Von Thomas Hummitzsch
Die Wirtschafts- und Finanzkrise treibt nicht nur die Gemüter der Wirtschafts- und Finanzexperten weltweit um, sondern auch den kleinen Mann von nebenan. Zwar ist die Krise noch nicht mit aller Kraft über Europa und Deutschland hereingebrochen, doch sie wird kommen. Wie ein über das Meer heranziehendes Gewitter sind schon die Ausläufer zu spüren. Der Wind des Ungemachs weht schon durch die Straßen.
Es ist die Angst vor dem Ungewissen, die Experten wie Bürger beschäftigt. Wie sieht es bei uns aus, wenn die Krise zuschlägt und wie erst, wenn sie vorüber ist? Zwei aktuelle Fotobände geben einen Eindruck, was nach einem Zusammenbruch zurückbleibt. Während die Fotografien von Eugene Richards Bildband „The blue room“ die traurigen Hinterlassenschaften gescheiterter Existenzen veranschaulichen, zeigen Guy Tillims Abzüge in „Avenue Patrice Lumumba“ die Ruinen eines kollabierten politischen Systems. Sowohl Richards als auch Tillim erzählen von den Überbleibseln einer gescheiterten gesellschaftlichen Fiktion.
Für seinen neuen Bildband „The Blue Room“ bereiste Eugene Richards die einsamen Landstriche des Mittleren Westens Amerikas, abseits der glänzenden Welt des american dream. Zahlreichen Reisen hat er in diese Region unternommen, in der sich immer mehr Städte zu Geisterstädten entwickelten. Dort fotografierte er die stillen Zeugen des industriellen Wandels der vergangen Jahrzehnte, die verfallenen Ruinen ehemaliger Familienhäuser.
Richard dringt mit seinen Bildern in die Privatsphären gescheiterter Existenzen ein, deren einziges offensichtliches Zeugnis die Hinterlassenschaft von Haus und Hof ist. So ist das Blättern in diesen Bildern wie eine Reise in eine längst vergangene Zeit, wie ein Spaziergang durch ein Museum, voller Mystik und Faszination. Unter den Staubschichten von Jahrzehnten tritt die Ordnung einstmals sortierter Lebensentwürfe hervor und manchmal schauen die ehemaligen Besitzer der vormals prächtigen Häuser von alten Familienfotos dem Betrachter in die Augen. Als wollten sie ihrer vergangenen Existenz nochmals Nachdruck verleihen. Richards zeigt, dass der Geist dieser Menschen noch in ihren Häusern wohnt: Ihre Nachthemden hängen seit Jahren über dem Bügel, die Schuhe liegen noch verstreut auf dem Fußboden, wie eilig ausgezogen und manch angeranzte Puppe wartet immer noch vergebens auf ihre damalige Besitzerin. Neben diese Zeichen möglichen Lebens treten die unübersehbaren Hinweise der Allgegenwart des Todes. Auf dem Rücken liegende, mumifizierte Motten, verhungerte Vogelleichen vor der Kinderzimmerwand oder Tierkadaver im meterhohen Dickicht, das einstmals ein Garten gewesen sein wird. Der Verfall und Niedergang ist auf Richards Bildern allgegenwärtig. Mit diesen Aufnahmen erzählt er vordergründig von der Verletzlichkeit und Vergänglichkeit der menschlichen Existenz.
Eugene Richards konzentriert sich mit seinen Arbeiten seit jeher auf die sozialen Aspekte des amerikanischen way of life. Dabei geht es dem mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Fotografen stets um Aufklärung und Information, ganz im Stile des gelernten Journalisten. Richards bringt mit seinen Bildern Licht in die dunklen Ecken der amerikanischen Gesellschaft und lässt uns dort hinzusehen, wo es schmerzhaft und bitter ist.
Aber nicht zuletzt sind diese Bilder auch die Belege einer sozialen Verarmung, von der in der momentanen Krise alle sprechen. Sie sind die Überreste des industriellen Wandels und der damit einhergegangenen, aus dem Ruder gelaufenen Prekarisierung der Menschen. Fast meint man, in Richards Bildern einen Vorgriff auf die kilometerlangen Reihen leer stehender Einfamilienhäuser in den USA erkennen zu können. Sehen die jetzt noch schneeweißen Häuser in Florida, Kalifornien oder den Ausläufern von Washington mit dem roten „For sale“-Schild im Vorgarten bald auch derart ranzig, verfallen und morsch aus, wie die Ruinen in Richards Band? Man mag es nicht hoffen, doch ausschließen will man es derzeit noch viel weniger.
Ganz anders sind Guy Tillims Bilder. Sie erzählen nicht vom persönlichen Ruin des Individuums, sondern vom Ende einer Ideologie. In seinem Bildband „Avenue Patrice Lumumba“ versammelt er die Zeugnisse einer gesellschaftlichen Utopie, die unter zahlreichen Opfern gescheitert ist. Tillim hat dafür den afrikanischen Kontinent bereist und die in Beton gegossenen Visionen der panafrikanischen Befreiungsfiguren festgehalten. So dokumentiert er die zahlreichen, dem tropischen Verfall anheim gegebenen postkolonialen Paläste der Macht im subsaharischen Afrika. Er hält diese scharfkantige Architektur ebenso fest wie die romantisierenden und heroisierenden Statuen der afrikanischen Befreiungsfiguren, die in manchen Fällen bereits mehr als einen Putsch überlebt haben.
Guy Tillim gehört zu den angesagtesten zeitgenössischen Fotografen des afrikanischen Kontinents. Mit seinen Arbeiten wirft er einen selten differenzierten Blick auf die afrikanischen Gesellschaften. Stand am Anfang seiner Karriere noch die Auftragsfotografie, rückte er mit der Zeit mehr und mehr von der bloßen Dokumentation ab und begann, fotografisch aufzuklären. Ob in Angola oder in Eritrea, Sierra Leone, Kongo oder seiner Heimat Südafrika – Tillim legt nicht nur offen, sondern blickt mit seinen Bildern hinter die Kulissen und deckt auf. 2007 tat er dies mit seinen entlarvenden Bildern von den scheinbar demokratischen Präsidentschaftswahlen im Kongo auf der Dokumenta in Kassel.
Auf seinen doppelseitigen Bildern in „Avenue Patrice Lumumba“ fängt Tillim die unbarmherzigen Lebensbedingungen unter der gleißenden Sonne des afrikanischen Kontinents ein. Die abgelichteten Bauten wirken wie die verzweifelten Versuche, der drückenden Hitze mit geradezu brutaler Betonarchitektur begegnen zu können. Tillim präsentiert keinen romantischen indo-europäischen Kolonialstil, sondern eine panafrikanische Kampfansage an die ehemaligen Kolonialherren in Form radikaler Zweckbauten in Stahlbeton. Dabei erinnert die Architektur an die Tristesse so mancher französischer Vorstadt. Trabantenstadtnihilismus allerorten, heruntergewirtschaftet, abgewohnt, geplündert! Doch wie so oft, wohnt auch dieser Form der Sinnlosigkeit die Faszination des Gigantismus inne, der dieser aggressiven Architektur auch eine unerklärliche Anziehungskraft verleiht.
Guy Tillim macht deutlich, dass die meisten dieser Gebäude als Festungen der Ignoranz und Angst entworfen waren, als hätten ihre Bauherren von Beginn an gewusst, dass es in den Folgejahren eher auf Rückzug und Schutz als auf Mut und Miteinander ankommt. Stand hinter all dem überhaupt einmal die Hoffnung auf Öffnung und Koexistenz? Tillims schonungslose Bilder lassen daran Zweifeln. Die Hoffnung auf Besserung ist in den vergangenen Jahren unter den unterschiedlichsten Regimen, der Gewalt und dem Nepotismus der zahlreichen Diktatoren und selbsternannten Retter verschütt gegangen.
Inzwischen wirken die Gebäude nur noch wie traurige Kulissen in einem skurrilen Film, denn ihrem einstigen Zweck entsprechen sie schon lange nicht mehr. In ehemaligen Banken hängt nun die Wäsche zum Trocknen, Schulen sind zum Marktplatz umfunktioniert und Gärten und Hinterhöfe dienen als Sammelstelle für die Bildnisse der alten Systeme. Wohnhäuser wirken wie dystopische Trutzburgen, Büroräume wie notdürftige Abstellkammern, Straßen und Wege wie ein Hindernisparcours.
So ist Tillims Dokumentation wie „ein Spaziergang entlang einstiger Traumalleen“, wie er selbst in seinem Vorwort schreibt. Diese Traumstraßen erzählen vom Scheitern der Befreiung und Selbstverwaltung des afrikanischen Kontinents. Aus jedem Bild schlagen dem Betrachter Verfall und Fäulnis entgegen. Jedes Bild ist ein neues Dokument eines andersartigen Zusammenbruchs. Mit jeder Seite wächst die Überzeugung, dass das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist.
Und so geht es dem Betrachter dieser Bilder wie dem Zeugen der aktuellen Krise, der mit jedem Tag eine neue Katastrophenmeldung präsentiert bekommt und dessen Einsicht mit jedem Zeitungsartikel steigt, dass das Ende der Misere noch nicht erreicht ist.
Literaturangaben:
RICHARDS, EUGENE: The Blue Room. Englisch. Mit 78 Farbfotografien. Phaidon-Verlag, Berlin 2008. 168 S., 75,00 €.
TILLIM, GUY: Avenue Patrice Lumumba. Französisch & Englisch. Mit 60 Farbfotografien. Prestel Verlag, München 2008. 128 S., 49,95 €.
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