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Böhmische Dörfer und melancholische Reisen – Stephan Wackwitz’ „Osterweiterung“

Wackwitz betritt Grenzregionen und entdeckt gekonnt den Osten neu

© Die Berliner Literaturkritik, 24.07.08

 

Der Osten, das europäische Kernland, eine Ansammlung von Grenzregionen. Vergessene Orte, aus denen die Welt aufbrach um eine andere zu werden.

Obwohl Osteuropa seit den 90er Jahren für uns zugänglich ist und auch der Luxus westlicher Standards sich wieder findet, ist es doch nicht ungewöhnlich, dass den Besucher bei seinem Aufenthalt zuweilen ein unbestimmtes Gefühl der Fremdheit beschleicht. Bleibt es doch trotz aller Ähnlichkeiten ein Eintritt in eine unbekannte Welt, eine weite geschichtsträchtige Landschaft, in der sich noch immer die sprichwörtlichen Böhmischen Dörfer finden.

Die uns wenig bekannte Region, die Mentalität der Einheimischen, dieses undefinierte Fremdheitsgefühl sind es vielleicht auch, denen Stephan Wackwitz sich in seiner „Osterweiterung“ annähern wollte. Der studierte Germanist und Historiker ist Mitarbeiter des Goethe-Instituts New York mit Stationen in Neu Delhi, Tokio, Krakau und Bratislava. Fast zehn Jahre hat er davon im Osten Europas zugebracht; hat dort gelebt, gearbeitet und ist gereist. Die Essenz dieser Erfahrungen findet sich Auszugsweise in den zwölf Reiseberichten seiner aktuellen Veröffentlichung.

Dabei sind Wackwitz’ Erkundungen keine Abarbeitung von Sehenswürdigkeiten oder Auflistungen von Geheimtipps zum unbekannten Reiseziel. Vielmehr sind es persönliche Eindrücke von Städten und Menschen, von ihren Eigenarten und Besonderheiten. Hier wird der Autor zum Beobachter, Essayisten – manchmal bestätigt, oft erstaunt, immer interessiert. Die Auswahl der zwölf Reiseberichte ist zwangsläufig subjektiv und doch entstehen Eindrücke, entsteht ein Gefühl für diese fremde Welt, erscheinen Bilder von Menschen und Geschichten.

Da sind die Krakauer Tuchhallen, das „Museum für Nationale Scheinschwangerschaft“, in dem Wackwitz polnische Mentalitätsgeschichte findet und gleichzeitig in Erinnerungen an Besuche mit seinem Großvater abschweift. Überhaupt sind es die Menschen, von der Landschaft, der Geschichte geprägt, die die Erkundungen illustrieren. Julia Warhola etwa, die Mutter von Andy Warhol. Eine „ruthenische Dorfschönheit“, die mit ihrer Verklärung der einfachen Verhältnisse dem Nationalstolz vieler Ukrainer entspricht.

In Kattowitz beschleichen Wackwitz unerklärliche Heimatanwandlungen, erinnert ihn alles an seine Kindheit im Ruhrgebiet, sind die Straßen hier „so deutsch wie in Deutschland keine mehr.“ Noch persönlicher wird es in „Karawanenmusik“. Da sind es die Erinnerungen an die Jahre der Reisen zurück in den Westen zum Sohn. Die sehnsuchtsvolle Überwindung weiter Strecken. Heute ist der Sohn vierzehn und reist alleine mit der Bahn.

Immer wieder klingen sie dabei an, die Veränderungen. Die Modernität des Westens, die auf die Traditionen des Ostens stößt. Die Wohnung in Krakau, in der man aus Angst vor der herabstürzenden Decke unter einem Moskitonetz nächtigt oder die marode Heizungsanlage im bitterkalten Bratislava – Unzulänglichkeiten, die man nicht nur fern ab der westlichen Welt, sondern auch siebzig Kilometer von Wien entfernt erleben kann.

Daneben die Möglichkeiten der dauernden Neuerfindung des eigenen Lebens in Kunst, Mode und Konsum. Durchgehend Improvisiertes. Hotels in Gebäuden der sozialistischen Machtgeste neben McDonalds-Filialen in sanierten Backsteinhäusern. Die Boomtown Bratislava, die ehemals malerische Provinzstadt, die zur amerikanisch inspirierten Metropole wird. Wackwitz entdeckt in all dem Neuen, den Anstrengungen nach Fortschritt, nach Luxus, in den Gebäuden, das Gefühl einer „innerstädtischen Brache“, der „Terraine vague“; dem unbebauten Gebiet, dem Ungeformten, das die Magie des Ostens ausmacht.

Was Stephan Wackwitz schreibt ist persönlich, voller Eindrücke und Gefühle. Dazu immer der schweifende Blick. So findet sich Bekanntes im Unbekannten, interessante Beobachtungen in Vorurteilen. Dabei sind seine Erkundungen kein oberflächliches Flanieren. Es sind Anekdoten, Eindrücke, Erkenntnisse, handwerklich sehr geschickt verpackt in unterhaltsame Essays.

Leichtfüßig und selbstverständlich bewegt sich Wackwitz durch die Geschichte Osteuropas, nennt Daten und Fakten, nie zu viel und immer gut verpackt in anschauliche Begebenheiten. Auch seine literarischen Vorbilder finden immer wieder Einlass in die Beschreibungen. Diese akademischen Abschweifungen sind gut auszuhalten, man merkt, dass er sich auskennt in seinem Metier, nie wird es schulmeisterlich oder aufdringlich.

Auffällig auch die Sprache. Intelligent, aber nicht hochgestochen, führt sie in einen Sog des Lesens. Da ist es die „Hintergrundstrahlung der Welt“, das „Bewohnt- und Durchgearbeitetsein der Landschaft“ oder die Gänse, die wie „an unsichtbaren Instinktlinien aufgereiht“ scheinen. Das ist poetisch, das ist sinnlich. Wackwitz lässt Blick und Gefühl unverstellt schweifen und wird dabei zum einsamen, melancholischen Beobachter.

Was er schafft, ist, den unbekannten Osten für den Leser lebendig werden zu lassen. Er nimmt ihn mit auf eine gedankliche Reise mit oft überraschendem Ziel und verknüpft dabei Beschreibungen und Geschichte mit persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen. Auf schöne, fast altmodische Art wird hier der Osten nicht nur bereist, sondern erlitten.

Und so ist „Osterweiterung“ mehr als es auf den ersten Blick verspricht. Es ist ein Abenteuerbuch, ein Geschichtswerk, ein Tagebuch, ein Reisebericht – intelligent, sinnlich und der kurze gehaltvolle Eintritt in eine so nahe und uns doch so unbekannte Region der Welt.

Von Mascha Nicksch

Literaturangaben:
WACKWITZ, STEPHAN: Osterweiterung. Zwölf Reisen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 221 S., 17,90 €.

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