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Botticelli - Bildnis, Mythos, Andacht

Eine Ausstellung des Städel Museums, Frankfurt am Main

© Die Berliner Literaturkritik, 10.02.10

Von Klaus Hammer

Ein paradiesisches Florenz verkündete Sandro Botticelli in seinem Gemälde „Primavera“ (Frühling, 1481), das, in den Uffizien ausgestellt, ein Markstein der Kunstgeschichte ist. Lorenzo der Prächtige selbst hatte das Bild in Auftrag gegeben, es sollte ein Hochzeitsgeschenk für seinen Neffen und Namensvetter Lorenzo di Pierfrancesco de’ Medici (1482) sein, dessen Braut in enger verwandtschaftlicher Beziehung zum König von Neapel stand. Und den brauchte der große Lorenzo für die Stärkung seiner eigenen Machtposition in Florenz.

Der stoffliche Gehalt des Gemäldes ist als eine Mischung aus antiken und zeitgenössischen literarischen Quellen von Horst Bredekamp erschlossen worden. In der Bildmitte erscheint, leicht zurückgesetzt, die Liebesgöttin Venus. Über ihr verschießt ihr Sohn Cupido, der Liebesgott, mit verbundenen Augen einen brennenden Pfeil auf eine der Grazien, und rechts von ihr schreitet die Frühlingsgöttin Primavera blumenstreuend voran, während am Bildrand die von Zephyr verfolgte Nymphe Flora Frühlingsblumen aus ihrem Mund sprüht. Andere Deutungen sprechen von der Erdnymphe Chloris, die sich nach ihrem Raub durch Zephyr, den Frühlingswind; in Flora, die Blumengöttin des Frühlings, verwandelt hat – beide Frauenfiguren stellen dieselbe Person vor und nach der Verwandlung dar. Jedenfalls verkörpert die Dreiergruppe Zephyr, Chloris und Flora den Dreischritt von Wollust (Zephyr), Keuschheit (Chloris) und Schönheit (Flora).

In der linken Bildhälfte kommen dann die drei Grazien, gleichfalls Personifikationen des Zusammenspiels von Wollust, Keuschheit und Schönheit, unter der Führung des Merkur zur Gefolgschaft der Venus hinzu. Venus wird also von zwei die Dialektik der Liebe repräsentierenden Dreiergruppen eingebunden, von denen die linke von Merkur geführt wird, während die rechte in die Frühlingsgöttin Flora mündet. Alle Figuren sind kompositionell miteinander verbunden, bleiben aber für sich, und wo sie sich gestisch oder durch Blicke aufeinander beziehen, wirken ihre Zuwendungen rätselhaft gebrochen und unbestimmt.

Schönheit ist, was sich von der körperlichen Wirklichkeit entfernt, ist die geheimnisvolle Übertragung einer Erscheinungsform, eines geistigen Zusammenhanges in ein Bild oder ein Symbol. Das hat Botticelli mit seiner „Primavera“ geleistet. Er hat das Bild wie ein Teppich entworfen, als ein Gedankenbild, in dem die Figuren nacheinander aufgereiht sind. Durch die linearen Rhythmen der wehenden Schleier werden die Gestalten zu einer vollkommenen, spirituellen Wesenheit, zur Durchsichtigkeit, zur Verkörperung des Lichts, das nach neuplatonischer Anschauung von jeder Materie getrennt ist. Wichtig ist für Botticelli nicht mehr das Handeln einer Gestalt im Bild, sondern die „innere“ Handlung, der Kampf zwischen der Geistigkeit und der Dichte und Schwere der Materie, also zwischen Licht und Finsternis.

Im Unterschied zu Bredekamp sieht Maria-Christine Leitgeb in Botticellis Flora eine Allegorie für Florenz, Florentina, die blühende Stadt an den Ufern des Arno. Die Äste von drei Lorbeerbäumen neigen sich über sie, und wenn man weiß, dass der Lorbeer das Emblem des Lorenzo de’ Medici war, könnte man davon sprechen, dass Lorenzo schützend seine Hand über Flora hält. Flora überführt die Botschaft einer neuen Blüte auf die Stadt Florenz – natürlich unter Lorenzos Führung. Lilien – die Lilie ist das Wahrzeichen von Florenz - schmücken das Blumengewand der Flora Botticellis. Und in der Sprache der Pflanzensymbolik bedeuten der Lorbeer und die Lilie den ewigen Kreislauf von Vergänglichkeit und Wiederkehr. Auch der Orangenbaum, der im Venus-Garten der „Primavera“ blüht und zugleich auch Früchte trägt, war ein feststehender Bestandteil der Medici-Emblematik.

Botticellis „Primavera“ ist ein Wegweiser, ein Kunstwerk und als solches Abbild der ewigen Schönheit. Da sie den Betrachter über die Stufen des Seienden hin zum Sein, auf dem Weg vom Schein zur Wahrheit führen und diesen Weg am zyklischen Dasein der Seele zur Darstellung bringen will, ist dieses Werk auch der philosophischen Programmkunst zuzurechnen. Überhaupt kann man in Botticellis großen mythologischen Gemälden das Symbol der Florentiner Renaissance des Quattrocento sehen. Botticelli wurde, so schreibt auch Max Hollein in dem hier zu besprechenden Katalogbuch „Botticelli“, zum Chronisten und Interpreten des florentinischen Humanismus, der unter den Medici seine Blütezeit erlebte. Seine Werke sind Paradebeispiele für die Verbindung von Kunst, Philosophie und Gesellschaft.

Der Zeichner und Maler Botticelli ist vor 500 Jahren verstorben, und aus diesem Anlass hat das Städel Museum in Frankfurt a.M. diesem hervorragenden pictor doctus der Renaissance eine große Ausstellung gewidmet (bis 28. Februar 2010). Seine Sonderposition im Florentiner Kunstgeschehen soll in Gegenüberstellung mit Arbeiten seiner Künstlerkollegen untersucht werden. Obwohl viele Werke Botticellis an ihren angestammten Ort gebunden sind, sie auf Grund ihrer Fragilität und ihrer Dimension nicht ausgeliehen werden können, ist doch eine hochkarätige Werkauswahl zusammen gekommen: Bildnisse, sakrale wie profane Werke,  vor allem mythologische Allegorien, die den Künstler berühmt gemacht haben.

Ebenso wissenschaftlich ergiebig wie prachtvoll ausgestattet ist das die Ausstellung flankierende Katalogbuch „Botticelli – Bildnis Mythos Andacht“, das essayistische Betrachtungen zum Werk Botticellis, zu seiner Zeit und Nachwirkung, die ausgestellten Werke mit ausführlichen Kommentaren, Daten und Fakten zur Biografie des Malers und ein Literaturverzeichnis enthält.

Andreas Schumacher, Kurator der Ausstellung, gibt eine eindringliche Einführung in das Werk Botticellis, während sich Hans Körner mit der rätselhaften Simonetta Vespucci beschäftigt, die zu einer mythischen Kultfigur in Florenz avancierte und die vielen Frauenbildnissen Botticellis ihr Konterfei geliehen haben mag. Cristina Acidini widmet sich Botticellis mythologischen Allegorien und Lorenza Melli würdigt Botticelli als Zeichner und untersucht besonders dessen Kopfstudien. „Tyrannis oder Goldenes Zeitalter?“ fragt Volker Reinhardt und setzt sich mit Florenz zur Zeit Botticellis auseinander. Des Malers geniale Begabung blieb jahrhundertelang ohne große Wertschätzung, solange die naturgetreue Abbildung der Realität das Ideal der Kunst war. Erst im 20. Jahrhundert wuchs sein Ruhm zu der Größe, die ihm gebührt. Schon der Kunsthistoriograf Giorgio Vasari, sonst glühender Bewunderer florentinischer Meister, würdigte Botticelli 40 Jahre nach dessen Tod eher vorwurfsvoll als beeindruckt, und wie sich die Kunstgeschichtsschreibung von Vasari bis heute ein Urteil über Botticelli gebildet hat, beschreibt Ulrich Rehm – er bezeichnet Vasaris Aussagen über Botticelli, die hier mit abgedruckt werden, sogar als „Verleumdung“.

Das Städel Museum besitzt selbst das Bildnis einer makellosen, rätselhaften Schönheit, bei dem man fragen kann: Ist es das Porträt einer identifizierbaren Frau, etwa der von den Medici-Brüdern verehrten Simonetta Vespucci, oder ein allegorisches Idealbildnis, ein nymphenhaftes, göttlich schönes Wesen in der Tradition von Dantes Beatrice und Petrarcas Laura? Dieser Frauentypus, diese Personifizierung von Schönheit taucht in Botticellis Bildern immer wieder auf. Da ist natürlich zuallererst die berühmte „Geburt der Venus“ (um 1478-1487) zu nennen: die Göttin, nackt auf einer Muschel stehend in einer Kaskade von rosa Rosen von den beiden verschlungenen Gestalten, die die Winde darstellen, wird sanft auf die Küste zugetrieben. Dort erwartet sie ihre Begleiterin, die ihr ein Gewand umwerfen wird, sobald sie das Ufer und damit die Welt der Menschen betritt. Mal ist Botticellis Frauenideal als zarte junge Madonna oder als schelmische Flora dargestellt. Sie kann aber auch streng und unnahbar sein („Venus und Mars“). In der „Geburt der Venus“  aber gelingt es ihr, all diese Eigenschaften zu vereinen, noch schöner zu werden. Hier scheint sie Botticellis Ideal am nächsten zu sein.

Ganz anders das Bildnis des 1478 ermordeten Giuliano de’ Medici, dessen leblose Gesichtszüge in der Tat an einen Toten erinnern. Der abgestorbene Ast mit der Taube, Symbol der Treue und untröstlichen Trauer, könnte dann auf das gewaltsam ausgelöschte Leben des jungen Medici hinweisen. Dagegen wird der Heilige Thomas von Aquin als gelehrter Dominikanerheiliger mit markantem Antlitz, mit Buch und Schreibzeug dargestellt. Sinnend geht sein Blick in die Ferne.

Das monumentale Wandbild der „Verkündigung“ ist ein Meisterwerk der Perspektivenkonstruktion Botticellis. Durch den linken Durchgang schwebt der Erzengel Gabriel hinein, der rechte Durchgang führt ins Gemach Mariens. Mit dem ihm gegebenen Bewegungsimpuls überbrückt der Verkündigungsengel mühelos die große Distanz bis zu der unter einem Baldachin knienden Annunziata, der er die Frohe Botschaft bringt. Nachdem Botticelli so von seinen überragenden Fähigkeiten als Wandmaler Zeugnis abgelegt hatte, wurde er kurz darauf von Papst Sixtus IV. nach Rom berufen, um die Wände der Sixtinischen Kapelle mit Fresken auszustatten. Das konventionelle Thema der „Anbetung des Kindes“ hat Botticelli wiederum zu einem komplexen Programm erweitert. In Anspielung auf die Passion wird der Körper des wie im Todesschlaf daliegenden künftigen Erlösers dem gläubigen Betrachter förmlich zur Verehrung dargeboten. Neben Maria, die bereits um das künftige Schicksal ihres Sohnes weiß, wird auch Joseph eine wesentliche Rolle im Programm des Bildes zugewiesen.

Zu Botticellis wichtigsten Schöpfungen der späten Jahre gehören die vier Tafeln mit Szenen aus dem Leben und Wirken des heiligen Zenobius. In London, New York und Dresden verstreut, sind sie jetzt in Frankfurt erstmals wieder zusammengeführt worden. Die Bilderzählung stellt das zentrale Thema der Überwindung des Todes und der wundersamen Erweckung zu neuem Leben in den Mittelpunkt. Nicht nur die Architekturkulissen wechseln, sondern auch die einzelnen Szenen werden durch auf Abstand gesetzte Figurengruppen voneinander geschieden.

Doch Botticellis Bildwelt blieb keinesfalls an sakrale Themen gebunden, sondern griff auch auf die Mythologie über. Venus und Minerva nehmen darin eine ebenso sinnbildliche und vorbildliche Gestalt an wie die christlichen Dulder auf den Altären. Erstmals wagte ein Maler heidnische Götter lebensgroß wiederzugeben. „Minerva und Kentaur“, Ende der 1480er Jahre entstanden, zeigt eine mit Schild und Hellebarde gerüstete Frau, die einen Kentauren (Pferdemensch) an seinem Schopf führt. Dieser Minerva, Göttin der Weisheit, fehlen allerdings die wesentlichen Attribute, zudem ist sie auch als Camilla, einer jungfräulichen, der Diana geweihten volskischen Königstochter, gedeutet worden. Das querrechteckige Gemälde „Das Urteil des Paris“ konzentriert sich auf jenen Moment, in dem der aus Troja verstoßene, inmitten seiner Herde sitzende Königssohn Paris den Zankapfel Aphrodite übergibt, die sich ihm, gefolgt von ihren Rivalinnen Hera und Minerva, erwartungsvoll nähert. An den Ufern einer weit ausgestreckten Landschaft liegen zwei Städte, die als das antike Rom und  eine Stadt des 15. Jahrhunderts zu erkennen sind und mit der eine visuelle Brücke zwischen dem antiken Mythos und der Gegenwart des Betrachters geschlagen werden soll.

Botticellis Abkehr vom Schönheitskult und Idealismus seiner Reifejahre geschah unter dem Alpdruck dramatischer Umstürze, die Florenz am Ende des 15. Jahrhunderts erleben musste. Wie sehr den Maler die Unruhen, Ängste und Gräuel der Zeit erschütterten, offenbart die „Mystische Geburt Christi“ (1500). Nicht mehr die Geburt heidnischer Göttinnen dient dem alternden Maler zum Gleichnis, sondern die spirituelle Innerlichkeit des Erlösers, vor dem die Dämonen der Unterwelt furchtsam in die Felsspalten fliehen. 1480-1495 hatte Botticelli zudem auf großen Pergamentblättern Dantes „Göttliche Komödie“ illustriert. Der kongeniale Zyklus, ein unvollendetes Oeuvre, fehlt zwar in Frankfurt, wurde aber bereits 2000 zum ersten Mal geschlossen in Berlin gezeigt. Botticelli hat sich hier der so genannten kontinuierenden Darstellungsweise bedient, einer multiperspektivischen, fast kinematischen Erzähltechnik, die mehrere Darstellungen in einem Bild vereinigt, aus dem Blickwinkel der Hauptfigur – Dante selbst – Station für Station, Szene auf Szene wie auf einer Drehbühne in phasenverschobener Simultaneität folgen lässt. Analog zur Architektur des Danteschen Epos formen sich Phasen und Bildsequenzen, genaue Orts-, Richtungs- und Zeitangaben und größere Spannungsbögen zu einem visuellen Gesamtkunstwerk.

Dieses Katalogbuch ist ebenso wichtig für den Spezialisten wie für den Kunstinteressierten, indem es immer wieder zum Lesen, Betrachten und Blättern einlädt.

 

Literaturangabe:

SCHUMACHER, ANDREAS (HG): Botticelli - Bildnis, Mythos, Andacht. Eine Ausstellung des Städel Museums, Frankfurt am Main. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2009. 372 S., 294 farbige Abb., 49,80 €.

Weblink:

Hatje Cantz Verlag

Städel Museum - Frankfurt a.M.

 

 


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