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Autorin Siri Hustvedt: „Die Vergangenheit sucht uns alle heim“

Siri Hustvedt im dpa-Interview („Drei Fragen, drei Antworten“)

© Die Berliner Literaturkritik, 08.04.08

 

HAMBURG (BLK) – Mit psychologisch fein gesponnenen Romanen über Liebe, Identität und Kunst feiert die US-Schriftstellerin Siri Hustvedt (53) weltweit Erfolge. Nach Werken wie „Die Verzauberung der Lili Dahl“ (1997) und „Was ich liebte“ (2003) legt die Frau von Paul Auster (61) nun ihre vierte Erzählung vor: In „Die Leiden eines Amerikaners“ (Rowohlt Verlag, 19,90 €) geht es um verwundete Seelen in New York und den übermächtigen Einfluss der Vergangenheit auf das Lebensgefühl in der Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen die Reflexionen eines geschiedenen, melancholischen Psychoanalytikers aus Brooklyn – dem Stadtteil, in dem auch Siri Hustvedt mit ihrer Familie lebt. Zum Auftakt ihrer Lesereise in Hamburg am Montagabend (7. April 2008) gab die Autorin, Tochter einer Norwegerin und eines Norwegisch-Professors, ein dpa-Interview: „Drei Fragen, drei Antworten“.

Interview:

Wie bereits in „Was ich liebte“ ist auch in Ihrem neuen Roman „Die Leiden eines Amerikaners“ der Ich-Erzähler männlich. Was macht Sie so sicher, dass man als Frau wirklich in die Psyche eines Mannes schlüpfen, die Welt mit seinen Augen sehen kann?

Hustvedt: „Wenn ich so arbeite, fühlt es sich sehr richtig an. Außerdem schreiben mir viele männliche Leser, es sei realistisch. Schließlich ist es doch so, dass beide Geschlechter dieselben Wörter, dieselbe Sprache miteinander teilen. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau haben meiner Meinung mehr mit Erziehung und Macht zu tun als mit Biologie. Und nicht zuletzt: Sich in andere Menschen hineinzuversetzen – darum geht es doch bei der schöpferischen Fantasie. Und damit ist es o.k.“

Ein Schlüsselthema im Buch ist „Heimat“ – Personen müssen immer wieder an ihre Herkunft im ländlichen Minnesota denken, wo Sie selbst ja auch aufwuchsen. Diese Personen gehen dorthin zurück, um alte Geheimnisse aufzudecken. Ist für Sie Heimat ausschließlich der Ort, an dem man geboren und groß geworden ist, oder kann es neue Heimat überall da geben, wo ein Mensch sich für längere Zeit wohl fühlt?

Hustvedt: „Für die Familie meines Vaters waren die norwegischen Berge lebenslang die Heimat, auch nach der Einwanderung in die USA. Mein Vater selbst fühlte sich immer mit der armseligen Farm in Minnesota verbunden, auf der er seine Kindheit verbracht hatte. Und ich spüre noch heute in New York die Blumen und Bäche von damals vor unserer Haustür. Sie haben mich geprägt. Heimat in diesem Sinne kann es nur einmal geben.“

Alle Menschen des Romans sind unfrei. Manipuliert von den Geistern der Vergangenheit – vom dunklen Familiengeheimnis über Kriegserlebnisse bis hin zu 9/11-Erfahrungen. Wenn man das liest, sollte man meinen, wir alle sollten schleunigst zum Psychiater gehen, weil wir anders verborgene Traumata nicht loswerden. Wäre das Ihre Empfehlung – Sie haben sich ja lange intensiv mit Psychologie und Neurologie beschäftigt?

Hustvedt: „Nein, keineswegs. Wir sind zwar alle heimgesucht – es gibt ja eigentlich fast gar keine Gegenwart, weil sie immer gleich zur Vergangenheit wird, die uns bewusst oder unbewusst beschäftigt. Doch zum Seelenarzt sollte man nur gehen, wenn man leidet.“

(Interview: Ulrike Cordes, dpa/wip)

Lesereise: 8.4. Köln, 9.4. Stuttgart, 10.4. München, 11.4. Zürich

Literaturangaben:
HUSTVEDT, SIRI: Die Leiden eines Amerikaners. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Ulli Aumüller und Gertraude Krueger. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 410 S., 19,90 €.

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