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Beklemmend aktuell: Kafkas Strafkolonie

Franz Kafkas düsterer Gewaltkosmos hat eine erschreckende Aktualität

© Die Berliner Literaturkritik, 07.06.10

Von Björn Hayer

Nicht selten wird Franz Kafka als ein Prophet des letzten Jahrhunderts beschworen. Nahezu mythisch werden seine Texte als Vorausdeutung des kommenden Nationalsozialismus verklärt.

Nun ist nach „Die Verwandlung“, „Ein Landarzt“ und „Der Prozess“ endlich auch ein Faksimilenachdruck seiner Erzählung „In der Strafkolonie“ erschienen, die nicht nur optisch besticht, sondern Kafkas Ruf als Propheten neue Aktualität verleiht: Im Zentrum steht ein ominöser Reisender, dessen Identität nicht näher erläutert wird. Nachdem er auf einer ebenso unbekannten Insel, eben jener Strafkolonie, landet, wird er mit einer berüchtigten Foltermaschine vertraut gemacht, deren Wirkungskraft an einem Verurteilten exerziert werden soll. Aber wer ist in dieser Szenerie tatsächlich der von Schuld beladene? Wie immer ist diese Frage für die Hermeneutik der Texte Kafkas essentiell. Rasch gerät der Reisende in verhängnisvolle Polaritäten. Skurril und unwirklich wirkt jener dunkle Ort, den Kafka beschreibt. Doch die Handlung folgt einer strengen Dramaturgie.

Was er versucht, ist die höchst verdichtete Skizzierung eines gescheiterten Erlösungsweges. Die Idee einer zweiten Passion Christi im Schatten eines düsteren Gewaltkosmos lässt im Gegensatz zur eigentlichen Heilsgeschichte keine Hoffnung zu. Vielmehr erstickt Kafka die Hoffnung auf einen Messias in einer von Schuld und Entfremdung gefangenen Welt. Am Ende flieht der Reisende. Allein. Heimatlos.

Ästhetisch ist die Erzählung ein Meisterwerk. Doch warum gerade jetzt die Neuauflage? Warum gerade jetzt wieder Kafka lesen? Dass der Prager Dichter als Seher menschlicher Abgründe und Prophezeier einer von Schrecken und Gräueltaten erfüllten Zeit gesehen werden kann, darf kritisch hinterfragt werden. Gleichwohl kann die politische Aktualität, man könnte auch Zeitlosigkeit seines Werkes nicht außer Acht gelassen werden.

Noch immer belegen neueste Studien, dass die Anzahl der verhängten Todesstrafen zwar weltweit rückläufig sind. Dennoch ist dieser archaische Brauch noch nicht gebannt. Die weit reichenden Diskussionen um Foltergefängnisse wie Guantanamo oder Abu Graib zeichnen das Bild einer menschenverachtenden Justiz, die Kafkas Werk beklemmend reale Züge verleiht. Dabei seien doch solche Institutionen notwendig, um Gerechtigkeit zu schaffen, so die Befürworter. Auch der Offizier in der Strafkolonie verteidigt seine grausame Folterapparatur als Sinnbild waltender Gerechtigkeit. Der bittere Zynismus schwebt in jeder Zeile mit. Und vielleicht hat der einsame Dichter ja recht: Eine Erlösung auf Erden ist wohl nur dann in Sichtweite, wenn Gewalt und Terror nicht mehr in den Dienst von Gerechtigkeit gestellt werden.

Literaturangabe:

KAFKA, FRANZ: In der Strafkolonie. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Roland Reuß. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main/Basel 2009. 104 S., 24,80 €.

Weblink:

Stroemfeld Verlag


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