Von Nada Weigelt
BERLIN (BLK) - Reise ins Unbekannte: Ein Festival der Neuentdeckungen wollten die Berliner Autorentheatertage sein. Und die „Lange Nacht der Autoren“ zum Abschluss löste den Anspruch auf wunderbare Weise ein: Vier noch nie aufgeführte Werke junger Dramatiker belegten in der Nacht zum Sonntag (18.4.) im Deutschen Theater Berlin die Spannbreite zeitgenössischer Werke. Es gab atemloses Staunen, Spannung und viel Applaus.
Die vier Stücke kamen als Werkstatt-Inszenierungen auf die Bühne. „Das ist keine Uraufführung“, sagte Chefdramaturg John von Düffel, „sondern wir springen mitten hinein in den Text, ohne Netz und doppelten Boden, und versuchen, uns in zehn Tagen crashkurs-artig zum Kern des Stückes vorzuarbeiten.“
Namhafte Regisseure und die brillanten Schauspieler des Ensembles gaben den Entwürfen Leben. Was an Geld und Zeit fehlte, machten Fantasie und Mut wett. Und die Autoren konnten - ungewöhnlich genug - den Entstehungsprozess begleiten. Am Schluss erntete Julia Kandzoras Selbstfindungsdrama „In Neon“ den wohl größten Beifall.
Die 1982 geborene Berliner Schriftstellerin, die in Leipzig studierte, schildert in ihrem Theaterdebüt eindringlich die Macht von Depression, Einsamkeit und verlorenen Träumen. Regisseur Simon Solberg schafft mit einem wandelbaren Bühnenbild aus Schaumstoff, experimenteller Videotechnik und vor allem einem genialen Schauspieltrio (Felix Goeser, Ole Lagerpusch, Susanne Wolff) eine dichte, bedrückende Stimmung.
„Interest me“ - unter diesem Motto hatte Michael Althen, der Filmkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und bekennende Theaterignorant, als Alleinjuror zur Einsendung von Stücken aufgerufen. Aus dem riesigen Angebot wählte er die vier Titel fürs Finale - radikal subjektiv und persönlich. So wollte es Intendant Ulrich Khuon, der das Festival mit seinem Wechsel vom Hamburger Thalia Theater im vergangenen Jahr erstmals in die Hauptstadt gebracht hatte.
Er habe keinen gemeinsamen Trend, keine gemeinsame Sprache bei der Lektüre gefunden, resümierte Althen: „160 Stücke und kein Befund.“ In der schlaglichtartigen Inszenierung scheint die vier so unterschiedlichen Finalisten auf eine seltsame Weise aber doch ein Gedanke zu einen: „Die Sehnsucht, dass es Sinn macht, unser Leben.“
So, wie diese Sehnsucht die Hauptfigur in „Neon“ am Morgen nicht aus dem Bett kommen lässt, läuft auch in Carsten Brandaus gesellschaftspolitischer Groteske die „Fabelhafte Familie Baader“ dem Wunsch hoffnungslos hinterher. Der 39-jährige Autor und gebürtige Hamburger lässt das berühmteste RAF-Pärchen sich zwischen Spießbürgertum und Turbokapitalismus aufreiben - am Schluss ist der größte Sinn des Lebens nur noch ein silbergrauer Alfa Romeo Sprint.
Auch Laura Naumann, mit 20 die jüngste des Autoren-Quartetts, hat für ihre Helden in „süßer vogel undsoweiter“ keine gute Botschaft. Die gebürtige Leipzigerin sieht eine Clique von sechs jungen Menschen irgendwo in der Provinz von der großen Freiheit, der Welt der tausend Möglichkeiten träumen. Doch auf der kreisenden Bühne bleibt letztlich die Erkenntnis: Nur die Welt dreht sich, wir treten auf der Stelle.
Auf die Spitze treibt die in Tschechien und Deutschland arbeitende Katharina Schmitt (30) die Idee des Gefangenseins. In dem Ein- Personen-Stück „Sam“ schließt ihr gleichnamiger Performance-Künstler (brillant: Samuel Finzi) sich für ein Jahr in einen Käfig ein. Immer den gleichen Regeln folgend, ist er verzweifelt auf der Suche nach seiner Lebenszeit. Doch auch nach der Dauer-Odyssee durch einen spektakulären Bühnenregen kann er die Frage nur an die Zuschauer weitergeben: „Glauben Sie an die Bedeutung ihrer persönlichen Lebenszeit?“ Bei den Theatertagen sicher.
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