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Alissa Walsers Romandebüt

Alissa Walser veröffentlicht „Am Anfang war die Nacht Musik“

© Die Berliner Literaturkritik, 29.03.10

Von Frauke Kaberka

Er wird sie heilen. Davon ist der Wiener Arzt und Wissenschaftler Franz Anton Mesmer überzeugt. Und auch davon, dass diese Patientin ihm die große Anerkennung seiner Kollegen und vor allem der Kaiserin Maria Theresia bringen wird. Es geht um die blinde Tochter des Hofrats von Paradis, die von der Kaiserin als Musikerin protegiert wird und auch deren Vornamen trägt.

Alissa Walser verknüpft die Schicksale des jungen Mädchens und des Arztes in ihrem ersten Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“ miteinander. Und es gelingt der für ihre Erzählungen und Kurzgeschichten bereits hochgelobten und prämierten Tochter des Schriftstellers Martin Walser auf wunderbare Weise, zwei Seelenverwandte zueinander zu führen und den beiden Sprachlosen eine ganz eigene Stimme zu geben. Die Geschichte beruht auf halbauthentischen Fakten, die Personen sind historisch verbürgt.

Berühmt ist Mesmer im Jahr 1777 bereits - im Volk, doch seine Methoden sind unter den Medizinern umstritten. Er glaubt fest daran, dass die Gestirne durch ihre gegenseitigen Anziehungskräfte das menschliche Nervensystem beeinflussen und in der richtigen Konstellation heilend wirken können. Mit seinen auf animalischem Magnetismus beruhenden Therapien hat er bereits große Erfolge erzielt. Und auch bei der jungen blinden Paradis - von ihren Eltern Resi, vom Arzt Maria genannt - zeichnen sich schon bald nach Beginn der Behandlung positive Veränderungen ab.

Das höchst musikalische Mädchen - von ihren Eltern mit überladenen Kleidern und Riesenperücke zum Popanz herausstaffiert - ist schüchtern und völlig in sich gekehrt. Auf Angst reagiert es mit Anfällen, die sich nur mit Hilfe der Musik und schon bald auch mit
Mesmers Magnettherapie bekämpfen lassen. Zunächst außerstande, Gedanken zu artikulieren, findet Maria allmählich ihre Sprache. Und mit den Ängsten legt sie ihre Garderobe und die scheußliche Perücke ab. Wenig später beginnt sie auch zu sehen.

Vor allem sind es wohl Neid und Missgunst, vielleicht aber auch Angst vor neuen Erkenntnissen der Wissenschaft, die Mesmers Kollegen von Scharlatanerie sprechen lassen, als das Unglaubliche bekannt wird. Zugunsten kommt ihnen dabei die Tatsache, dass Maria im gleichen Maße, wie ihr Augenlicht zurückkommt, ihr musikalisches Talent verliert. Mesmer hingegen findet nicht die Worte, seine Behandlungsmethode verständlich zu erläutern.

Böse Gerüchte werden gestreut, und so ist es nur eine Frage der Zeit, dass der Hofrat seine Tochter mehr oder weniger gewaltsam aus Mesmers Klinik holt - mit fatalen Folgen: Maria wird wieder blind, der geächtete Arzt muss Wien verlassen. Auch in Paris sucht er vergeblich nach der Anerkennung, die ihm seiner Meinung nach zusteht, denn auch hier steht seine theoretische Unfähigkeit seinen praktischen Fähigkeiten im Wege.

Heute nimmt man an, dass die Blindheit Maria Theresias im Alter von drei Jahren psychisch bedingt auftrat. So ist auch die zumindest vorübergehende Heilung durch Mesmer zu erklären. Walser schlüpft in beide Persönlichkeiten und spricht aus deren Sicht jeweils in der dritten Person. Der Rückfall der Protagonistin in die Dunkelheit - ob tatsächlich oder gespielt - und ihre Rückkehr zur Musikkarriere, ist die furiose Studie einer gequälten Seele, die sich für kurze Zeit frei und stark fühlte.

Schon vor Alissa Walser beschäftigten sich einige berühmte Literaten mit dieser Thematik, wie Edgar Allan Poe, Stefan Zweig und Per Olov Enquist. Doch sie hat ihre eigene Konstellation gefunden und füllt die Lücken der historischen Dokumentation mit literarischer Psychogenese. Und das in einer ausdrucksstarken Sprache, die die Gefühle der Helden auf den Leser überträgt. Nicht zuletzt offenbart die Autorin, die zuvor jahrelang Malerei studiert hat, ihre musische Vielseitigkeit, in dem sie in ihrem bezaubernden Erstlingsroman wirklich alle Sinne anspricht - und das mit denkbar wenig Worten.

 

Literaturangabe:

WALSER, ALISSA: Am Anfang war die Nacht Musik. Piper Verlag, München 2010. 256 S., 19,95 €.

Weblink:

Piper Verlag


 

 

http://www.piper-verlag.de/


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