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Bilder aus einem Schatzhaus

Ein Musuemsführer der National Gallery London

© Die Berliner Literaturkritik, 28.02.05

LANGMUIR, ERIKA: National Gallery London. Museumsführer. E.A.Seemann Verlag, Leipzig 2005. 352 S., 24,90 €.

Von Roland H. Wiegenstein

Die Ansprüche an Museumsführer werden immer höher: Der Besucher will das, was er sehen wird oder gesehen hat, möglichst in Farbabbildungen nach Hause tragen, versehen mit Bildlegenden, die ihm zuverlässige Informationen vermitteln. Viele der großen Museen haben sich diesem Wunsch gebeugt und dickleibige Bücher bis hin zu veritablen Bestandskatalogen veröffentlicht, wobei in diesen schon aus Kostengründen viele Bilder nur in Schwarz-Weiß und kleinem Format wiedergegeben werden.

 Die Londoner National Gallery, eine der wichtigsten europäischen Kunstsammlungen, hat einen vernünftigen Kompromiss gefunden zwischen dem Wälzer und einem dünnen Heft, das gerade einmal die „highlights“ abbildet. Die Londoner Museen halten an der strikten Trennung von Gemälde und Skulptur nach wie vor fest, die seit den Zeiten des großen Wilhelm von Bode immer einmal wieder in Frage gestellt wird: Der Kampf zwischen den Puristen und jenen, die möglichst alle künstlerischen und kunsthandwerklichen Hervorbringungen einer Epoche zusammenbringen wollen –bis hin zu Möbeln, Münzen, Kleinplastik, Tapisserien– ist wieder voll entbrannt und es spricht viel dafür, dass man in dem nach Bode benannten Berliner Museum demnächst eine solche Collage ausprobieren wird.

Wenn Inhalte zu Anlässen werden

Der Vorteil einer solchen Anordnung ist kulturhistorisch evident: Der Besucher erfährt etwas vom jeweiligen Zeitklima, vom gesellschaftlichen Umfeld, in dem man sich die Kunstwerke vorstellen muss, die Nachteile sind ebenso deutlich: Gemälde werden zu Belegstücken für eine Epochengeschichte; im schlimmsten Fall bekommen solche Raumfolgen etwas von einem antiken Wohnzimmer, man kann sich danach besser vorstellen, wie etwa Lorenzo der Prächtige in Florenz oder Sigismondo Malatesta in Rimini gelebt haben mögen.

Doch das Arrangement täuscht. Denn der größte Teil der erhaltenen Kunst des christlichen Abendlandes war eben nicht (wie etwa im Holland des 17., im Frankreich des 18. Jahrhunderts) Ergebnis von bürgerlichem Wohlstand oder höfischer Prunklust, sondern religiöse Kunst, die in Kirchen auf den Hochaltären oder in Seitennischen dem Lobe Gottes und der Erbauung der Gläubigen diente. Indem man sie aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang riss, ins Museum brachte und so ihren Charakter als „autonome Kunstwerke“ festschrieb, wurden sie ihrem Zweck entfremdet und in eine andere Tradition überführt: die der Entwicklung künstlerischer Formen, in der die Inhalte zu Anlässen werden.

In London hält man an dieser „modernen“ Kunstgeschichte fest. Die National Gallery ist eine reine Gemäldesammlung. Erika Langmuir hat zweihundert der Bilder (die „Meisterwerke“) in dem in deutscher Fassung bei E.A. Seemann erschienenen „Museumsführer“ abgebildet und höchst kompetent und zugleich auf die nüchterne englische Art erklärt: Einer auf wenige Zeilen beschränkten Kurzbiografie des jeweiligen Künstlers folgt eine Bildbeschreibung, die den heutigen Forschungsstand getreu wiedergibt (gegenüber der letzten Auflage von 1994 hat sie, wo nötig, Erweiterungen, neue Ergebnisse der kunsthistorischen Analyse zum Beispiel, vorgenommen: Es ist wirklich der Erkenntnisstand von 2004/2005, der sich dort finden lässt.)

Nicht willkürlich, nicht buchhalterisch

Wer diesen Führer liest oder auch der Bilder wegen durchblättert, ist nicht nur –wie bei jedem Besuch des Museums– überwältigt von der Fülle und Qualität dieser Sammlung, er kann sie sich gut ins Gedächtnis rufen und in der Erinnerung dem Bildeindruck jenes Wissen hinzufügen, das besser und genauer sehen macht. Dabei lässt sich Langmuir nie auf metaphysische oder psychologische Spekulationen ein: Sie beschreibt, was der Fall ist, welche Techniken eine Rolle spielten (wenn sie denn neu waren, wie etwa bei Jan van Eyck), in welchem Zusammenhang die Werke ursprünglich aufgehoben waren, etwa bei großen Altären, deren einzelne Tafeln heute über die halbe Welt zerstreut oder verloren gegangen sind.

Sie hat das Buch nach Epochen geordnet, so wie sie in den verschiedenen Flügeln der National Gallery untergebracht sind: 1250-1500, 1500-1600, 1600-1700, 1700-1900. Innerhalb dieser Kapitel hat sie sich für die alphabetische Abfolge der Künstler- oder „Notnamen“ entschieden, was beim Suchen hilft. Diese Ordnung ist plausibel, zumal sie nicht schematisch durchgehalten wird, gerade bei Künstlern, die von einer in die andere Zeiteinheit geraten, wäre alles andere auch töricht. So entgeht sie auch dem leidigen Kunsthistorikerstreit, ob ein Bild denn nun noch Renaissance sei, oder schon Barock. Solchen Stilfragen haftet ja stets etwas Willkürliches oder Buchhalterisches an, das die Wirklichkeit der Bilder vergewaltigt. In diesem Buch aber werden wir auf diese verwiesen, wir können hinschauen.

Den Besuch im Museum ersetzt das naturgemäß nicht, weil die Anschauung der Originale eben nicht zu ersetzen ist. Zudem hat man sich bei der Herstellung der Druckvorlagen vermutlich schon bei den Herausgebern in der National Gallery und gewiß auch bei Seemann aus Kostengründen jene mühsame und kostspielige Farbabgleichung vor den Bildern selbst, die bei wichtigen Kunstbüchern früher einmal üblich war, erspart: Nur wenige der Abbildungen geben die Tonalität der Bilder exakt wieder.

Gleichwohl: Dieser Museumsführer ist angesichts ökonomischer Zwänge in Bild und Text vorbildlich.

 


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