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Die Quadratur des Kreises

Biografie von Michail Gorbatschow

© Die Berliner Literaturkritik, 21.06.11

DALOS, GYÖRGY: Gorbatschow. Mensch und Macht. Eine Biografie. Deutsche Bearbeitung von Elsbeth Zylla. C. H. Beck Verlag, München 2011. 288 S. mit 12 Abb., 19,95 .

Von Volker Strebel

„Herr Generalsekretär, ich gratuliere Ihnen zum Preis der Imperialisten dafür, dass Sie die UdSSR zerstört und Osteuropa verkauft haben, die Rote Armee zerschlagen haben, alle Ressourcen den Vereinigten Staaten und die Medien den Zionisten überlassen haben“ – auch solche „Glückwünsche“ erreichten Michail Gorbatschow anlässlich der Vergabe des Friedensnobelpreises an ihn im Oktober 1990. In geronnener Form enthalten derlei Anwürfe, wie sie in sogenannten „Briefen von Werktätigen“ zu Zeiten des „real existierenden Sozialismus“ üblich waren, das gesamte verquaste Arsenal der Anschuldigungen, denen sich Michail Gorbatschow in seinem Land bis zum heutigen Tag ausgesetzt sieht.

In neun spannenden Kapiteln und einem Epilog entfaltet György Dalos die packende Geschichte um Michail Gorbatschow, der 1985 als sozialistischer Reformer einer Weltmacht angetreten war und im Dezember 1991 als erster und letzter Präsident der UdSSR gegen seinen Willen die Auflösung der Sowjetunion bekannt gab. Die landeskundlichen wie auch atmosphärischen Hintergründe sind György Dalos nicht zuletzt aus seiner Studienzeit im Moskau der 1960er Jahre her vertraut. 1968 war Dalos aus der ungarischen kommunistischen Partei ausgeschlossen und mit Berufsverbot belegt worden. Er gehörte zu den Mitbegründern der demokratischen Oppositionsbewegung in Ungarn.

Dalos präsentiert im vorliegenden Porträt Michail Gorbatschows keine wirklich neuen Erkenntnisse. Allerdings ergeben die kundig zusammengetragenen Ereignisse und deren Hintergründe eine gut zu lesende Lektüre, die sich allemal lohnt, zumal nicht nur in Russland, sondern auch in jenen Kreisen der politischen Linken, die auf Gedächtnisverlust statt wirklicher Aufarbeitung der Geschichte setzt, starke Tendenzen von Legendenbildungen zu verzeichnen sind. Wenn heute im Zusammenhang mit dem Zerfall der Sowjetunion die Rede von „der größten geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ die Rede ist, wird Ursache mit Wirkung verwechselt. Bereits zu Beginn der Machtübernahme Michail Gorbatschows befand sich nicht nur die ökonomische Situation der Sowjetunion in einem desaströsen Zustand. Einer der Architekten des Gorbatschow’schen Programm von „Glasnost“(Offenheit) und „Perestroika“(Umbau), Alexander Jakowlew, betonte nicht von ungefähr, dass die erforderliche Umgestaltung der Sowjetunion in „ökonomischer, sozialer und geistiger Beziehung vorankommen“ muss.

Eindrucksvoll legt György Dalos die Zwänge frei, denen sich die Reformer um Gorbatschow ausgesetzt sahen. Eine Diktatur von innen heraus mit deren politischen und ideologischen Vertretern zu reformieren, gleicht einer Quadratur des Kreises. Die Misswirtschaft in der Sowjetunion war ebenso systemimmanent wie die Mentalität einer vollkommenen Gleichgültigkeit des Einzelnen. Gorbatschows titanischer Versuch, eine ineffiziente Wirtschaft sowie ein marodes politisches System zugunsten eines funktionierenden Sozialismus abzuschaffen, scheiterte nicht zuletzt an der fehlenden Zivilgesellschaft mit einem ausgeprägten Bürgersinn.

Dabei lag freilich Gorbatschows welthistorische Bedeutung weniger in konkreten Taten, sondern darin, dass er im entscheidenden Moment ein bewaffnetes Handeln unterlassen hat. Die Abnabelung der ehemaligen sozialistischen Bruderländer einschließlich der DDR bis hin zu deren Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland ließ Moskau gewähren und stellte damit die Glaubwürdigkeit der verkündeten neuen politischen Marschrichtung hin zu vertrauensvoller Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Haus Europa eindrucksvoll unter Beweis.

Erbitterter Gegnerschaft sah und sieht sich bis heute diese Politik von jenen ausgesetzt, die in den ehemaligen sozialistischen Ländern ein legitimes „Beutegut“ sahen, nicht zuletzt als einer Art Wiedergutmachung an den erlittenen Lasten Russlands im Zweiten Weltkrieg. Ein dichotomisches Weltbild, das zwischen den „Unseren“ und dem Rest der Welt einen klaren Trennungsstrich zieht, sieht an allem Übel im eigenen Land ausschließlich die „Anderen“ am Werk. Dann ist das Ausland schuld am Verfall der Sowjetunion und Leute wie Gorbatschow stellen lediglich deren Gehilfen dar.

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Im Februar 2011 äußerte sich Michail Gorbatschow in einem Interview mit der russischen Zeitung Nowaja Gazeta zu den zahlreichen Gegnern und Skeptikern seiner Politik eines gewaltigen Umbaus: „Damals haben wir die Freiheit geschaffen, die die Menschen heute genießen, wenn sie in die Kirche gehen, Visa beantragen, im Internet surfen oder Zeitungen kaufen.“ Als am 2. März 2011 Sergejewitsch Gorbatschow seinen 80. Geburtstag feierte, verlieh ihm der russische Präsident Dmitrij Medwedew den höchsten Orden der Russischen Föderation, den Orden des heiligen Apostels Andreas.

Weblink: C. H. Beck Verlag


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