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Blind Date

Saliya Kahawattes ganz persönliches „Blind Date mit dem Leben“

© Die Berliner Literaturkritik, 21.04.10

FRANKFURT AM MAIN (BLK) – Im Oktober 2009 wurde Saliya Kahawattes Lebensgeschichte „Mein Blind Date mit dem Leben“ vom Eichborn Verlag publiziert.

Klappentext: „Ich bin blind - und keiner hat’s gemerkt“ 15 Jahre lang verschwieg Saliya Kahawatte, dass er nur noch zu 5 Prozent sehen kann. Wie und warum er das tat, erzählt er in diesem Buch. Mit 15 Jahren verliert der Deutsch-Singhalese Saliya Kahawatte innerhalb von Monaten einen Großteil seines Augenlichts. Die Ärzte sagen, dass er eines Tages völlig blind sein wird. Er soll die Schule verlassen und in die Blindenwerkstatt, er aber träumt von Abitur, Studium und selbstbestimmtem Leben. 15 Jahre lang verschweigt er seine Behinderung, um in der Welt der Sehenden Karriere machen zu können. Fingerspitzen, Ohren und seine Intuition ersetzen seine Augen. Er arbeitet härter als die anderen, lernt mit Hilfe eines Sprachcomputers und weniger Eingeweihter Bücher, Stadtpläne oder als Barchef Getränkekarten auswendig. Das Zählen von Treppenstufen gehört zu seinen Strategien wie das Dummstellen im Notfall. Für seinen Weg zahlt er einen hohen Preis: Selbstverleugnung, innere Einsamkeit, immer wieder Suchtgefährdungen. Erst als er lernt, dass man nicht gegen, sondern nur mit seiner Behinderung leben kann, ist er wirklich im Leben angekommen. Selbstironisch und ermutigend erzählt Saliya Kahawatte von seinem Weg durch extreme Höhen und Tiefen.

Saliya Kahawatte wurde 1969 als Sohn einer Deutschen und eines Singhalesen in Freiberg/Sachsen geboren. Nach der Flucht der Familie 1973 aus der DDR wuchs er in der Nähe von Osnabrück auf. Mit 15 Jahren erkrankte er an einer irreparablen Netzhautablösung, er hat heute ein Restsehvermögen von fünf Prozent. Nach seiner Ausbildung zum Hotelfachmann studierte er Hotelbetriebswirtschaft. Heute ist er geschäftsführender Inhaber der Unternehmensberatung minusvisus und arbeitet zudem als Coach und Dozent. Der praktizierende Buddhist lebt in Hamburg. (olb)

Leseprobe:

©Eichborn Verlag©

Mein Lieblingsweg führt an der Außenalster entlang. Ich gehe unheimlich gern spazieren, möglichst ein- bis zweimal pro Woche, meistens abends nach der Arbeit. Der Startpunkt ist für mich am Schwanenwik, direkt am Wasser, und der Wind sagt mir, wie die Alster gerade aussieht: spiegelglatt, ein bisschen wellig oder richtig aufgewühlt. Ich spaziere Richtung Norden, am Gästehaus des Hamburger Senats vorbei, wo immer ein Polizeiauto steht. Oft lassen die Polizisten die Standheizung laufen, ich erkenne das Auto am Dieselgeruch und am Geräusch. Wenn es Sommer ist und hell, bemerke ich den Wagen nur manchmal — aus einem bestimmten Blickwinkel und bei günstigem Licht. Als Nächstes kommen ein Ruderclub und eine Moschee, ein kleiner Park. Später geht es etwas bergab, danach ändert sich der Boden, da spüre ich Baumwurzeln. Wenn ich sehr viel Zeit habe, laufe ich noch bis zur großen Brücke, wo eine leichte Brise oft den Pommesgeruch eines Restaurants herüber weht. Dann kehre ich um und spaziere denselben Weg zurück. Normalerweise erzähle ich so was nicht gern, weil die Leute schnell denken: Voll der Spinner! Fast blind, dazu noch gehbehindert — aber allein im Dunkeln an der Alster herumspazieren! Manche denken es nicht nur, sondern sagen es auch. Und wahrscheinlich machen sie dabei ein entsetztes Gesicht, aber das sehe ich zum Glück nicht. Immer wieder höre ich auch den Ratschlag: »Sei vernünftig, nimm wenigstens deinen Stock mit.« Wie soll ich darauf angemessen reagieren? Ich will nicht zynisch klingen, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als zu fragen: »Welchen Stock meinst du denn? Den Blinden- oder den Gehstock?« Mein Sehvermögen beträgt gerade mal fünf Prozent — in Umgebungen, die ich nicht kenne, brauche ich den Blindenstock tatsächlich. Außerdem sind meine beiden Hüften kaputt, das verdanke ich einer Chemotherapie. Rechts habe ich seit Langem ein künstliches Hüftgelenk, mittlerweile ist es so abgenutzt, dass die Prothese bald ausgetauscht werden muss. Das linke, noch nicht operierte Hüftgelenk ist ebenfalls stark angegriffen. Rein theoretisch wäre es also vernünftig, einen Gehstock zu benutzen. Aber in der Praxis ist es ein Unding, gleichzeitig mit zwei Stöcken zu hantieren. Selbst wenn ich es hinbekommen würde, wäre ein Spaziergang dann kein Genuss mehr. Deshalb verzichte ich auf beide Stöcke. Bevor ich den Weg an der Alster das erste Mal allein gegangen bin, hat mich ein Freund begleitet. Dabei habe ich mir die verschiedenen Untergründe eingeprägt, sie sind verlässliche Anhaltspunkte: Asphalt, Platten, Schotter, festgetretener Sandboden, Gras. Gut für die Orientierung, wenn der Asphalt mal Wellen hat, gut, wenn sich kleine und große Gehwegplatten abwechseln. Das spüre ich unter meinen Füssen, ich höre es auch an meinen Tritten und den Tritten anderer Menschen. Außerdem orientiere ich mich an allem, was sonst noch zu hören, spüren, riechen ist: Stimmen, Wind in den Bäumen, Gläserklirren, Musik, Fahrradreifen, Motoren, Speisen, Pflanzendüfte … Für alle Fälle habe ich auch im Kopf, wie viele Schritte es von einem markanten Punkt bis zum nächsten sind. Wenn ich so beschwingt vor mich hin spaziere, merken mir die anderen Passanten meine Sehbehinderung kaum an. Es ist schon vorgekommen, dass mich jemand nach dem Weg gefragt hat. Auch meine Gehbehinderung fällt nicht sofort auf — nicht mal mir selbst. Natürlich habe ich Schmerzen, aber wenn ich gut drauf bin, blende ich sie aus. Zudem sorge ich mit gezieltem Training im Fitnessstudio dafür, Muskeln aufzubauen, die die Gelenke entlasten. Vielleicht bin ich wirklich manchmal ein Spinner. Aber das Spazierengehen und der Sport sind für mich keine Extravaganzen, sondern lebenserhaltende Maßnahmen. Ich brauche sie für die Balance. Damit meine ich: seelische Ausgeglichenheit, körperliche Ausgeglichenheit, das Gleichgewicht zwischen Körper und Seele. Nur wenn alles ausgewogen ist, kann man aufrecht durchs Leben gehen. Und da die Balance von Natur aus nicht zu meinen Gaben gehört, fördere ich sie, indem ich mich möglichst viel an der frischen Luft bewege und täglich Sport treibe. Einen Tag Krafttraining, einen Tag Ausdauertraining, immer im Wechsel, immer 45 Minuten. Bis vor einiger Zeit war ich sogar öfters mit einem Kumpel an der Alster joggen. Doch nach einem gefährlichen Sturz bin ich dazu übergegangen, meine Kondition auf dem Laufband oder im Schwimmbad zu trainieren. So viel Vernunft besitze ich dann doch.

©Eichborn Verlag©

Literaturangabe:

Kahawatte, Saliya: Mein Blind Date mit dem Leben. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009. 208 S., 17,95 €.

Weblink:

Eichborn Verlag


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