Zunächst war er sprachlos, als er an jenem schönen Frühlingstag 2003 zum ersten Mal den Ort betrat, der heute sein Zuhause ist: die Benediktiner-Erzabtei St. Martin zu Beuron im oberen Donautal. Nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus Mazedonien entschloss sich der Stabsgefreite Frank Beha zu einer Woche Exerzitien (religiöse Übungen) und lebte den geregelten Tagesablauf der Beuroner Benediktiner, mit Zeiten der Stille, des Gebets und des täglichen geistlichen Gesprächs. Es hat nicht sofort „klick“ gemacht, der damals 23-jährige Beha fasste nicht Hals über Kopf den Entschluss, Mönch zu werden. Aber die wenigen Tage in Beuron führten dazu, dass der Zeitsoldat begann, sich mit dem Thema Glauben „ein wenig intensiver zu beschäftigen“.
Heute klingelt für Beha um 4.30 Uhr früh der Wecker. Bis zur Morgenhore um fünf bleiben nur wenige Minuten für Bruder Longinus, wie er seit dem 29. Mai 2006 heißt, dem Tag, an dem er in die klösterliche Gemeinschaft aufgenommen wurde. Zur Feier der Einkleidung wechselte Frank Beha sein Jackett (mit den Bundeswehrauszeichnungen am Revers) gegen den Habit. Er zog sein Sakko aus, streifte symbolisch den alten Menschen ab und wusste unvermittelt: „Nun gehöre ich dazu.“ Er ist jetzt einer von circa 60 Ordensleuten, Brüdern, Patres und Novizen, die in Beuron beten und arbeiten, einer, der nicht mehr bezahlt wird mit Sold und Auslandszulagen, sondern nach dem VG-Prinzip („Vergelt’s Gott“). Frank Beha tauschte die Uniform gegen die Kutte, das Sturmgewehr gegen die Bibel, das Leben in Camp Warehouse gegen die Klausur.
„Ein Afghanistansoldat geht ins Kloster“ lautet der Untertitel der unter Mitarbeit von Gerald Drews verfassten Lebensgeschichte des Bruder Longinus alias Frank Beha. Sie erzählt von Kindheit, Jugend und jungen Mannesjahren des 1980 geborenen Bauernsohnes aus dem Schwarzwald, der auf einem abgelegenen Hof aufwächst, der mit zwölf zum Scheidungskind wird, 1996 die Werkrealschule abschließt und zunächst Elektriker lernt. Frank ist ein hübscher Junge, kein aufmüpfiges, sondern eher ein ruhiges Kind, das seinen Hund Bolli liebt, ein wenig zum Tagträumen neigt und „Star Trek“ und „Raumschiff Enterprise“ guckt. Er ist „Floriansjünger“ (Mitglied der Jugendfeuerwehr), ein guter Sportler und später dann leidenschaftlicher Motorradfahrer. Der Glaube, die Religion sind ihm nicht wichtig, noch nicht.
Frank Beha begeistert sich für Technik, ist Science-Fiction-Fan, sein größter Wunsch: Pilot werden bei der Bundeswehr. Dafür reicht es nicht ganz, doch er bleibt beim Bund, wird Zeitsoldat (insgesamt verpflichtet er sich für 5 Jahre), kommt zum Jägerbataillon 292 und wird damit Teil des Eurokorps, einer bunt gemischten Einsatztruppe, „eines aufregenden Vereins“, wie er es nennt. Er übt in Givet an der französisch-belgischen Grenze den Ernstfall, macht sich fit für den Auslandseinsatz. Im Oktober 2002 fliegt er nach Tetovo, Mazedonien, es geht um Erkundungen, um Beobachtung. Die Task Force Fox hält sich im Hintergrund, „kommt zum Einsatz erst im Fall der Fälle“. Frank Beha ist jetzt Hauptgefreiter, wird als Patrouillengänger eingesetzt und hat „im Rahmen des Möglichen einen doch einigermaßen abwechslungsreichen Job“.
Kameradschaft schweißt zusammen, Frank Beha, obwohl einzelgängerisch, schätzt und sucht die Gemeinschaft – in der Schule, der Lehre, bei der Bundeswehr und später im Kloster. Mit dem Prinzip „Befehl und Gehorsam“ hat er keine Probleme, er kann sich eingliedern in die Hierarchie, braucht den Zusammenhalt, das Gefühl, sich auf einen anderen Menschen voll und ganz verlassen zu können. Dazu feste Regeln, Strukturen, einen Rahmen, der ordnet, stützt und doch Spielraum lässt für persönliche Entfaltung. „Warum wird jemand Soldat? Lehrer? Journalist? Handwerker?“, fragt Bruder Longinus Jahre später und weiß, wie wir alle, dass es auf Fragen zur Lebens- und Berufsplanung keine eindeutigen Antworten gibt, nur persönliche Neigungen, Erfahrungen, die bestärken oder entmutigen, Erlebnisse, die uns Weichen stellen für den weiteren Entwicklungsweg.
Zu diesen gehört auch das große Aha-Erlebnis, das blitzhafte Erkennen, welche Richtung das Leben nehmen wird oder soll. Bei Frank Beha war es ein Tag im heißen Sommer 2003: Ein 30-Kilometermarsch nahe Hilzingen war zu bewältigen, eine Etappe zum militärischen Sportabzeichen. Frank will an seine Grenzen gehen, das Ziel unter drei Stunden schaffen. Auf halber Strecke, ausgepowert von drückendem Marschgepäck und unter brennender Sonne, schoss ein Gedanke durch seinen Kopf, wurde zu einem alles dominierenden Entschluss: „Wenn ich es doch noch schaffe, diesen Marsch in weniger als drei Stunden hinter mich zu bringen, gehe ich ins Kloster.“ Beides ist wahr geworden, Frank Beha hat sein Ziel erreicht.
„Ab morgen Mönch“, so leicht geht es nicht, vor der endgültigen Entscheidung liegen Zweifel und Fragen, die Selbstprüfung immer wieder und das begleitende Gespräch – und erst steht Frank Beha im Oktober 2004 ein zweiter Auslandseinsatz bevor: Afghanistan. Mit der Transall fliegt er von Termiz, Usbekistan, nach Kabul. Dort läuft er Patrouille, sitzt im „Mungo“ oder „Dingo“, konzentriert sich voll auf seinen militärischen Job. Trotz manch brenzliger Situation gerät er, zum Glück, nie in Lebensgefahr. Traumatische Erlebnisse bleiben ihm erspart. „Keine Frage: Heute ist die Situation im Land um ein Vielfaches angespannter als während der Monate, in denen ich dort unten war“, schreibt er rückblickend. Während des 6-monatigen ISAF-Einsatzes bleibt Beha in E-Mail-Kontakt zu seinem Militärpfarrer in der Heimat, sein Entschluss reift, sein Glaube wird fester.
Es ist nur scheinbar ein Bruch, als die Klostertore sich für ihn öffnen im November 2005. Das Fundament war gelegt, jetzt setzte Frank Beha die ersten Steine aufeinander: kein Damaskuserlebnis, keine Wandlung vom Saulus zum Paulus, sondern das Leben in der klösterlichen Gemeinschaft als fast notwendige Folge einer Entwicklung, die sich in der näheren Betrachtung nahezu logisch ergibt. „Soldat bin ich immer noch“, schreibt Bruder Longinus, der ehemalige Stabsgefreite Frank Beha, mit einem Augenzwinkern. Er habe jetzt keinen Drillinstruktor, sondern einen Magister, keinen Versorgungsunteroffizier (VU), sondern einen Cellerar. Und er hat noch einen weiten Weg vor sich – als gläubiger Christ und „Schüler“, als ein „Rekrut Gottes“, der 2010, wenn alles gut geht, die „ewigen Gelübde“ (Profess, Bekenntnis) ablegen darf.
Literaturangabe:
BEHA, BRUDER LONGINUS/DREWS, GERALD: Ab morgen Mönch. Ein Afghanistansoldat geht ins Kloster. Pattloch Verlag, München 2009. 272 S., mit farb. Abb., 16,75 €.
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