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Ballhaus verrät Tykwer seine Tricks

Tom Tykwer im Gespräch mit Michael Ballhaus

© Die Berliner Literaturkritik, 23.12.11

Diese Rezension erschien am 16. Dezember 2002 erstmals in diesem Literaturmagazin.

Von RICHARD KROPF

BALLHAUS, MICHAEL: Das fliegende Auge. Michael Ballhaus im Gespräch mit Tom Tykwer. Berlin Verlag, Berlin 2002. 261 S., €22.

Im Jahre 1966 setzten sich Francois Truffaut und Alfred Hitchcock insgesamt fünfzig Stunden lang zusammen, der französische Meisterregisseur stellte die Fragen und der britische antwortete. Daraus entstand das Buch „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?“, das von der New York Times nach wie vor als das „wichtigste Filmbuch überhaupt“ tituliert wird.

Nun, 36 Jahre später, trafen sich der deutsche Regisseur Tom Tykwer („Lola rennt“) und der in den USA lebende und arbeitende Kameramann Michael Ballhaus in der Toskana, wo Tykwer gerade seinen diesjährigen Kinofilm „Heaven“ drehte und Ballhaus bei Martin Scorseses neuem Epos „Gangs of New York“, das im Januar in die Kinos kommen wird, die Kamera führte.

Hierbei entstand die Idee, ein ähnliches Mammut-Interview aufzuzeichnen, bei dem der erfolgreichste deutsche Kameramann aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz erzählen konnte, befragt von einem, der als Filmemacher selbst so erfolgreich ist, dass man auch ihn fragen könnte: „Herr Tykwer, wie haben sie das gemacht?“.

Das Resultat von ebenfalls 50 Stunden Fragen, Antworten und Filme gucken sowie einem Transskript von 500 Seiten ist jetzt, gekürzt von dem Filmjournalisten Thomas Binotto, unter dem Titel „Das fliegende Auge“ erschienen.

Copacabana-Sequenz

Wenn zwei so erfolgreiche und berühmte Persönlichkeiten sich zu einem Gespräch zusammensetzen, um ein Buch zu schreiben, besteht schnell die Gefahr von Honig-um-den-Mund-Geschmiere und eitlen Selbstdarstellungen. Nicht so bei Tykwer und Ballhaus. Tykwer kennt man aus Interviews schon als besonnenen und bodenständigen Vertreter der hiesigen Zelluloidgilde, und Ballhaus ist anscheinend ebenso auf dem Teppich geblieben - trotz fliegender Kamerafahrten.

Das ist nicht selbstverständlich, nicht bei einem wie Ballhaus. Den Kameramännern wird von Seiten des Publikums immer recht wenig Aufmerksamkeit zubemessen, denn ihre zum Teil magischen Effekte wirken zwar, aber der Zuschauer ist sich zumeist selten bewusst, was denn da wirkt. Legendär hingegen ist beispielsweise die so genannte „Copacabana-Sequenz“ aus „Good Fellas“ (Regie: Martin Scorsese), in der die Schauspieler von der Straße durch den Hintereingang und die Küche einen Nachtclub betreten – und zwar ohne, dass ein einziger Schnitt zu sehen wäre. Oder die 360°-Kamerafahrt um die singende Michelle Pfeiffer auf dem Flügel in „Die Fabelhaften Baker Boys“.

Wer diese Filme gesehen hat, wird sie immer mit diesen Einstellungen assoziieren. Beide sind von Ballhaus gedreht.

Geheimnisse, Leidenschaft und Detailbesessenheit

Tom Tykwer, der früher selbst ein Programmkino in Berlin geleitet hat und nach eigenen Angaben die meisten der circa achtzig Ballhaus-Filme gesehen hat, übernimmt die dankbare Aufgabe, diesen Phänomenen auf den Grund zu gehen.

So erzählt Ballhaus etwa, dass das Filmteam, um im richtigen „Copacabana“-Lokal zu landen, getrickst hat: „Weil wir durch das getarnte Lokal in die Küche gelangt waren, mussten wir eine Runde durch die Küche drehen und anschließend durch denselben Eingang wieder hinausgehen, durch den wir hineingekommen waren, um im richtigen Copacabana zu landen. Während dieser Runde wurde der Eingang schnell umdekoriert, der Gang abgedeckt, und so kamen wir diesmal ins echte Lokal.“

Und Ballhaus lüftet noch mehr Geheimnisse. Spätestens wenn Coppolas „Dracula“-Inszenierung zum Gesprächthema wird, merkt man mit welcher Leidenschaft und Detailbesessenheit Ballhaus seinem Beruf nachgeht. Im Film, berichtet er, wurden viele an „Nosferatu“ angelehnte, uralte Tricks verwendet. So ließ er in einer Szene Kamera und Schauspieler rückwärts laufen, um später – bei vorwärts abgespieltem Material - jene unheimlichen, aber nicht zu erklärenden Eindrücke beim Zuschauer zu hinterlassen.

Fassbinder und Scorsese

Tykwer und Ballhaus gehen während ihres Marathon-Gespräches chronologisch vor, beginnend bei Ballhaus’ Ausbildung in einem Fotostudio, bis zum mit Spannung erwarteten „Gangs of New York“, wobei die Arbeiten mit Fassbinder und Scorsese im Leben wie im Buch Schwerpunkte bilden. Das Buch ist nicht nur für Cineasten interessant, sondern auch für jene, die sich nicht so sehr dafür interessieren, wann welche Brennweite verwendet werden kann. Ballhaus tut auch das, was man von einem erwartet, der in Hollywood mit den ganz großen gearbeitet hat. Er erzählt die ein oder andere Anekdote, von John Travolta beispielsweise, der seinen Text nicht einmal ablesen konnte, oder Meryl Streep, deren Maskenbildner sich permanent um die äußere Wirkung seines Stars sorgen musste.

Die wichtigsten Kamerasequenzen sind in Einzelbildern abgedruckt. Dabei will sich die Magie manchmal nicht so recht vermitteln. Denn Filme sind „bewegte Bilder mit Musik“, wie Tykwer einmal zu „Lola rennt“ bemerkt hat. Man sollte sich ein paar Ballhaus-Filme also nochmal im Kino anschauen, um sein Können zu bewundern.

Aber das will man nach der Lektüre des Buches sowieso.


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