.
Der Dramatiker („Die Kipper“), Lyriker, Erzähler und Essayist galt auch immer als ein politischer Autor, der mit der Geschichte aber „keine grundsätzliche Hoffnung verbinden“ kann, wie er in seiner Rede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2000 sagte. Er habe die sogenannte Vergeblichkeit erlebt, „ich schmeckte Gerechtigkeit. Ich atmete Despotie“. Und: „Es ist der vorauseilende Fatalismus der Regierungen, der dem Geldaristokratismus Platz macht... Eine Revolution, die kein Brot gibt, und eine Demokratie, die die Arbeit nimmt, sind keine ernsthaften Avancen.“ Georg Büchner (1813-1837) habe einen anderen Begriff von Menschenrechten gehabt, „als unser Grundgefühl und das Grundgesetz empfinden“.
Sich an jeder Wirklichkeit, ob Osten oder Westen, abarbeiten, ist Brauns Lebens- und Arbeitsprinzip. Braun selbst spricht gerne auch von «konspirativem Realismus». Entsprechend war auch das Misstrauen, das ihm schon von den SED-Kulturpolitikern entgegengebracht wurde, die manche seiner Bücher unterdrückten oder Theaterstücke erst um Jahre verspätet zuließen. Besonders mit seinem 1979 uraufgeführten Revolutionsdrama „Großer Frieden“ zeigte sich Braun als Chronist sozialistischer Hoffnungen.
Der Büchner-Preisträger von 2000 und frühere Dramaturg am Berliner Ensemble und Autor des Deutschen Theaters ist ein widerspruchsvoller Geist. Mit seiner kritischen Distanz zur offiziellen Politik in der DDR gehörte er dem Vorstand des DDR-Schriftstellerverbandes und der Akademie der Künste an und zählte 1976 zu den Unterzeichnern der Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR. Es war ein Scheidepunkt für eine große Zahl ostdeutscher Künstler und Schriftsteller, von denen viele ihr Land verließen. Gerne hätte die SED auch Braun darunter gesehen, doch tat der spätere Nationalpreisträger (1988) ihr nicht den Gefallen. Jahrelang musste er auf die Veröffentlichung seines „Hinze-Kunze-Romans“ (1985) warten, einer verdeckten Satire über das DDR-Funktionärswesen.
Ein Thema und Dilemma war für Braun, ähnlich wie bei seiner Kollegin Christa Wolf, das Problem der individuellen Entfaltung der Persönlichkeit in einem sozialistischen Staat, in dem die Partei immer Recht hat, so beschrieben zum Beispiel in der „Unvollendeten Geschichte“ (1975) oder ein Jahr später in dem Schauspiel „Tinka“. Als einen großen, wütenden Abgesang auf die westliche Gesellschaft sahen Kritiker 1999 seinen zwölf Gedichte umfassenden Band „Tumulus“. Zuletzt erschien von dem Suhrkamp-Autor Braun im vergangenen Herbst der Band „Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“. Für den kommenden Herbst wird sein „Werktagebuch“, ein Arbeitsjournal von 1977-1989 angekündigt. (dpa)
Von Wilfried Mommert