Von Carola Große-Wilde
HAMBURG (BLK) — Ulrich Khuon gehört zu den erfolgreichsten Theaterintendanten in Deutschland. Unter seiner Leitung wurde das Hamburger Thalia Theater zwei Mal zum „Theater des Jahres“ gewählt (2003 und 2007). Zahlreiche Inszenierungen wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Bei den Zuschauerzahlen liegt das Thalia Theater bundesweit vorn. Im Herbst wird der 58-Jährige die Hansestadt verlassen, um das Deutsche Theater in Berlin zu leiten. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur dpa blickt Ulrich Khuon zurück auf neun Thalia-Jahre und wagt einen Ausblick.
Mit welchen Gefühlen verlassen Sie Hamburg?
Khuon: „Mit gemischten, weil ich mich hier wohl fühle. Sowohl innerhalb des Hauses, als auch in der Stadt. Es gibt im Thalia sehr gute Mitarbeiter in allen Abteilungen — das harmoniert sehr gut. Nach neun Jahren ist ein Wechsel aber einfach richtig, auch wenn man das Loslassen trainieren muss. Man muss dem Haus die Möglichkeit geben, sich wieder neu zu positionieren — und mir selber natürlich auch.“
Und wie war der Anfang in Hamburg im Jahr 2000?
Khuon: „Der war geprägt von einer Art freundlicher Skepsis. Es war nicht so, dass alle gesagt haben, Gott sei Dank kommt Ulrich Khuon. Sondern man dachte, ja, das könnte was werden. Es war keine negative Stimmung, aber auch keine euphorische. Aber wir haben einfach davon unbeeindruckt unsere Arbeit gemacht und nach einem halben Jahr war klar, dass wir es zumindest gut machen. Wie dann die künstlerischen Pläne und Umsetzungen aufgenommen werden, kann man ja nicht steuern. Das hat viel mit Glück zu tun.“
Es gab auch Irritationen, man denke an den „Liliom“-Skandal.
Khuon: „Aber die gehören ja dazu. Es war ja schon klar, dass sich auf der Bühne auch ästhetisch einiges verändert. Und dass es Reibungen gibt, das finde ich einen ganz normalen Vorgang und eher einen guten. Dieses Zusammenraufen ist dabei ein richtiger, guter Begriff, weil das gemeinsame Arbeiten mit Auseinandersetzung zu tun hat. Ich glaube, das ist wichtig bei Kunst. Das merken wir ja auch, wenn wir ein Buch lesen oder einen Film sehen: Die Inhalte, die schnell verstanden sind, sind auch schnell vergessen. Oft geht man in einen Film und findet den völlig in Ordnung und am anderen Morgen kann man nicht mal mehr erzählen, um was es eigentlich ging, weil man vor lauter Zustimmung keinen Impuls hatte, sich damit auseinanderzusetzen.“
Danach folgte eine beispiellose Erfolgsgeschichte.
Khuon: „In dieser Dimension konnte man damit nicht rechnen. Da kommt ja vieles zusammen: Dass das Ensemble sich gut findet, dass man viele Talente entdeckt, diese aber auch verbindet mit sehr guten Kollegen, die man mitbringt oder die auch schon da sind. Dass die Regisseure, mit denen man arbeitet, selber einen Lauf haben. Prägende Regisseure haben hier ihre stärksten Arbeiten gezeigt. Und wenn man über Regisseure redet, muss man auch über Bühne, Dramaturgie und Kostüme reden.“
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„Wenn das alles in einem Haus passiert, in dem ein guter Geist weht, und es kommt noch ein bisschen Fortune dazu, dann ist der Erfolg möglich. Aber mir ist sehr bewusst, dass alles zerbrechlich ist. Ich würde nie sagen, wenn ich die und die Zutaten habe, dann ist doch klar, dass das Ergebnis sensationell wird. Ich kann die Panik von Spitzenköchen gut verstehen. Wenn man mal bei diesen Sternen angekommen ist, dann stellt sich auch so eine Art Dauerpanik ein, wie man die Erwartungen einlöst.“
Ihre persönlichen Highlights?
Khuon: „Ach, da gab es massenweise. Ich würde sagen, die Armin-Petras-Trilogie, von der die Gaußstraße sehr stark profitiert hat. Dann haben mir ,Die schmutzigen Hände’ und die Dea Loher-Inszenierungen von Andreas Kriegenburg sehr gut gefallen. Und ,Maria Stuart’, ,Nora’ und ,Liebe und Geld’ von Stephan Kimmig, natürlich auch die Inszenierungen von Michael Thalheimer — von ,Liliom’ über ,Lulu’ bis ,Liebelei’. Auch der ,Reigen’ war wieder eine ganz starke Arbeit, oder ,Die Räuber’ und ,Ulrike Maria Stuart’ von Nicolas Stemann. Man sieht jetzt an der Liste, dass es sich nicht irgendwie an einem Gipfel festmacht. Sehr vieles, finde ich, ist doch sehr gut geworden. Gotscheffs ,Tartuffe’ und ,Leonce und Lena’, das sind auch sehr starke Arbeiten. Und die Inszenierungen unserer jungen Regisseure David Bösch, Jorinde Dröse, Jette Steckel und Frank Abt mag ich besonders.“
Und womit hätten Sie nicht gerechnet?
Khuon: „Was mich überrascht hat war, dass nach fünf Jahren, also bei der Verlängerung, so eine leise Frage medial aufkam. Ja, und jetzt, wie geht es jetzt weiter? Was passiert jetzt tolles Neues? Ich kann mit dieser Novitätensehnsucht nicht viel anfangen. Die Neuerfindung muss doch in jeder Aufführung dauernd passieren. Ich arbeite viel zu organisch, als dass ich nach fünf Jahren sage, jetzt mache ich alles anders und neu. Natürlich besteht ein Teil unserer Qualität auch in verlässlichen Bindungen, die wir auch genießen, ohne bequem zu werden.“
Was nehmen Sie an Erfahrungen mit nach Berlin?
Khuon: „Dass Hartnäckigkeit sich lohnt. Im Grunde auch die wiederholte Erkenntnis, dass mir die schnelle Liebe nicht gelingt — also muss man an der langsamen Liebe arbeiten. Das war auch in Hamburg so. Es gibt natürlich Kollegen, denen nach einem Monat alle Herzen zufliegen. Das kann man bei mir nicht sagen. Ich glaube aber, dass die allmähliche Annäherung sehr tragfähige Beziehungen produziert — und das in jeder Hinsicht. Das kostet zwar viel Kraft, aber ich denke, bisher habe ich die auch gehabt. Zum Beispiel haben uns in letzter Zeit ein paar Krankheiten im Ensemble überrascht. Und ich finde es beeindruckend, wie das Ensemble diese Probleme gelöst hat. Das bedeutet ja enorme Arbeit, dauernd Umbesetzungen und Proben — und wie da alle mitziehen — das finde ich für dieses Ensemble ein ganz, ganz tolles Zeichen.“
Was denken Sie, wird Sie in Berlin erwarten?
Khuon: „Das Haus ist sehr erfolgreich und es gibt dort viele andere Kräfte, auch in der Stadt; andere Theater, auch Festivals, usw., da ist schon viel los. Jetzt muss man schauen, wie man die eigenen Kräfte zusammenführt. Ich glaube, das wird manchmal von außen unterschätzt, weil alle denken, wenn man gute Teams zusammenbringt, geht alles automatisch. Ich weiß aber, dass das auch sehr anstrengend ist. Aber wir haben gut geplant, wir übertreiben es nicht, es wird jetzt nicht 25 Premieren in 21 Tagen geben oder so. Sondern es ist einfach ein intensiver Start — mit viel Arbeit und hoffentlich starken Konstellationen.“
Und wo, glauben Sie, liegen die Unterschiede zu Hamburg?
Khuon: „Das Deutsche Theater hat keine eigene Werkstätten, das Haus ist im Grunde überschaubarer, das finde ich schade. Im Konzert der vielen Kräfte muss man noch schärfer am eigenen Profil arbeiten. Ich glaube einfach, dass man durch die Arbeit ein Zeichen setzt. Man spürt die Stadt, man spürt die Menschen, das ist meine Hoffnung. Bisher war es immer so; ich habe das in extrem unterschiedlichen Städten erlebt. Und jedes Mal hieß es: Hoffentlich geht das gut. Aus dem Süden in den Norden, aus einem kleinen Haus ins große Haus, aus dem großen ins noch größere. Aber ich weiß, was ich kann, ich weiß, was ich vorhabe. Und dann werde ich zunächst fremden Menschen begegnen und dann schaue ich, was passiert.“
Was geben Sie Ihrem Nachfolger Joachim Lux mit auf den Weg?
Khuon: „Joachim Lux braucht keine Ratschläge. Er hat eine Riesenerfahrung, vielleicht nicht als Intendant, aber als Chefdramaturg. Und Dramaturgen prägen die Häuser extrem. Die Schritte, die er unternimmt, sind sehr klug und souverän. Für mich selber war es immer wichtig: Je hektischer es wird und je mehr die Probleme sich überschlagen, desto mehr sollte man das Tempo rausnehmen. Brecht hat mal sinngemäß gesagt: ,Weil wir keine Zeit haben, machen wir langsam.’ Das finde ich ganz gut. Also, wenn es ruhig ist, Gas geben und wenn Krisen sind, eher mal sortieren und nicht hektisch werden. Kommunikation ist das A und O. Es werden viele Entscheidungen von Mitarbeitern mitgetragen, wenn sie gut kommuniziert sind. Wenn man nicht nur sendet. Das ist, glaube ich, mit das wichtigste.“