Von Susanna Gilbert-Sättele
Eine attraktive Frau lächelt vom Cover des Buches herab: Die dunklen Haare locker nach hinten gekämmt, die Augen hinter einer Sonnenbrille im Stil der 1950er Jahre verborgen, während die linke Hand ein wenig kokett mit dem Halskettchen spielt - so also hat einmal die Mutter des Autoren Georg Diez ausgesehen, deren langsames Sterben er in seinem aktuellen Buch beschreibt.
Scheinbar kalt protokolliert der Journalist den zunächst kaum wahrnehmbaren, dann aber rapiden körperlichen Verfall seiner Mutter. Er beschreibt ihr jahrelanges Krebsleiden, ihre und seine widersprüchlichen Gefühle im Angesicht des nahenden Endes und vor allem das letztlich aussichtslose Ringen einer von den Befreiungsideen der 1968er geprägten Frau um Selbstbestimmung und Würde. Hinter jeder Zeile dieses berührenden Buches schimmert ein großes Staunen über das Mysterium von Leben und Tod: Kurz nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2006 wird Georg Diez eine Tochter geboren.
„Der Tod meiner Mutter“ ist etwas, das unzählige Menschen tagtäglich erleben. Anders als sie begreift Diez seine Gefühle nicht als etwas Privates, Intimes, sondern als etwas, das er schreibend zu begreifen sucht. Er teilt mit und schont dabei weder die Sterbende noch sich selbst. Er beschreibt „das, was an ihrer Brust wucherte, rötlich, tödlich, was das Leben fraß, gierig und gemein“. Er berichtet von den Launen der Kranken, die mit ihrem Eigensinn auch Freunde immer wieder vor den Kopf stößt, und von ihren lästigen Anrufen, die ihn, den Vielbeschäftigten, nicht selten in seinen Besprechungen in der Redaktion stören.
Er steht aber auch schonungslos zu den eigenen, nicht immer nur hehren Gefühlen: „Ich dachte an das Geld, das ich bald erben würde und das ich gut gebrauchen könnte“, schreibt er. Und als seine Mutter nach zwölf Jahren Kampf gegen die Krankheit stirbt, fühlt er zunächst vor allem Erleichterung: „Ich fasste wieder ihre Wange an, weil ich wissen wollte, ob sie sich schon kühler anfühlte. Ich nahm die Hand weg und dachte: endlich.“
Berührend ist dieses literarische Requiem vor allem deswegen, weil hier einer bemüht tapfer gegen den eigenen Verlustschmerz anschreibt. Doch zwischen den Zeilen kommt der empfindsame einzige Sohn einer starken Frau zum Vorschein, dessen Trauer und Wut mit der coolen Attitüde des weltläufigen, zwischen Hamburg, New York und Mailand pendelnden Journalisten nicht in Einklang zu bringen ist. Mitreißend ist das Buch auch wegen seiner Authentizität, denn hier finden sich all jene Leser wieder, die ähnliches erlebt haben, ohne dies vergleichbar präzise beschreiben zu können.
Diskussionswürdig allerdings ist die Frage, ob die eigene Trauerarbeit dazu berechtigt, den Tod eines nahestehenden Menschen detailliert vor einer breiten Öffentlichkeit auszubreiten. Diez schreibt selbst, dass seine Mutter sehr darauf bedacht war, die Details ihrer Krankheit für sich zu behalten. „Die körperlichen Symptome gingen nur sie und ihren Arzt etwas an.“ Gleichwohl veröffentlicht er zahlreiche Details aus ihren privaten Notizen. „Wer nachträglich Auszüge aus der Krankenakte seiner Mutter veröffentlicht, bricht kein Tabu“, schreibt Richard Kämmerlings in FAZ.NET, „sondern verletzt einen Bereich, der gerade bei Krankheit und Tod zur Menschenwürde gehört.“
Literaturangabe:
DIEZ, GEORG: Der Tod meiner Mutter. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. 200 S., 16,95 €.
Weblink: