Tote Haustiere pflastern den Weg durch den Erzählband „Der Whiskyflaschenbaum“, den die Leipziger Autorin Katharina Bendixen im Poetenladen Verlag vorgelegt hat. Ein Kind killt seinen Wellensittich mit Insektenspray, ein Vater erschlägt den Hamster seines Kindes, eine Katze stirbt zunächst unbemerkt in der Wohnung einer pflegebedürftigen Großmutter.
Denkwürdige Todesumstände. Oder etwa nicht? Erzählt werden die tragischen Enden nämlich wie alle 21 Geschichten in einem derart nüchternen und beiläufigen Ton als seien sie völlig normal. Bendixens Erzählstimmen verzichten darauf, das Geschehen zu kommentieren.
Die mordenden Figuren sind sich keiner Schuld bewusst. Der Vogel in „Sittichgrab“ etwa wird zum Opfer, weil ein Kind sich langweilt. Gleichmütig lässt es den Sittich dran glauben. Emotionen werden lediglich dem Hausschlüssel zugeschrieben, der „aufgeregt“ gegen den Bauch des Kindes hüpft, als es auf die Straße läuft. Pointiert führt Bendixen an solchen Stellen Erwartungshaltungen ad absurdum.
Mit einer betont sachlichen Erzählweise hält die Autorin ihre Leser auf Distanz zu den Charakteren. Die tragen keine Namen und bieten kaum Ansätze, sich mit ihnen zu identifizieren. In den Geschichten begegnet man dem Vater, der Mutter, dem Mann, der Frau oder der Souffleuse in Situationen ihres Alltags. Auf eigentümliche Weise bleiben die Figuren fremd mit ihren Abgründen, die sie nicht reflektieren.
Konflikte tragen sie rücksichtslos, ausschließlich auf der Handlungsebene und ihrer eigenen Logik folgend aus. Wie der Familienvater in „Ein Hamster schlägt gegen die Wand“, der das kränkliche Tier vor den Augen von Gattin und Kind umbringt – obwohl er vorher weiß, dass beide darunter leiden und seine Frau ihn deshalb verlassen wird. Aus seiner Sicht ist es die einzige Möglichkeit, das Problem zu lösen. Ob ein Besuch beim Tierarzt zu teuer war, bleibt ungeklärt.
Autistische, teils manische Züge kennzeichnen die Protagonisten der Erzählungen. Sie wirken wie Gefangene ihrer Gewohnheiten und Rituale, die ihnen Halt in oft tragikomischen Verhältnissen bieten. „Das Ansichtskartenafrika“ erzählt von einer Mutter, deren Leben sich um Postkarten ihrer Tochter aus Afrika dreht. Immer wieder zeigt sie den Nachbarn die Karten und liest daraus vor. Statt ihren sterbenden Mann im Krankenhaus zu besuchen, wartet sie zu Hause auf die seit Jahren angekündigte, unbestimmte Rückkehr der Tochter. Die kehrt tatsächlich zwei Tage nach dem Tod des Mannes zurück.
Der Band erzählt von Familienmitgliedern, die einander fremd sind und beizeiten ihre Haustiere mehr lieben als ihre Partner. Stets empfinden die Figuren ihr Verhalten als angemessen. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sogar Mord und Totschlag begehen, ist auch als Kritik zu lesen. Kritik an einer Gesellschaft, in der Menschen zu selbstgewiss, nur scheinbar rational den eigenen Maßstäben folgen und ihr Handeln nicht hinterfragen.
Dabei sprechen die geschilderten Ereignisse für sich. Vieles gerät aus den Fugen. Situationen spitzen sich zu, werden ins Absurde und Surreale gesponnen. Ängste vor dem Fremden vermengen sich mit unmündigen Anpassungsstrategien. Ein starkes Debüt der mehrfach preisgekrönten 28-Jährigen, das brisante existenzielle Fragen aufwirft.
Literaturangabe:
BENDIXEN, KATHARINA: Der Whiskyflaschenbaum. Erzählungen. Poetenladen Verlag, Leipzig 2009. 132 S., 15,80 €.
Weblink:
Aktuelle Lesungen mit Katharina Bendixen in Berlin:
Samstag, 7.11., ab 20 Uhr in der Lettrétage, Methfesselstraße 23-25, 10965 Berlin im Rahmen einer Präsentation des Poetenladen Verlages. Eintritt: 5 Euro.
Sonntag, 8.11., ab 11 Uhr in der Villa Elisabeth, Invalidenstraße 3, 10115 Berlin im Rahmen des Zeitkunst-Festivals. Eintritt: 12 Euro (ermäßigt 8 Euro).