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Bissig-funkelnde Dubliner Erzählungen

Maeve Brennans Prosaband „Der Morgen nach dem großen Feuer“

Von: MONIKA THEES - © Die Berliner Literaturkritik, 11.09.09

Das Cover zeigt das Foto einer schlanken, elegant gekleideten Frau in hochgeschlossener Seidenbluse, die dunkle Kostümjacke hat sie lässig über die Schultern geworfen, in den Händen hält sie einen breitkrempigen Strohhut. Leicht nach vorn gebeugt und dem Betrachter zugewandt, sitzt sie vor einem großflächigen Spiegel. Doch sie schaut uns nicht an, sondern hält den Kopf gesenkt, ihr Blick geht nach innen, so als verharre sie in einem Moment des Nachdenkens, des konzentrierten Rückblicks und der Erinnerung. Eine inszenierte Pose vielleicht, ein kunstvoll arrangiertes Porträt der Maeve Brennan (1917-1993), zur Zeit der Aufnahme (Anfang der 1950er) bereits Starautorin von „Harper’s Bazaar“ und des legendären Magazins „The New Yorker“: Maeve Brennan, die scharfzüngig-bissige, stilistisch brillante Rezensentin, Kolumnistin, Essayistin - und eine Schriftstellerin, die es, nach langer Zeit des Vergessens, lohnt, wieder-, wenn nicht gar neu zu entdecken.

„Der Morgen nach dem großen Feuer“ übertitelte der Göttinger Steidl Verlag die nun herausgegebene Sammlung von zwölf Erzählungen, allesamt erstveröffentlicht in den Jahren 1950 bis 1962 und nach „Die Besucherin“ (2003), „Mr. und Mrs. Derdon“ (2006) und „Der Teppich mit den pinkfarbenen Rosen“ (2007) insgesamt der vierte, von Hans-Christian Oeser übersetzte Prosaband der irisch-amerikanischen Schriftstellerin. In den vorliegenden Erzählungen blickt die seit 1934 in New York lebende Maeve Brennan auf das Irland ihrer Kindheit und Jugend zurück, auf eine kleine, bescheidene und karge Welt, die so ganz konträr steht zum mondänen Glamour und „modern way of life“ der US-amerikanischen 1950/1960er, in denen sie, längst arriviert und anerkannt, mit spitzer Zunge und geschliffener Feder als „The Long-Winded Lady“ das New Yorker Alltags- und Gesellschaftsleben kommentiert.

Scharfäugig wie ein Spatz stürzt sich Maeve Brennan auf die Krumen des menschlichen Treibens“, notierte John Updike, und er meinte damit vielleicht nicht nur ihre über 20 Jahre laufende, viel und gern gelesene Kolumne „Talk of the Town“ im „New Yorker“, deren fein gezielte Giftpfeile very sophisticated waren und als Volltreffer saßen. Die sich unterkühlt gebende junge Frau mit blassem Teint und Hochsteckfrisur, eine intellektuelle und selbstbewusste Holly Golightly, verbarg sich gern hinter einer riesigen Sonnenbrille, nahm ein Buch zur Tarnung und lauschte dem Smalltalk geschäftiger Betriebsamkeit, dem Klatsch und Geraune des „Big Apple“. Ihr genauer Blick, die analytische Schärfe ihres Geistes machten sie zur unbestechlichen Chronistin – in ihren journalistischen New Yorker Arbeiten wie in ihren Novellen und Erzählungen, in denen sie zu ihren irischen Wurzeln zurückkehrt.

Zwölf Geschichten aus Dublin, kleine Episoden aus dem Alltag, sieben davon mit autobiografischem Bezug: Maeve als Kind im Kreis ihrer Familie im schmalen Reihenhaus im Stadtteil Ranelagh, später, mit dreizehn (1930), auf dem Klosterinternat in Kilcullen, Grafschaft Kildare, danach noch ein Rückblick anlässlich eines Besuchs der jüngeren, inzwischen verheirateten Schwester Deirde in Washington, D. C. Die Erzählungen geben unvermutet Einblick in die Psyche der jungen Maeve Brennan, genau wie in die Befindlichkeit der von ihr Porträtierten und deren Lebenswirklichkeiten. Meist sind es Charaktere, die unter der hellen, mit Witz überspielten Oberfläche einen dunklen Grundton erspüren lassen, eine leichte Bitterkeit, die wohl auch ihr eigen war, genauso wie der Hauch von Traurigkeit, ängstlicher Verzagtheit und zuweilen auch abgrundtiefer Einsamkeit, der so typisch ist für viele ihrer Protagonisten.

Da schildert sie eine machthungrige Toilettenfrau, deren Boshaftigkeit und vermeintliche Schläue sie nicht nur um das Wohlwollen ihres Arbeitgebers, sondern auch um ihre klägliche Existenz bringen. Da sinniert eine unwillige Braut am Vorabend ihres Hochzeittages über vertane Chancen und hört ihren zukünftigen Mann bereits mit harter Stimme durchs Haus rufen. „Er hatte getrunken, aber diesmal würde sie ihn nicht darauf ansprechen“, heißt es lakonisch. Da träumt sich die körperbehinderte, isoliert in einem Krämerladen lebende, kaum 40-jährige Mary Lambert in den blühenden Rosengarten der Nonnen von der heiligen Passion, der sich nur einmal im Jahr dem Publikum öffnet. Währenddessen sitzt sie am Totenbett ihres Mannes und Father Mathews betet für das Seelenheil des Verstorbenen und der zwei hinterbliebenen Kinder. Er verweigert Mary jedoch eine klare Antwort auf die für sie dringlichste Frage „Was ist mit mir, Hochwürden?“.

Und da ist die titelgebende Erzählung „Der Morgen nach dem großen Feuer“, in der die kleine Maeve den zweifelhaften Ruhm auskostet, in der Nachbarschaft als Erste und exklusiv die eilige Nachricht vom Brand in der Autowerkstatt zu verkünden. Dabei genießt sie die wohltuende Erfahrung der eigenen Wichtigkeit in vollen Zügen und hofft sehnsüchtig, auch die neu errichtete Garage möge eines Tages in Brand geraten, wobei sie keineswegs Vorwürfe erheben würde gegen das kleine Mädchen, das „mit einem Streichholz hinschliche und sie anzündete“. Es ist keine irische Idylle, die Maeve Brennan beschreibt, weder eine friedvolle Familie, noch Eintracht unter den Geschwistern: Der Vater wird Anfang der 1920er Jahre wegen republikanischer Aktivitäten von bewaffneten Männern in Zivil gesucht, ein Rollkommando stürmt und verwüstet die Wohnung, die kleine Maeve zerstört aus Eifersucht die Spielzeugnähmaschine ihrer Schwester Deirde, spürt zunächst Genugtuung, später dann Bestürzung, Reue und die Last der ihr auferlegten Buße.

Brennans Irland, das sind die 17 Jahre bis 1934, das ist ein Land, das die Armut im Griff hat (Bettler und hausierende alte Männer klopfen an die Haustür und hoffen auf das wohltätige Herz der Mutter) und die katholische Kirche mit ihrem Brimborium, verschlossenen Klostergärten und den zu Schweigen verpflichteten Armen Klarissen, denen jeglicher Kontakt mit Besuchern untersagt ist. „Schlafen sie in Särgen, mit Steinen als Kopfkissen?“, fragt sich die kleine Maeve. „Sind sie jung oder alt, schön oder hässlich?“ Doch das Geheimnis soll ihr für immer verschlossen bleiben, auch als sie ihren kleinen Bruder Robert durch ein riesiges, drehbares Fass zu den Klarissen schiebt und er wohlbehalten und lächelnd wieder zurückgereicht wird. Er ist noch ein Baby und sie weiß: Er wird alles, was er hinter den Klostermauern gesehen und wahrgenommen hat, später nicht aus dem Gedächtnis abrufen, geschweige denn mitteilen können.

Erschütternd und empörend ist die letzte Geschichte: „Der Teufel in uns“ erzählt von der perfiden Bloßstellung und Demütigung von vier Mädchen, darunter Maeve, denen es nicht gegeben ist, im Chor des Klosterinternats aus voller Kehle Gott zu preisen. Sie werden vor den anderen Schülerinnen bloßgestellt, als fehlgeleitet und eigensinnig gebrandmarkt und von Schwester Hildegard mit dem Verdikt belegt: „Nicht nur haben sie [die vier Mädchen] uns blamiert, sie haben mit Vorbedacht Unseren Gesegneten Herrn blamiert.“ Einen Müßigen miete bekanntlich der Teufel, und den vieren wurde langsam klar, wie und wo sich die Macht des Teufels äußere: „in unseren trockenen Kehlen und in unseren klopfenden Herzen“.

Maeve Brennan blieb unangepasst und sperrig. Diese Attribute kennzeichnen ihr schriftstellerische Werk, ihr „loses Mundwerk“, ihr unerschrockener Geist und ihr untrügerisches Gespür für die dunklen Untertöne der Alltags machen sie zu einer der großen Autorinnen ihrer Zeit. Welche Umstände oder Unglücke auch immer (vielleicht die unbezähmbaren Dämonen der eigenen Seele) sie im Alter in die Schizophrenie, in die Psychiatrie und in die materielle sowie psychische Not führten, bleibt ungeklärt. Der nachdenkliche, so scharfsichtige und nackte Blick der Maeve Brennan ließ sie Werke schaffen, die uns die Existenz, nicht aber das Aufbrechen dieser Abgründe erahnen lassen: hinter dem Lächeln, hinter der oberflächlichen Maske der Konvention und hinter dem Bissig-Funkelnden ihrer Erzählungen.

Literaturangabe:

BRENNAN, MAEVE: Der Morgen nach dem großen Feuer. Erzählungen. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2009. 156 S., 16 €.

Weblink:

Steidl Verlag

Monika Thees ist Redakteurin dieses Literatur-Magazins


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